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Startseite > Aktuelles > Artikel Nr. 101 (10.05.2005)

Burkhard Lenniger: ein Watten-Filmer und das Finanzamt

Forschungsschiff oder Freizeitdampfer?
Cuxhavener Finanzbeamte sind unfehlbar und setzen eine Existenz auf Grund.

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Die glauben, wir machen da Urlaub

Hitziger Streit um das Forschungsschiff "Pirol" zwischen dem Finanzamt Cuxhaven und dem Tierfilmer Burkhard Lenniger

Die Pirol in niederländischen Gewässern Otterndorf. Burkhard Lenniger erinnert sich noch gut an jenen Tag vor vier Jahren, als ihn der Steuerprüfer fragte: "Was wollen Sie denn mit den ganzen Fernsehern hier?" "Das sind keine Fernseher, das sind Monitore", antwortete der Dokumentarfilmer Lenniger mit Blick auf die Bildschirme über seinem Schneidetisch. Worauf der Beamte laut Lenniger entgegnete: "Was das hier ist und was nicht, das müssen Sie schon mal mir überlassen."

Die Begegnung der etwas anderen Art in seinem Studio war Teil einer Auseinandersetzung, die Burkhard Lenniger an den Rand des Ruins getrieben hat. Das Finanzamt in der Kreisstadt Cuxhaven, so vermutet der ehemalige Kriminalbeamte, der den Staatsdienst infolge einer schweren Krankheit verließ, will ihn zur Strecke bringen. Aber Lenniger sieht sich noch lange nicht am Boden: "Bei mir treffen die auf einen Knochen, den sie nicht verdauen können."

Aktuelle Schiffsansicht Im Zentrum des Konflikts steht die "Pirol", das Schiff, von dem aus der 49jährige zusammen mit seiner Ehefrau, einer Lehrerin und studierten Biologin, Vögel im Watt beobachtet und mit versteckter Kamera filmt. Den Kutter hat Lenniger vor elf Jahren für 455.000 Mark in den Niederlanden gekauft. Die Filme, soweit es sich nicht um Auftragsarbeiten handelt, gelangen über die Landes-, Kreis- und Stadtbildstellen an Schulen, wo sie im Unterricht verwendet werden. Lennigers haben Auszeichnungen gewonnen für ihre Naturfilme über seltene, scheue Vögel, über das Leben im Wattenmeer. Vor einem Jahr gratulierte der niedersächsische Kultusminister Bernd Busemann Angelika Lenniger schriftlich zur Verleihung des Comenius-Siegels für die DVD ... jeder cm zählt ..., Hochwasser(schutz) am Niederrhein. 30 nationale und internationale Auszeichnungen hat das Paar aus Otterndorf eingeheimst, siebenmal wurden die Produktionen von der Filmbewertungsstelle in Wiesbaden mit dem Prädikat "wertvoll" versehen.

Doch die Behörde in Cuxhaven pflegt ihre eigene Sicht über das, was auf der Pirol vor sich geht. Sie mag das Schiff nicht zu 100 Prozent als Arbeitsmittel anerkennen. "Eine erhebliche private Mitbenutzung ist im Hinblick auf den Freizeitgegenstand und Mitnahme der Ehefrau nicht ausgeschlossen", verkündet das Amt. Außerdem macht es Burkhard Lenniger zum Vorwurf, daß er das Schiff in der Zeit, in der er es nicht für Filmaufnahmen nutzt, verchartern wollte: "Eine eigene private Nutzung (. . .) liegt daher nahe." Das Ergebnis: eine Steuernachforderung über rund 60.000 Euro. Lenniger: "Die glauben, wir machen da Urlaub und halten zwischendurch die Kamera raus. Aber Fakt ist: Ohne das Schiff könnten wir das Genre Naturfilm nicht ausfüllen."

Da sich der Filmemacher weigert, den Rechtsstandpunkt der Behörde zu akzeptieren, hat diese Zwangsmaßnahmen ergriffen: Sie hat sein Haus in Otterndorf mit einer Zwangshypothek belegt und droht mit der Versteigerung seines Besitzes.

FilmarbeitenWie hart die Sache werden würde, hat Lenniger schnell erkannt. "Das Schiff bringen Sie hier nicht durch", habe ihm eine Steuerprüferin schon am 24. Juni 1996 verkündet, im übrigen sei ihre Position mit der Rechtsbehelfsstelle abgestimmt. Mit der Stelle also, die Einsprüche gegen Steuerbescheide verhandelt. Ein durchaus übliches Verfahren, wie ein Kenner der Materie versichert, das dem Steuerprüfer Einblick in die Rechtslage verschaffen soll.

Lennigers Steuerberater zieht andere Schlüsse aus diesem Einblick in innerbehördliche Abläufe: "Wie bitte schön verhält es sich hier mit der Rechtsstaatlichkeit des Besteuerungsverfahrens, wenn der Steuerpflichtige von vornherein nicht einmal den Hauch einer objektiven Beurteilung des Sachverhaltes durch eine andere Dienststelle hat, weil das Ergebnis vorher intern abgesprochen wurde?"

Lenniger hat versucht, das Finanzamt davon zu überzeugen, daß er seinen Kutter ausschließlich als Arbeits- und Forschungsschiff nutzt. Zu diesem Zweck stellte er vor zwei Jahren ein Paket zusammen: Nachweise für Telefongespräche, Kalenderbücher. Doch bei der Übergabe kam es offenbar zu einer denkwürdigen Szene. Der Steuerberater erinnert sich, daß der Beamte die vorgelegten Nachweise "in hohem Bogen auf den Fußboden des Amtes warf". In einem Brief an das Niedersächsische Wirtschaftsministerium fragt er: "Wer kann diesen 'Irrsinn' stoppen und (. . .) ein geordnetes Verfahren garantieren?"

SchnepfeDer Streitfall, der vor dem Finanzgericht anhängig ist, sorgt mittlerweile auch über die Grenzen des Kreises Cuxhaven für Aufsehen. "Ein Forschungsschiff ist (. . .) für einen in der Vermittlung von Ergebnissen der Meeresforschung Tätigen ein notwendiges Werkzeug", stellt Professor Gerd Liebezeit vom Forschungszentrum Terramare in Wilhelmshaven fest. Auch die Hochschule für Film und Fernsehen "Konrad Wolf" in Babelsberg macht sich stark für den Dokumentarfilmer, ebenso wie die Vogelwarte Helgoland: "...ist das Forschungsschiff als Voraussetzung für die Arbeiten von Burkhard Lenniger ein unerläßliches Arbeitsmittel, das es steuerlich entsprechend zu berücksichtigen gilt." Der Westdeutsche Rundfunk hat in einem Markt-Beitrag berichtet, der grüne Landtagsabgeordnete Hans-Jürgen Klein wollte vom niedersächsischen Finanzminister Hartmut Möllring wissen: "Welche Möglichkeiten hat ein Steuerpflichtiger gegen eine auch nach meinem Eindruck falsche Darstellung des Sachverhaltes in den Akten, wenn die Beteiligten Korrekturen verweigern?"

FilmarbeitenKlein fordert den Minister auf, "mögliche Mißstände in der Finanzverwaltung zu überprüfen" und schlägt vor, die Steuersache Lenniger durch ein anderes Finanzamt bearbeiten zu lassen. Auch David McAllister, der Vorsitzende der CDU-Fraktion in Hannover, hat sich eingeschaltet und hofft, "daß wir eine befriedigende Lösung finden werden."

Bereits Ende 2003 hieß es in einer Stellungnahme aus dem Hause der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, es sei "nicht völlig abwegig, der Frage nachzugehen, ob die Mahnahmen der Finanzbehörden in Ihrem Fall einen Eingriff in die nach Artikel 5 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes verbürgte Freiheit der Kunst darstellen könnte." ("Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.")

Studioarbeiten am MonitorVor wenigen Tagen hat der Dokumentarfilmer erneut Post aus der Landeshauptstadt erhalten: Ministerpräsident Christian Wulff sagt Lenniger "eine Prüfung Ihres Anliegens" durch das Finanzministerium zu. Das Ergebnis teilte Finanzminister Hartmut Möllring dem Abgeordneten Klein mit. In einem dreiseitigen Schreiben vom 5. Oktober 2004 referiert er die Auffassung des Finanzamtes. Der Brief gipfelt in dem Hinweis: "Nach alledem würde es zu dem von Ihnen gewünschten Neuanfang beitragen, wenn sich Herr Lenniger wegen der Tilgung der rückständigen Beträge mit dem Finanzamt Cuxhaven in Verbindung setzen und dabei seine grundsätzliche Bereitschaft zum Ausdruck bringen würde, die Rückstände zu begleichen." - Ein ministerieller Freibrief für Behördenwillkür. In einer Antwort des Ministeriums im Auftrage von Ministerpräsident Wulff vom 11. Oktober 2004 an Lenniger bezieht sich dieses ausdrücklich auf Möllrings Brief an Klein und betont noch einmal, der Tierfilmer solle einfach zahlen.

StelzenläuferZum Schluß eines Telefonates mit dem Journalisten Jürgen Streich autorisierte der Geschäftsführer der CDU-Fraktion im niedersächsischen Landtag, Ulrich Dütemeyer, lediglich dieses Zitat: "Wir sehen keine andere Möglichkeit, als uns den Ausführungen des Finanzministers anzuschließen." Zuvor hatte er in dem Gespräch - obwohl es im leid tue - ebenfalls die Position des Finanzamtes und -Ministers übernommen und Möglichkeiten der Einflußnahme seiner Fraktion, die in Hannover die Mehrheit hat, in Abrede gestellt. So schreitet das Finanzamt dann auch zügig weiter auf dem einmal eingeschlagenen Weg. Aus einem Schreiben der Behörde an Lenniger vom 7. Oktober 2004: "Eine ausschließliche bzw. überwiegende betriebliche Nutzung (der Motorsegelyacht "Pirol") konnte bisher weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht werden. Eine erhebliche private Mitbenutzung ist nicht ausgeschlossen und muss entsprechend berücksichtigt werden. Unter Einbeziehungen der getroffenen Feststellungen des Betriebsprüfung beabsichtige ich 65 % der Gesamtkosten der Jacht als nichtabzugsfähige Betriebsausgaben vom Abzug auszuschließen."

Das Finanzamt Cuxhaven landete bei einer Bewertung in Sachen Know How und Service aller 572 deutschen Finanzämter übrigens auf Platz 538.

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