Postfaktisches aus dem „Weltnaturerbe“ Wattenmeer: das „Wattenmeerforum“

pinocchio

Pinocchio (Walt Disney 1940)

Das „Wort des Jahres“ 2016, gekürt von der Gesellschaft für deutsche Sprache e.V. (GfdS), heißt „postfaktisch“. Das Wort stehe für einen tiefgreifenden politischen Wandel, heißt es in der Begründung. In politischen und gesellschaftlichen Diskussionen gehe es zunehmend um Emotionen anstelle von Fakten. O-Ton der GfdS:

Das Kunstwort postfaktisch, eine Lehnübertragung des amerikanisch-englischen post truth, verweist darauf, dass es in politischen und gesellschaftlichen Diskussionen heute zunehmend um Emotionen anstelle von Fakten geht. Immer größere Bevölkerungsschichten sind in ihrem Widerwillen gegen »die da oben« bereit, Tatsachen zu ignorieren und sogar offensichtliche Lügen bereitwillig zu akzeptieren. Nicht der Anspruch auf Wahrheit, sondern das Aussprechen der »gefühlten Wahrheit« führt im »postfaktischen Zeitalter« zum Erfolg.

Aber dass auch Teile der Presse Verlautbarungsorgane des Postfaktischen sind, sagt die Gesellschaft für deutsche Sprache als politisch korrekte „Sprachenpolizei“ nicht: weniger Fakten, dafür aber mehr Vereinfachung, das Verschweigen oder „lückige“und geschönte Berichterstattung sowie auch Copy-and-paste-Journalismus statt Recherche. Und genau das merkt der selbständig denkende Nachrichtenrezipient, der nicht mehr bereit ist, als vermeintliche „Tatsachen“ getarnte Meldungen zu akzeptieren.  Was hat das mit dem Wattenmeer zu tun?

Hier ein Beispiel: Am 30. November veranstalteten die Tourismusgesellschaft „Die Nordsee GmbH“ und die Nationalparkverwaltung des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer anlässlich des „Wattenmeerforums“(nein, damit hat der Wattenrat nichts zu tun, das ist der Zusammenschluss der Nutzergruppen mit Sitz in Wilhelmshaven, im selben Gebäude wie die Nationalparkverwaltung!) mit Interessenvertretern des Küstenschutzes, der Fischereiwirtschaft und der Tourismusindustrie in Rysum im Landkreis Aurich eine gemeinsamen Veranstaltung „für eine engere Zusammenarbeit an der niedersächsischen Nordsee“. Wer die WebSeite des „Wattenmeerforums“ mit seinen geschwurbelten, im Stile von Regierungsverlautbarungen verfassten Absichten liest, kann nichts Gutes für den tatsächlichen Schutz des Wattenmeeres erwarten.

Allianz der Nutzer im „Wattenmeerforum“

Wer danach immer noch glaubt, der Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer und das darauf aufgepappte werbewirksame Etikett „Weltnaturerbe“ dienten dem Naturschutz, muss mit dem Klammerbeutel gepudert sein! Die gemeinsame Pressemitteilung der Nationalparkverwaltung in Wilhelmshaven und der Tourismusgesellschaft „Die Nordsee“ (siehe unten) spricht für sich. Alle Wattenmeernutzer von der Fischerei bis zum Massentourismus feiern sich selbst, dank des Etiketts. Und der smarte und wendige Nationalparkleiter Peter Südbeck macht mal wieder den Tourismusförderer statt sich vordringlich und„nachhaltig“ um die Verbesserung der Naturschutzinhalte im Nationalpark zu bemühen. Sollte es irgendwann mal in Niedersachsen ein Tourismusministerium oder eine staatliche PR-Agentur geben, Peter Südbeck – den Kritiker schon als „Mann der leeren Worte“ bezeichneten – wäre die erste Wahl.

Die abträgliche Berufsfischerei – fischereifreie Zonen sind in diesem Schutzgebiet politisch nicht gewollt – im Watt gehört nun zum „“Weltnaturerbe“ dazu. Mit ihren Netzen planieren die Fischer den Wattenboden, die Miesmuschelfischer räumen mit ihren hobelartigen Dredgen und Stahlketten auch aus den strengsten Schutzzonen Muschelbänke ab, dringen mit dieser Fangmethode in das Wattensediment ein und rasieren es ab. Noch 2009 wehrten sich die Küstenfischer gegen die Installation einer Blackbox zur Dokumentation der tatsächlichen Fanggebiete mit dem Argumente der „bürokratischen Exzesse und überzogener Überwachung“ (FischMagazin 7-8/2009). Der enorme abträgliche Beifang, von Fischereifunktionären einfach geleugnet, ist ein weiterer Eingriff in das Wattenmeer-Ökossystem. Erst ab 2017 darf nach einer EU-Vorgabe kein Beifang mehr über Bord gehen (Rückwurfverbot) und muss angelandet werden. Das Problem des ungewollten Beifangs ist damit aber nicht gelöst.

Betonköpfe

Zum „Weltnaturerbe“ gehört nun das „Gänsemanagement“, sprich der angedachte Abschuss der arktischen Zugvögel – vom Wattenmeerforum ausdrücklich unterstützt – , die angeblich die hochsubventionierten Bauern durch Fraß und Köttel verarmen lassen. Viele Salzwiesen in den strengsten Schutzzonen, für die es noch nicht mal ein wirksames Management durch die Nationalparkverwaltung gibt, überwuchern und verquecken seit Jahren durch zu starke Entwässerung und Nichtbeweidung und fallen als ehemalige Äsungsgebiete für die Gänse aus. Hier haben die Betonköpfe des Küstenschutzes immer noch die Hosen an und eben nicht die Nationalparkverwaltung.

Riesige Flächen binnendeichs direkt am Nationalpark – früher Rast- und Nahrungsplätze von Zugvögeln -sind mit Windparks vollgestellt. In der Zugroute von Sing-, Wat- und Wasservögeln wird derzeit der Nearshore-Windpark „Nordergründe“ nur 560 Meter von der Nationalparkgrenze entfernt in der Außenweser errichtet, mit vehementer Unterstützung des Landes Niedersachsen. Für diese Karikatur eines Weltnaturebes sind diese postfaktischen „Naturschützer“ und -nutzer des Wattenmeerforums blind.

Belastungsfaktor Massentourismus

Der Massentourismus an der Küste ist einer der Hauptbelastungsfaktoren im Großschutzgebiet Nationalpark. Strandbrüter wie Regenpfeifer oder Zwergseeschwalben stehen daher kurz vor dem Aus im Nationalpark. Peter Südbeck hat zu allem Überfluss zusammen mit mehreren Fremdenverkehrskommunen nach der Ausweisung des Wattenmeers als „Weltnaturerbe“ nach 2009 flugs zahlreiche Kitesurferspots von Cuxhaven bis Emden einrichten lassen, für ein neues Marktsegment der Branche, aber ohne die vorgeschriebenen vorherigen Verträglichkeitsprüfungen in diesem Natura-2000-Gebiet.

Meeresspiegelanstieg?

Und der „Klimawandel“ wird auch wieder aus der Kiste geholt, obwohl es keine Indizien dafür gibt, dass der aktuelle Klimahype mit dem Meeresspiegelanstieg an der Küste von derzeit 1,7 Millimetern im Jahr oder 17 Zentimetern im Jahrhundert zusammenhängt. Der Meeresspiegel an der südlichen Nordsee steigt seit 12.000 Jahren nach der letzten Weichsel-Kaltzeit kontinuierlich an. Dieser „säkulare“ Anstieg ist nichts Neues, die Pegel zeigen keinen dramatischen Anstieg an, dennoch wird wieder mittelfördernd in Alarmismus gemacht.

Naturschutzverbände?

Was sagen eigentlich die 15 „anerkannten“ Naturschutzverbände in Niedersachsen dazu, dass der Zusammenschluss der Nutzergruppen im „Wattenmeerforum“ mit aktiver Unterstützung des Nationalparkleiters Peter Südbeck nun das „Weltnaturerbe“ für sich vereinnahmt haben und weitermachen wie bisher? 2006, vor zehn Jahren veröffentlichten Verbände mit nicht unerheblicher Unterstützung des Wattenrates zuletzt eine kritische „Nationalparkbilanz“ (.pdf Nationalparkbilanz_2006).

In postfaktischen Zeiten wäre die schonungslose Neuauflage einer Bilanz über den tatsächlichen Zustand des Nationalparks und des „Weltnaturerbes“ mit seinen bremsenden und mit der Wahrheit jonglierenden Akteuren dringend geboten, wäre da nicht die Abhängigkeit der Verbände von Fördertöpfen, die vom Land Niedersachsen verwaltet werden…

Pressemitteilung von der Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer und Die Nordsee GmbH, 01. Dezember 2016

7. Weltnaturerbeforum: alle an einem Tisch

Schortens/Rysum, 1. Dezember 2016 – Das diesjährige Jubiläum des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer inspirierte die Organisatoren des 7. Weltnaturerbeforums dazu, einen Blick in diese 30-jährige Geschichte zu werfen. Am 30. November brachten Die Nordsee GmbH und die Nationalparkverwaltung erstmalig Interessensvertreter aus Naturschutz, Küstenschutz, Fischereiwirtschaft und Tourismus zu einer gemeinsamen Gesprächsrunde zusammen. Nach Impulsvorträgen aus eben diesen Bereichen diskutierten die 85 Teilnehmer Ansätze für eine engere Zusammenarbeit an der niedersächsischen Nordsee. Zum Thema Fischerei äußerte sich Dirk Sander, Präsident des Landesfischereiverbandes Weser-Ems: „Vor 50 Jahren gab es nur wenig Tourismus, wenig Sportboote. Die kleinen Küstenorte hatten ihre aktiven Kutterflotten und lebten von der Fischerei. Die Menschen haben sich aus der Natur, speziell aus der Nordsee ernährt. Selbst der Beifang wurde mit an Land gebracht und verkauft“, erinnerte Sander. Heute gebe es nur noch 132 aktive Kutter an Niedersachsens Küste, die jährlich 32.000 Tonnen Fisch und 6.000 Tonnen Krabben in die verbliebenen Fischereihäfen bringen. Beifang gebe es kaum noch, so der ehemalige Fischer. Die Fischer haben sich aus freien Stücken für spezielle Fangnetze entschieden, die keinen Beifang mehr mit an die Küste bringen.

Mittlerweile leben auch die Fischer vom Tourismus. Einige, speziell dafür umgebaute Kutter nehmen Gäste mit auf Schaufisch-Fahrten und Nationalpark-Erlebnisfahrten. Touristisch sei es durchaus interessant, die Fischerei mitzuerleben, bestätigten die teilnehmenden Touristiker. Dies ist auch möglich mit besonderen Kutterfahrten und Nationalpark-Erlebnisfahrten mit Schaufischen.

Küstenschutz bleibt wichtiges Thema für regionale Entwicklung

Heiko Albers, Präsident des Wasserverbandtags e. V., thematisierte in seinem Impulsreferat den Anstieg des Meeresspiegels. Die Aufgabe des Küstenschutzes sei es, die Menschen vor dem steigenden Wasser zu schützen. Der alte Spruch „Well nich will dieken, de mutt wieken“, gilt auch heute noch, versicherte Albers. Als Konsequenz aus früheren Katastrophen entstand der Generalplan zum Küstenschutz, der in den Folgejahren immer wieder angepasst wurde. Ab 1986 begann die Nationalparkverwaltung ihre Arbeit. Albers bewertete die Zusammenarbeit zwischen Küstenschutz und Nationalparkverwaltung als stets sinnvoll und konstruktiv, wenngleich es zu Beginn ein paar Anlaufschwierigkeiten gab.
Mit dem Klimawandel muss sich auch der Küstenschutz neuen Herausforderungen stellen: Deicherhöhung um einen Meter bei gleichzeitiger Deichverbreiterung um ca. zehn Meter, Kleibodengewinnung und das sogenannte Gänse-Management stehen aktuell auf dem Plan.

Kultur trifft Natur im UNESCO-Weltnaturerbe Wattenmeer

Walter Theuerkauf, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Kulturschatz Bauernhof, zeigte den Zusammenhang zwischen Kultur und Natur auf. Die Menschen an der Küste mussten sich mit dieser dynamischen Natur arrangieren. Der Deichbau war eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung dieses Lebensraumes. Dieser war wiederum stark mit den Klöstern des 11. und 12. Jahrhunderts verbunden. „Die Mönche brachten Wissen an die niedersächsische Nordseeküste“ sagte Theuerkauf. Ähnlich wie beim UNESCO-Weltnaturerbe Wattenmeer gelte es auch hier ein kulturelles Erbe zu schützen.

Doch wie sollen Natur und Kultur an den Touristen gebracht werden? Wie werden vor allem junge Leute motiviert, sich mit der Geschichte einer Region oder dessen Kultur zu beschäftigen. „Wir benötigen spannende Angebote, in denen sich Erlebnis und Bildung zu den Themen Natur und Kultur miteinander verbinden“, so Roger Staves, Leiter der Bildungsabteilung im UNESCO-Weltnaturerbe Wattenmeer Besucherzentrum in Wilhelmshaven. Im Tourismus gilt es Geschichten zu erzählen. Das sogenannte Storrytelling muss für die einzelnen Zielgruppen spannend aufbereitet werden, so die Teilnehmer der Arbeitsgruppe. Junge Menschen lassen sich sehr gut über die sozialen Kanäle erreichen. „Mit einem Bild des typischen Ostfriesentees erlangt man schnell viele Likes“, so Oliver Knagge von der Ostfriesland Tourismus GmbH. Es gibt so viele Möglichkeiten, selbst Kinder für die Themen Heimat, Kultur oder Kunst zu begeistern“, bestätigt auch Michael Diers von der Wilhelmshaven Touristik und Freizeit GmbH. Nach einer erfolgreichen Entwicklung des Streetart Festivals entstehen in der Jadestadt immer mehr Kunstwerke an Häuserwänden.

Es zeigt sich, wie tief das Weltnaturerbe mittlerweile in der Region verankert ist und wie ein moderner Tourismus gestaltet ist, der diesen umfassenden Anspruch an Schutz und Nachhaltigkeit erfüllt“, so Peter Südbeck, Leiter der Nationalparkverwaltung, nach der Veranstaltung. „Durch die intensive Diskussion in den drei Arbeitsgruppen sind zahlreiche Ideen für die Verknüpfung von Naturschutz, Fischerei, Küstenschutz und Kultur entstanden, die es in ein nachhaltiges Tourismusangebot umzusetzen gilt“, fügte Carolin Wulke, Geschäftsführerin der Nordsee GmbH hinzu.

Zum Abschluss gab es noch eine gute Nachricht: An diesem Tag erhielt die Stadt Wilhelmshaven aus Berlin den offiziellen Bescheid über die Fördergelder für das Weltnaturerbe-Partnerzentrum, das in Wilhelmshaven entstehen soll.

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