Deichbau bei Campen, LK Aurich: Wie man aus der Not eine Tugend machte

Gemähter Bereich im Vorland Campen, Februar 2015. Foto: NLWKN

Gemähter Bereich im Vorland Campen, Februar 2015. Foto: NLWKN

Die Nationalparkverwaltung in Wilhelmshaven preist die Renaturierung eines ehemaligen Spülfeldes in der strengsten Schutzzone bei Campen im Landkreis Aurich. Renaturierung klingt gut, ist es eigentlich auch. Nur wäre es dazu wohl nie gekommen, hätte man nicht Sand, jawohl Sand!, für die Deichverstärkung im nahen Upleward gebraucht. Der Sand wird als Kern für Deiche eingebracht, der dann mit einer Schicht aus elastischem, weitgehend wasserresistenten Kleiboden abgedeckt wird, damit der Deich nicht wie ein Kartenhaus zusammenbricht. Vor ca. dreißig Jahren wurden in das Deichvorland bei Campen große Mengen Spülgut gepumpt, illegal soll das gewesen sein, durch das Wasserschifffahrtssamt, nichts Seltenes im Lande, wenn sich Behörden Rechte herausnehmen, die sich gar nicht haben.

Diese Spülfläche war nun keine Salzwiese mehr, sondern zunächst nur eine Sandwüste, die im Laufe der Jahre aber zunehmend besiedelt wurde, u.a. von Schilf, in dem sich Röhrichtbrüter einfanden, oder von Bodenbrütern auf den übrigen Flächen. 1986 wurde diese Fläche zur Ruhezone, also strengste Schutzzone, Teil des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer, seit 2009 gehört sie mit zum „Weltnaturerbe“.

Sand für den Deichbau aus der strengsten Schutzzone

Und dann kam 2014 der Küstenschutz mit der Deichacht Krummhörn und dem Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten und Naturschutzschutz (NLWKN) und meldete Sandbedarf für die Deichverstärkung im nahen Upleward bei Campen an, aus Kostengründen, um lange Sandtransporte zu vermeiden. Diese Nationalparkfläche ist also zunächst nur eine Baustoffdeponie für die Deichverstärkung gewesen. Die Not der der Deichbauer wurde so in eine Tugend des Naturschutzes verwandelt, mit tätiger Mithilfe der Nationalparkverwaltung.

Verträglichkeitsprüfung? Fehlanzeige!

Damit die dortigen Brutvögel gar nicht erst auf den Gedanken kämen, hier wieder zu brüten, wurden sie bereits früh im Jahr 2015 mit Flatterbändern verscheucht, die Schilfflächen wurden gemäht, in der strengsten Schutzzone eines Nationalparks! Die Vertreibung von Brutvögeln ist eigentlich verboten, nach dem Bundesnaturschutz- und dem Nationalparkgesetz. Die Nationalparkverwaltung nannte diese Vertreibungsnummer am 19. Februar 2015 in einer Pressemitteilung gar „vorbeugende Maßnahmen zum Brutvogelschutz“. Eine Verträglichkeitsprüfung, wie sie das Bundesnaturschutzgesetz für solche Projekte in europäischen Schutzgebieten vorschreibt, unterblieb, nicht zum ersten Mal. Bis 2017 sollen diese Arbeiten mit schwerem Gerät im Schutzgebiet andauern. Die kostenintensivere Alternative wäre gewesen, mit dem Deichbau erst nach der Brutzeit zu beginnen, dann hätte aber Deponieflächen für die Sandentnahme zur Verfügung gestellt werden müssen.

Im Campener Vorland soll sich nach der Sandentnahme  im Laufe der Jahre auf 18,5 Hektar wieder eine natürliche Salzwiese entwickeln, was auch sonst, wenn der vorher aufgespülte Sand wieder abgetragen sein wird. Es wäre dann zweifellos ein Erfolg für den Naturschutz, wenn diese neuen Salzwiesen nicht wieder intensiv künstlich entwässert werden und ohne eine extensive Beweidung wieder zu Queckensteppen, wie anderenort auch, degenerierten.  Diese Flächen wurden aber vor drei Jahrzehnten auch deshalb genau an dieser Stelle aufgespült, weil sie seegangsexponiert sind, also bei Sturmfluten der Deich gefährdet sein könnte. Es bleibt abzuwarten, wann die Deichschützer entdecken, dass die tiefliegenden Teile der renaturierten Salzwiesen wieder eine Bedrohung für die Deiche werden und welchen Maßnahmen dann getroffen werden müssen, um das zu verhindern…

Jarssum

Große und kleine Vogelscheuchen: Die „staatlichen“ Flatterbänder sollen Brutvögel vertreiben. Jarßum an der Ems, Foto (C): Eilert Voß

Exkurs: Mit der Brutvogelvertreibung hat man beim NLWKN schon Erfahrung. Bereits 2011 wurden im Jarßumer Polder an der Ems Kiebitze und die letzten Rebhühner mit Flatterbändern verscheucht, um dort Kleiboden für den Deichbau zu gewinnen, in einer Pufferzone eines Naturschutzgebietes. Am 31. 03. 2011 titelte die Emder Zeitung: „Vögel sollen am Jarssumer Deich nicht brüten […] Kiebitz und Co. sollen vom Brüten in der NSG-Pufferzone abgehalten werden“, erklärte darin Peter Pauschert, zuständiger Landespflege-Ingenieur beim Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz.

In das Loch, aus dem der Kleiboden entnommen wurde, wird nun Emsschlick eingespült, der bei den Flussvertiefung anfällt; dazu gehört auch der Schlick für die riesigen Musikdampfer der Meyer Werft im binnenländischen Papenburg. Diese Barbarei wurde von der Deichacht Krummhörn damals so verkauft: Den Bürgern sind Tausende Lkws auf öffentlichen Straßen nicht zuzumuten, Kosten würden minimiert und Umweltbelastungen reduziert“. Merke: Nützlicher Kleiboden raus, unnützes Spülgut rein, streng geschützte Vogelarten weg;  die Behörden arbeiten wie gewohnt Hand in Hand zum Schaden der Natur.

19.02.2015
Gemeinsame Presseinformation des NLWKN und der Nationalparkverwaltung
Sandabbau im Vorland Campen: Vorbeugende Maßnahmen zum Brutvogelschutz
Themen: Renaturierung, Küstenschutz
Im Campener Vorland sollen ehemalige Spülfelder abgetragen werden, um Sand für den Deichbau zu gewinnen. Gleichzeitig werden die Flächen nach dem Bodenabtrag wieder dem natürlichen Gezeiteneinfluss ausgesetzt sein. Durch vorbeugende Maßnahmen ist sicherzustellen, dass Brutvögel im Vorfeld und während der Baumaßnahme auf umliegende Flächen ausweichen.
Krummhörn/ Aurich / Wilhelmshaven – Südlich des Campener Leuchtturms beginnen in den nächsten Tagen vorbereitende Arbeiten für die geplante Sandentnahme im Deichvorland. Ab dem Frühjahr soll dort, voraussichtlich bis 2017, aus den hochgelegenen Spülfeldern Sand abgebaut werden, der anschließend für die Erhöhung der Deichstrecke zwischen Campen und Pilsum verwendet wird.
Im Rahmen des derzeit laufenden Zulassungsverfahrens für den Bodenabbau erfolgt eine Abstimmung zwischen der Nationalparkverwaltung, dem NLWKN (Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz), dem Landkreis Aurich und der Deichacht Krummhörn mit dem Ziel, die Maßnahme naturverträglich umzusetzen.
Durch die Anfang der 1980er Jahre – vor Einrichtung des Nationalparks – erfolgten Aufspülungen liegen die Flächen zum Teil mehr als drei Meter über dem Meeresspiegel und werden selbst bei Sturmfluten nur noch selten überspült, so dass sie der natürlichen Dynamik der Vorlandentwicklung weitgehend entzogen sind. Ein Bodenabbau im Nationalpark kommt nur deshalb in Frage, weil der Abtrag eine Maßnahme zur Renaturierung darstellt.
An den Details wird noch gefeilt, aber schon jetzt gilt es dafür zu sorgen, dass sich Vögel nicht die geplante Abbaufläche als Brutrevier aussuchen, sondern gleich auf andere Flächen ausweichen. Deshalb wurde das Gelände jetzt sehr früh gemäht, und voraussichtlich in der kommenden Woche werden Stäbe mit Flatterband aufgestellt. Diese einfache Maßnahme hat sich unter anderem bereits 2011 und 2012 im Jarssumer Polder bewährt, um Verlusten von Gelegen oder Jungvögeln vorzubeugen.

07.07.2015
Pressemitteilung der Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer
Salzwiesenwiederherstellung durch Sandentnahme für den Deichbau
Themen: Salzwiese, Renaturierung
Krummhörn/ Aurich / Wilhelmshaven – Im Deichvorland südlich des Campener Leuchtturm tut sich was. In den nächsten Wochen werden dort die Baggerschaufeln emsig arbeiten. Grund ist die Wiederherstellung der Salzwiesen auf einer Fläche von 18,5 Hektar, die im Zusammenspiel mit dem nahegelegenen Deichbau in Upleward umgesetzt wird.
„Unter natürlichen Bedingungen würden sich hier im Vorland an der Emsmündung Salzwiesen der Brackwasserzone entwickeln“, erklärt Anna Groeneveld, zuständige Gebietsbetreuerin bei der Nationalparkverwaltung. „Doch durch die Anfang der 80er Jahre erfolgten Aufspülungen liegen die Flächen zum Teil mehr als drei Meter über dem Meeresspiegel und werden selbst bei Sturmfluten nur noch selten überspült, so dass sie der natürlichen Dynamik der Vorlandentwicklung weitgehend entzogen sind“. Damit sich im Vorland wieder salzwiesentypische Pflanzen ansiedeln können, muss das Vorland soweit „tiefergelegt“ werden, dass es wieder regelmäßig von Salzwasser überflutet wird.
Realisieren lässt sich dies über einen Sandabbau, der dem Küstenschutz zugute kommt. Der im Vorland entfernte Sand wird voraussichtlich bis 2017 als wichtiger Rohstoff für den Deichkern abgebaut. Das zurückbleibende Gelände soll in Höhenstufen zwischen 1,50 und 1,90 Meter über NN naturnah profiliert werden, so dass sich wieder eine natürliche, dynamische Salzwiesenentwicklung einstellen kann. „Wir freuen uns, etwas Gutes für den Naturschutz vor Ort erreichen zu können und gleichzeitig die Transportwege für den Deichbau immens zu verringern. “ führt Oberdeichrichter Brinkmann von der Deichacht Krummhörn an, die Träger der Maßnahme ist.
Der Abbau findet in der empfindlichsten Schutzzone des Nationalparks, der Ruhezone statt. Gerade hier möchte man eine natürliche Entwicklung der Natur besonders fördern. In enger Abstimmung zwischen der Nationalparkverwaltung, der Deichacht Krummhörn und dem Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) wird die Sandentnahme für die Küstenschutzmaßnahme im Upleward daher so gestaltet, dass umliegende Bereiche möglichst nicht beeinträchtigt werden.
Die Renaturierung ist hierbei aber nur eine Initialzündung. Nach dem Bodenabbau kann das Meer wieder in die Fläche „einschwingen“. Je nach Relief werden Teilbereiche unterschiedlich häufig überflutet, so dass unterschiedliche Salzwiesentypen entstehen. „Das Projekt ist auch deshalb besonders spannend, weil der hier entstehende Lebensraumtyp ‚ Salzwiesen der Brackwasserzone‘ eher selten ist und am Emsästuar sonst nur noch am Dollart vorkommt“, freut sich Anna Groeneveld.

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