Wattenrat

Ost-Friesland

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Startseite > Aktuelles > Artikel Nr. 196 (Oktober 2006)

EU-Kommission hat Beschwerdeverfahren eingestellt

Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer: EU-Kommission stellt Beschwerdeverfahren gegen Herausnahme oder Herabstufung von fast 90 Teilflächen nach fünf Jahren ein

Im Dezember 2001 überbrachten Mitglieder des Wattenrates der EU-Kommission in Brüssel eine vierbändige, mehrere hundert Seiten umfassende detaillierte Beschwerde gegen die Herausnahme oder Herabstufung von fast 90 botanisch oder avifaunistisch wertvollen Teilflächen aus dem Nationalpark Niedersächisches Wattenmeer. Jede beschriebene Fläche wurde mit Karten- und/oder Bildmaterial dokumentiert. Das Land Niedersachsen hatte 2001 das Nationalparkgesetz auf Drängen der Tourismusindustrie novelliert. Im Eingangsbescheid vom 30. Jan. 2002 sicherte die Kommission damals zu, die Beschwerde "umfassend in fachlicher und rechtlicher Hinsicht zu prüfen". Die Beschwerde wurde unter der Nummer 2002/4099 registriert und in ein laufendes Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingearbeitet (Verfahren 1995/2225).

Material

Nichts mehr davon: Die Beschwerde wurde nach fünf Jahren eingestellt (Siehe Wortlaut in dieser pdf-Datei, ca. 12 KB.) Es geht der EU-Kommission wohl nicht mehr um eine inhaltlich richtlinienkonforme Bewertung, sondern nur darum, dass Deutschland nun prozentual ausreichend Gebiete gemeldet hat, also mehr um die Form als um den naturschutzfachlichen Inhalt. Dabei ist der Nationalpark niedersächsisches Wattenmeer auf seiner gesamten Fläche bereits seit Jahren gemeldetes Vogelschutzgebiet und bis auf die Erholungszonen FFH-Gebiet, gehört also bereits zum Schutzgebietssystem "Natura-2000" und wurde gezielt von der niedersächsischen Landesregierung mit der Gesetzesnovellierung demontiert.

In der "mit Gründen versehenen Stellungnahme" der EU-Kommission vom 10. April 2006 (siehe "Blauer Brief" aus Brüssel) hieß es noch, dass die die Herausnahme der Gebiete aus dem Nationalpark "gesondert geprüft" werde. Gründlich kann diese Prüfung nicht gewesen sein, das hätte in den vergangenen fünf Jahren längst geschehen müssen, nicht erst seit dem 10. April 2006. Das Verschlechterungsverbot im Nationalpark nach den Natura-2000-Richtlinien von der EU-Kommission nicht gewürdigt. Politische, nicht fachliche Gründe, dürfen vermutet werden, gab es doch in den letzten Monaten einen regen Reiseverkehr niedersächsischer "Offizieller" gerade wegen der Nachmeldepraxis nach Brüssel.

Fazit: Bei dieser "Qualität" der Prüfung durch hochbezahlte Mitarbeiter der EU erübrigen sich in Zukunft wohl Beschwerden dieser Art, die gravierende fachliche Missstände in den "ausreichend" gemeldeten Flächen aufzeigen.

Beispiele gibt es hier in der Region schon genug: Der Wybelsumer Polder bei Emden als "faktisches Vogelschutzgebiet", in dem sich mittlerweile mehr als 40 riesige Windkraftanlagen direkt am Dollart drehen. Die Beschwerde des Wattenrates wurde nach sieben Jahren eingestellt, die WKA in dieser Zeit fleißig gebaut (siehe Windpark Wybelsumer Polder bei Emden) Mit dem Schreiben vom 10. April 2006 forderte die Kommission aber von der Bundesregierung eine Nachmeldung des Wybelsumer Polders als Vogelschutzgebiet. Das ist rational nicht mehr nachzuvollziehen. Das NSG "Petkumer Deichvorland" bei Emden, Teil des SPA V10, wurde mit einem illegal gebauten Betonweg als Nebenprodukt des Ems-Stauwerkes verziert und sofort nach einer fachlich zweifelhaften "Verträglichkeitsprüfung" für den Besucherverkehr befristet im Juli bis September geöffnet. Der Weg soll nun entgegen der Verträglichkeitsprüfung auf politischen Druck ganzjährig geöffnet werden. Genutzt wurde er rechtswidrig ohnehin schon vorher ganzjährig, mit erheblichen Folgen für die Brut- und Rastvögel, in einem SPA! (siehe Dokumentation über das Naturschutzgebiet "Petkumer Deichvorland" bei Emden) Die EU-Kommission (ENV D.2, Martina Doppelhammer) nahm dies Beschwerde des Wattenrates dazu noch nicht einmal an.

Die beamteten Sessel-Europäer, die vermutlich nie die zu Tausenden panisch auffliegende Nonnengänse oder Brachvögel an ihren Rast- und Schutzgebieten durch Freizeitbewegte gesehen haben, werden indes weiter schöne Karten und Broschüren von FFH- und Vogelschutzgebieten herausgeben, auf denen auf dem Papier die europäische Natura-2000-Welt in Ordnung ist, aber eben nur da.

 
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