Feuerwerk auf Juist: Man lässt es krachen im Nationalpark und“Weltnaturerbe“

Feuerwerk auf Juist am 24. Juli 2010

edit 07. August 2010:

„Dem Vernehmen nach“ hat sich der Juister Bürgermeister Dietmar Patron dahingehend geäußert, dass es keine Feuerwerke mehr auf Juist geben werde, an einer Beschlussvorlage für den Rat werde gearbeitet. Auch aus der Juister Bevölkerung wurden Beschwerden gegen das Feuerwerk bei der Gemeinde  vorgebracht. Die Genehmigungsbehörde des Feuerwerks war die Gemeinde Juist.

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Nationalparks sind bekanntlich Großschutzgebiete, dort gelten Regeln zum Schutz von Tieren und Pflanzen. Bestimmte Bereiche dürfen nicht betreten, die freilebende Tierwelt darf nicht durch Lärm, Aufsuchen o.ä. Handlungen gestört werden. Der Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer ist gleichzeitig auch Urlaubsgebiet mit ca. 37 Millionen Tourismusübernachtungen jährlich von Emden bis Cuxhaven, und Touristen wollen unterhalten werden. Ganz nebenbei: Der Nationalpark ist auch auch EU-Vogelschutz- und FFH-Gebiet. Ein Spektakel der besonderen Art bietet die Insel Juist an, die „Zauberinsel“, wie man sich dort werbewirksam selber nennt: Höhenfeuerwerke sollen die Massen unterhalten, die auf der Insel Urlaub machen.

Das Feuerwerk fand am Samstag, 24. Juli 2010, ab Punkt 23.00 Uhr statt. Die Stille des Wattenmeeres wurde mit Böllerkrachen und Lichterspektakel jäh unterbrochen (siehe Brief eines Urlaubers ganz unten!).Läge Juist nicht im Nationalpark und „Weltnaturerbe“ Wattenmeer (und in einem EU-Vogelschutz- und FFH-Gebiet!), wäre das eigentlich nicht besonders erwähnenswert, nur stören die spektakulären Illuminationen, die mit erheblichem Lärm verbunden sind, die fliegenden Bewohner des angrenzenden Wattenmeeres und „Weltnaturerbes“  erheblich. Zur selben Zeit machten Heerscharen des Knuttstrandläufers (Calidris canutus) Rast im Wattenmeer, um sich hier ihre Fettreserven für den langen Zug in ihre Winterquartiere anzufressen. Da fragt man sich doch, auf welcher Rechtsgrundlage weiträumig Zugvögel von ihren Nahrungsflächen in ihrem Schutzgebiet vertrieben werden. Vor allem wird wieder einmal deutlich, wie unsensibel und bar aller naturschutzfachlichen Kenntnisse die Tourismusmacher mit einem Schutzgebiet umgehen; ständig wird das „Weltnaturerbe“ als PR-Maschine strapaziert, dass darin aber streng geschützte Tierarten mit verbrieften Rechten leben, ist Touristikern offenbar völlig  wurscht oder unbekannt. Naturschutz findet mal wieder nur auf dem Papier statt.

Knuttschwärme am Wahrzeichen von Juist, 24. Juli 2010

Vor allem: Was sagt die Nationalparkverwaltung zu diesem Spektakel?

Gesetz über den Nationalpark ,,Niedersächsisches Wattenmeer (NWattNPG) vom 11. Juli 2001:

§ 6 In der Ruhezone verbotene Handlungen

(1)  In der Ruhezone sind alle Handlungen verboten, die den Nationalpark oder einzelne seiner Bestandteile zerstören, beschädigen oder verändern. den Boden, seinen Bewuchs oder Sandkorallen zerstören, beschädigen oder verändern.  […]

(2) Zur Vermeidung von Störungen und Gefährdungen der Schutzgüter des Nationalparks ist es verboten,

1. die Ruhe der Natur durch Lärm oder auf andere Weise zu stören,

2. wild lebende Tiere zu stören oder diese an ihren Nist-, Brut-, Wohn- und Zufluchtstätten    aufzusuchen, zu fotografieren oder zu filmen. […]

5. Drachen, auch vom Fahrzeug aus, Modellflugzeuge oder andere Kleinflugkörper fliegen zu lassen, Ballons zu starten oder außerhalb der Wege fernlenkbare Geräte zu betreiben, soweit solche Handlungen nicht durch dieses Gesetz oder aufgrund dieses Gesetzes zugelassen sind. […]

Durchzug des Knutts über das Juister Watt von Ost nach West, 24. Juli 2010

Den Wattenrat erreichte ein Bericht eines Inseltouristen, der anschaulich das „Event“ beschrieb, wirt zitieren auszugsweise:

Höhenfeuerwerk Juist,  Sa. 24 Juli 2010

Vom 24.- 25.Juli 10 befand ich mich auf Juist und wurde Zeuge eines fantastischen Zuges von Knuttstrandläufern. Während der gesamten Ebbezeit suchten die weit gereisten Flugakrobaten aus der arktischen Tundra im Juister Watt Nahrung. Seit Jahren ist mir bekannt, dass die Wattengebiete zwischen Memmert und dem Kalfamer jeweils im Frühjahr und Spätsommer von großen Knutt- Schwärmen bevölkert sind. Dem Inselbesucher fallen die scheuen Vögel in der Regel erst auf, wenn dichte Schwärme eindrucksvolle Massenschwenkungen ausführen.

An den Salzwiesenkanten verweilen die Knutts während der Flutperiode oft mehrere Stunden, schlafen und pflegen ihr Gefieder.

Nicht ohne zwingenden Grund sind alle Zugänge zu den südlich der Insel Juist gelegenen Salzwiesen versperrt und deutlich beschildert. Nur in Ausnahmefällen missachten Urlauber die Betretungsverbote und massive Störungen der ruhebedürftigen Watvögel finden in der Regel nur statt, wenn Piloten in Privatflugzeugen sich nicht an die erforderliche Mindesthöhe halten  Zwischen 17 und 19:50 Uhr gelangen mir am 24. Juli bei bestem Licht eindrucksvolle Beobachtungen und einige gute Fotos krönen diesen wundervollen Spätnachmittag. Ab 19:50 Uhr war der Zauber des Vogelzuges vorbei- die Knutts hatten ihre Rastgebiete entlang der Salzwiesen zwischen dem Ort und der Bill angeflogen und nur noch Austernfischer krakelten in den Abendstunden. Von der Wiese am Leuchtturm dröhnte laute Musik bis weit in die Inselwatten. Gefeiert wurde das 2. Juister- Familienfest bis in die späten Abendstunden.

Um genau 23:00 Uhr explodiert mit lautem Knall eine Blendrakete und signalisiert den Auftakt eines unglaublichen Spektakels: Inmitten des Weltnaturerbes Wattenmeer veranstaltet die Juister Kurverwaltung ein Höhenfeuerwerk. Laut rufend irren orientierungslose Vogelmassen umher und verziehen sich in westliche Richtung. Ein zehnminütiges Stakkato von Böllerschüssen und Raketen macht das Watt für empfindliche Vogelarten zur Hölle.

Die Schallwellen werden von den Dünen reflektiert und wirken mit doppelter Wirkung in die Weite des Wattenmeeres.

Kopfschüttelnd und aufgebracht beurteilten andere Kurgäste in einem Gespräch das soeben erlebte Fiasko für die frei lebende Tierwelt, zumal der Urlauber überall aufgefordert wird, der Natur rücksichtsvoll zu begegnen. Eine Nationalparkstation, deutliche Beschilderungen in den besonders empfindlichen Landschaftsteilen und Hinweise der Wattführer auf größtmögliche Rücksichtnahme werden dem Inselurlauber zu Recht abverlangt.

Ein Skandal ist die beobachtete Ignoranz der verantwortlichen Planer des sogen. „Familienfestes“, für das Fest ein Höhenfeuerwerk zuzulassen und es u.U. von der Inselverwaltung genehmigt zu bekommen. Ebenfalls wäre zu prüfen, ob die zuständige Nationalparkverwaltung in Wilhelmshaven das Event absegnete. […]

Nach meiner persönlichen Einschätzung liegt für den 24. Juli 2010, 23:00 Uhr eine klare Störung vor und sollte für den Veranstalter und die beteiligten Behörden mit strafrechtlichen Konsequenzen verbunden sein.

Ein Blick in den Veranstaltungskalender der Inselgemeinde Juist beweist darüber hinaus, dass die beobachtete Vertreibung großer Massen bestandsbedrohter Vogelarten von ihren nächtlichen Rastplätzen kein „einmaliger“ Ausrutscher war.

Als langjährigem Juistbesucher sind meine Geschmacksgrenzen bezüglich eines Höhenfeuerwerks überstrapaziert und ich sehe in der Durchführung einer derartigen Veranstaltung eine Provokation.

Wie sollen dem Urlauber in Zukunft noch glaubwürdig vermittelt werden, dass die individuelle Freizügigkeit in den Naturgebieten ihre Grenzen hat. Derartige Krawall- Events untergraben die Ziele des Naturschutzes. Der Gesetzgeber und die Nationalparkverwaltung sind unverzüglich gefordert, ein Machtwort zu sprechen. Besser wäre es, wenn die Einsicht siegt und die Inselgemeinde Juist die angekündigten Höhenfeuerwerke sofort absagt. […]

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