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Norddeutsche Naturschutzakademie - NNA Berichte 3/96

Wie eine Landschaft unter die Windräder gekommen ist

Die Situation

Die historische Kulturlandschaft der ostfriesischen Marsch am Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer erlebt derzeit die einschneidenste Veränderung seit dem Bau der Seedeiche. Die großräumige flache Kulturlandschaft wandelt sich zur Industriefläche.

Sogenannte "Windparks" bestimmen zunehmend den Charakter der ehemals weiten und unverwechselbaren Weide- und Ackerlandschaft an der Nordsee. Die Ursache für die Landschaftsveränderung liegt in der Vorgabe des Niedersächsischen Landesraumordnungsprogrammes, das die Landkreise zur Bereitstellung einer bestimmten Megawattleistung aus Windkraftwerken verpflichtet. Die Kommunen stellen durch Änderung der Flächennutzungspläne entsprechende Flächen bereit. Hier beginnen die Begehrlichkeiten. Durch die garantierte höhere Einspeisevergütung des erzeugten Windstromes in das Netz der Energieversorgungsuntenehmen läßt sich bereits mit einem Windkraftwerk sehr viel Geld verdienen.
Die Bauern, die oft selbst Betreiber oder gar Gemeinderatsmitglied sind, erhalten im Ostfriesland 10000 DM und mehr Pacht im Jahr nur für einen Standplatz einer Anlage.

Das Beispiel, das kein Einzelfall ist

Der "größte Windpark Europas", so die Betreiberfirma Germania-Windpark GmbH & Co KG, hinter der sich allem mit 35 Anlagen die Herstellerfirma Tacke in Salzbergen verbirgt, entsteht zur Zeit westlich von Esens in der Gemeinde Holtgast im Landkreis Wittmund. Hier sollen auf 190 Hektar Fläche (das sind fast zwei Quadratkilometer) insgesamt 41 Windkraftwerke des Windparks Utgast II mit einer Rotorspitzenhöhe von 72,5 m im Sommer 1996 ans Netz gehen.
Ein Teil des Windparks hat schon einen neuen Eigentümer, 20 Anlagen wurden an eine GmbH in Regensburg verkauft. Seit 1994 drehen sich bereits in unmittelbarer Nähe dieser Fläche 7 Anlagen der Firma AN BONUS im Windpark Utgast l, die nur unwesentlich kleiner sind.
Mit rechten Dingen ging die Ausweisung dieses riesigen Kraftwerkstandortes in der Marsch nicht zu. Zunächst wurde von der Bezirksregierung Weser-Ems ein Raumordnungsverfahren durchgeführt, da der Landkreis Wittmund über kein regionales Raumordnungsprogramm verfügt. Betroffene Bürger sammelten in dieser Zeit mehr als 300 Unterschriften gegen den Industriestandort auf der grünen Weide. Das Verfahren wurde abgebrochen und durch die Änderung eines Flächennutzungsplanes in der Samtgemeinde Esens ersetzt.

Im Gemeinderat Holtgast bestand die SPD Minderheitsfraktion auf der zusätzlichen Ausweisung eines Bebauungsplanes, um Einfluß auf die Anlagengröße und die Standorte nehmen zu können. Mit diesem Antrag wollte man Rücksicht auf die zu erwartende Lärmbelästigung der Anwohner und die Wertminderung der Hauser nehmen. Am 26 Mai 1995 wurde dieser Antrag mit fünf zu vier Stimmen durch die Mehrheitsfraktion Freie Wählergemeinschaft Holtgast (FWH), hinter der sich mehrheitlich CDU Mitglieder verbergen, abgelehnt. Zwei Mitglieder der FWH waren von der Abstimmung ausgeschlossen, da sie direkt oder durch Familienangehörige mit mehreren Anlagen am Windpark beteiligt sind. Genau einen Tag vorher schlossen der Gemeindedirektor und der stellvertretende Bürgermeister einen Vertrag mit der Firma Germania Windpark, die durch den Hersteller Tacke vertreten war. Tacke verpflichtete sich dann, der Gemeinde 500000 DM zu zahlen, im Gegenzug verpflichtete sich die Gemeinde "alles zu tun, daß die Windenergieanlagen behördlich genehmigt werden". Dies rief zunächst den Staatsanwalt auf den Plan, die Bezirksregierung Weser Ems erklärte den Vertrag für rechtsunwirksam. Der Vertrag wurde anschließend in eine Schenkung umgewandelt! Ein Teil des Geldes soll den örtlichen Sportlern für ein Leistungszentrum zur Verfügung gestellt werden.

Damit nicht genug.
Im Januar 1996 entdeckten Anwohner, daß in den Untergrund des eigens für den Windparks gebauten 10 km befestigten Straßennetzes Müll eingebracht wurde. Die stillgelegte Deponie eines Nachbarortes verschwand so unter der Erde. In den darauffolgenden Tagen kontrollierten Hubschrauber der Polizei das Baugebiet.
Der Flächennutzungsplan der Samtgemeinde Esens geriet ins Fadenkreuz des Naturschutzes. Örtliche Mitarbeiter der Konferenz der Natur- und Umweltschutzverbände Ost-Frieslands prüften die Antragsunterlagen und stellten fest, daß die vorgeschriebene Flächenerfassung und -bewertung fehlerhaft waren. Das Planungsbüro, das gleichzeitig Gutachterfunktion übernimmt, hatte es unterlassen, flächenbezogene faunistische Daten für dieses Gebiet zu erheben, wie es die Eingriffsregelung in der Bauleitplanung vorsieht. Statt dessen wurden Daten aus dem Bereich der gesamten ostfriesischen Küste für das Gebiet extrapoliert.

Unzureichender Naturschutz

Das Land Niedersachsen ist für die unzureichende Berücksichtigung der naturschutzrechtlichen Belange mitverantwortlich. 1994 erläuterte die Fachbehörde Naturschutz des Niedersächsischen Landesamtes für Ökologie (NLO) dem Umweltministerium in Hannover mit einem Fachgutachten, daß die Windkraftstandorte mit dem internationalen Vogelzug kollidieren wurden, daß Ausschlußgebiete definiert und fehlende Daten erhoben werden müßten. Das Umweltministerium wies daraufhin am 6. Juni 1994 das NLO an, "aus fachlichen Gründen" die Fachkarten zu überarbeiten; von der Verwendung des Begriffs "Ausschlußgebiete" sei abzusehen und Flächen der "wahrscheinlichen Ausschlußgebiete" seien ganz zu streichen. Wegen des "Uberarbeitungsbedarfes der Karten" sei von "jeglicher Weitergabe an Dritte dringenst abzusehen".

In einem Brief an die Oberkreisdirektoren der Küstenlandkreise vom 25.10.1994 pries die niedersächsische Umweltministerin Griefahn die nun überarbeitete Karte als "hilfreiches Material für den Verwaltungsvollzug: Es wird die Planungssicherheit für Windenergieanlagen stärken und gleichzeitig den Schutz bedeutender Vogelbrut- und Rastgebiete verbessern". Sie stellte weiter fest, daß "die Belange der Windkraft denen des Landschaftsschutzes in der Regel überwiegen".

Der Windpark Utgast ist kein Einzelfall

Die Belange des Landschaftsschutzes und des Naturschutzes sind in der Tat unter die Windräder gekommen: Utgast bei Esens ist kein Einzelfall. In der Gemeinde Dornum im Nachbarkreis Aurich wurde ein Windkraftwerk von 18 Anlagen genau in einem "national bedeutsamen Rastgebiet für Wat- und Wasservögel" errichtet. Ein Betreiber ist der ehemalige Bundesgeschäftsfuhrer des BUND, der gleichzeitig Ratsmitglied der Gemeinde ist.

Östlich der Leybucht stehen in einem "international bedeutsamen Rastgebiet" für Goldregenpfeifer und Große Brachvögel vier Windkraftwerke; im Landkreis Leer wachsen die ersten Anlagen in einem potentiellen Flora-Fauna-Habitatgebiet nach EU-Richtlinien aus dem Boden.

In Westerholt, nur wenige Kilometer westlich vom Windpark Utgast, steht die Planung für 34 Windkonverter von 102 m Rotorspitzenhöhe vor dem Abschluß.

Die Auswirkungen

Das Land Niedersachsen berücksichtigt offenbar auch nicht die Vorgaben der sechsten trilateralen Regierungskonferenz zum Schutz des Wattenmeeres 1991 in Esbjerg, daß beim Bau von Windenergieanlagen in einer an das Wattenmeer angrenzenden Zone der Gesamtcharakter des Wattenmeeres hinsichtlich Ökologie und landschaftlicher Schönheit zu berücksichtigen sei. Flora-Fauna-Habitatgebiete wurden erst gar nicht an die EU gemeldet.

Viele Wat- und Wasservögel auf dem Zuge haben bereits mit ihren Flügeln deutlich gemacht, was sie von der Landschaftsveränderung halten: Die Windkraftanlagen werden weiträumig gemieden, einige traditionelle Rastplatze sind bereits zerstört.

Inzwischen drehen sich mehr als 1.000 Windturbinen im Regierungsbezirk Weser-Ems, noch einmal 1.000 befinden sich im Genehmigungsverfahren.
In einigen betroffenen Dörfern spaltete die Windkraftnutzung bereits die Dorfgemeinschaften, auf der einen Seite wird an der Windkraft verdient, auf der anderen Seite fürchten Vermieter um ihre Fremdenverkehrsgäste und die Wertminderung ihrer Häuser.

Die Forderungen

Statt den Landkreisen megawattbezogen die Ausweisung von Windkraftstandorten durch die Kommunen zu überlassen, bedarf es der raumordnerischen Festlegung von Flächen für Windkraftwerksstandorte, die Rücksicht nehmen auf die Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes und die Eigenarten und Schönheiten der Landschaft.
Wie die Vergangenheit in Ostfriesland gezeigt hat, wurden die Landkreise von den Antragstellern boomartig überrollt. Die Rechtsaufsicht bei der Genehmigung von vielen zweifelhaften Windkraftwerksstandorten war mangelhaft und bedarf der Verbesserung.
Grundsätzlich sollten Raumordnungs- verfahren durchgeführt werden, bei denen die anerkannten Naturschutzver- bände zu beteiligen sind.
Die Naturschutzverbände sollten offensiver die Probleme der Windkraftnutzung in sensiblen Bereichen thematisieren und öffentlichen Druck auf die Landesregierung ausüben.

Was sagt die Fremdenverkehrswirtschaft?

Ostfriesland ist im Küstenbereich abhängig von der Vermarktung der Landschaft.
Der Tourismus boomt (noch). 13 Millionen offizielle Übernachtungen werden jährlich gezählt. Die Industrie und Handelskammer für Ostfriesland und Papenburg warnt schon seit Jahren vor dem weiteren Ausbau der Windkraft an der Küste; als Grund wird vor allem die Gefährdung des Fremdenverkehrs gesehen.

Der Kurdirektor von Esens-Bensersiel will aus der Not eine Tugend machen. Ihm sei nicht ganz wohl beim Anblick der Windenergieanlagen im Windpark Utgast, die vom Bensersieler Strand im wahrsten Sinne des Wortes hervorragend zu sehen sind. "Wir müssen das beste daraus machen und Führungen für die Touristen anbieten und ihnen außerdem sagen, daß sie in die andere Richtung schauen sollen", zitiert ihn die Lokalzeitung.
Eine Leserbriefschreiberin brachte es auf den Punkt: "Ostfriesland ist nur noch im Nebel zu ertragen; da sieht man die Windmühlen nicht und die Tiefflieger bleiben auch weg."


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Anschrift des Verfassers:
Manfred Knake
Brandshoff 41
26427 Esens

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