Wattenrat

Ost-Friesland

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Startseite > Aktuelles > Artikel Nr. 313 (Juni 2009)

Noch ein Etikett: UNESCO-Weltnaturerbe für das Wattenmeer

Ein politisch inszenierter Etikettenschwindel - Bärendienst der IUCN

von Manfred Knake

Nun ist es vollbracht: Das Wattenmeer von Texel bis Sylt erhält den begehrten Titel "UNESCO-Weltnaturerbe", im spanischen Sevilla wurde am 26. Juni 2009 die Entscheidung von der 21-köpfigen UNESCO-Auswahlkommission aus allen Ländern nur nach Aktenlage durchaus nicht überraschend verkündet, die Entscheidung stand schon seit einigen Wochen fest. Die Presse überschlug sich im Jubel der Superlative, nur weil ein räumlich völlig entrücktes Gremium in Sevilla ein neues Etikett auf dieses Großschutzgebiet geklebt hatte, das viele der Kommissionsmitglieder noch nie gesehen haben. Am selben Tag feierte Niedersachsens Umweltminister Sander bereits eine Strandparty in Cuxhaven. Er verkündete dort laut, aber falsch: Die Anerkennung durch die UNESCO honoriere den Schutz als Nationalpark wie er seit mehr als 20 Jahren bestehe.

Der Wattenrat meint, es gibt nichts zu feiern, dieses Prädikat dient nur der Tourismusindustrie und dem Marketing für noch mehr Touristen in einer ohnehin überlaufenen Naturlandschaft, 30 Millionen Übernachtungen zählt alleine Niedersachsens Küste. Die Tourismusakteure im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer trommelten schon seit Jahren für die Aufnahme, erklärtermaßen sollte das begehrte Etikett den angeblichen "sanften" Tourismus an der Küste fördern, es werde der "Ritterschlag" für die Schutzbemühungen sein und sei als Marketing-Instrument gedacht, zusätzliche Einschränkungen seien nicht zu befürchten.

Die Akteure

Diesen Unsinn gaben die Landräte Walter Theuerkauf (SPD, LK Aurich) und Sven Ambrosy (SPD, LK Friesland) seit Jahren von sich, nicht ohne zu erwähnen, dass sich das Wattenmeer dann auf gleicher Stufe wie der Grand Canyon, die Galapagos Inseln oder das Great Barriere Reef befände. Ganz nebenbei ist Theuerkauf auch noch Vorsitzender des Nationalparkbeirates und Ambrosy Vorsitzender des Tourismusverbandes Nordsee. Theuerkauf, der sich in der Presse als Tourismus-Held von Sevilla verkaufte ("Walter Theuerkauf kommentierte die Entscheidung direkt aus Sevilla [...] Theuerkauf betonte, dass mit der Anerkennung als Weltnaturerbe kein zusätzlicher Schutzstatus verbunden sei."), er war immerhin bei der Verkündung des Etikettenschwindels auf Staatskosten mit dabei, war einer der Initiatoren der Gesetzesnovellierung 2001 des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer. Aber das öffentliche Gedächtnis ist kurz.

Der Nationalpark in Niedersachsen war zunächst ab 1986 durch eine Verordnung geschützt, die 1999 in ein Gesetz umgewandelt wurde. Dieses neue Nationalparkgesetz wurde bereits 2001 von der damaligen SPD-Landesregierung unter dem damaligen Ministerpräsidenten Sigmar Gabriel, später Pop-Beauftragter der Bundesregierung ("Siggi Popp") und heute Bundesumweltminister novelliert, zum Schaden der Naturschutzinhalte und zum Nutzen der Tourismusindustrie. Im Vorfeld der Novellierung reiste der 2002 verstorbene Landtagsabgeordnete Inselmann (SPD) (nomen est omen) über die Inseln und an der Küste entlang, um die Flächenwünsche der Kommunalpolitiker abzufragen und dann für die Novellierung abzustimmen. Dazu der ehemalige Präsident des Niedersächsischen Landtages Prof. Wernstedt in seinem Nachruf: "Aus allen Fraktionen des Hauses höre ich die Versicherung, dass die Gesetze zu dem Nationalpark Wattenmeer und Harz sowie dem Biosphärenreservat Elbtalause ohne seinen großen persönlichen Einsatz so nicht zustande gekommen wären.".

Einer der Motoren der Novellierung war Walter Theuerkauf, Landrat aus Aurich. Fast 90 wertvolle Teilgebiete des Nationalparks auf den Inseln und dem Festland wurden schließlich 2001 aus dem Nationalpark herausgenommen und dem Tourismus zugeführt. Dagegen legte der Wattenrat (nicht der BUND oder der NABU!) Beschwerde bei der EU-Kommission ein, die nach fast 5 Jahren eingestellt wurde (siehe auf unseren Seiten vom Oktober 2006: "EU-Kommission hat Beschwerdeverfahren eingestellt"). Theuerkauf ist auch Mitbegründer des "Wattenmeerforums", einer trilateralen Nutzergemeinschaft des Tourismus, der Hafen- und Energiewirtschaft, Fischerei und Landwirtschaft im Wattenmeer aus den Niederlanden, Deutschlands und Dänemark.

Walter Hirche (FDP), nach dem CDU/FDP-Regierungswechsel in Niedersachsen Wirtschaftsminister (bis Februar 2009), wurde 2003 auch Präsident der deutschen UNESCO-Kommission. Spätestens jetzt müsste dem aufmerksamen Leser auffallen, welche Akteure mit welchen politischen Verbindungen in ihrer Amts- und Arbeitszeit gezielt am touristischen Umbau des Nationalparks gearbeitet haben.

2008 schließlich wurde der Nationalpark zur Anerkennung bei der UNESCO vom Land Niedersachsen angemeldet und entsprechende Unterlagen von der Nationalparkverwaltung und vom Umweltministerium vorbereitet. Die Nationalparkverwaltung wird seit 2005 vom smarten Peter Südbeck (siehe auf unseren Seiten vom Oktober 2005: "Peter Südbeck - neuer Leiter des Nationalparks Niedersächsiches Wattenmeer") geleitet, der sich von der Staatlichen Vogelschutzwarte über das Leitungsgremium des Niedersächsischen Landesbetriebes für Wasserwirtschaft, Küsten und Naturschutz (NLWKN) bis zum Nationalparkleiter hochgedient hat. Südbeck fiel in der Öffentlichkeit vor allem durch seine Untätigkeit bei Verstößen und seinem Bekenntnis für den Tourismus, nicht für den Naturschutz, auf. Im Juni 2009 genehmigt seine Behörde eine Fläche für Kitesurfer in der zweitstrengsten Schutzzone, der Zwischenzone bei Upleward im Landkreis Aurich. Weitere Flächen sind vor Norddeich und westlich von Baltrum in der Zwischenzone beantragt. Das Nationalparkgesetz verbietet die Verwendungen von Drachen in diesen Zonen. Als auf der Insel Langeoog ein Golfplatz illegal angelegt wurde, reagiert die Behörde nicht, als ebenfalls auf Langeoog eine ganze Möwenkolonie geplündert wurde, gab es laue Appelle.

2008 wurde hektarweise Wattenfläche in der Zwischen- und Ruhezone zwischen Hilgenriedersiel und Norderney durch eine ungeeignete Verlegungsmethode umgepflügt, um ein Stromkabel für einen Wind"park" zu verlegen, mit Billigung von WWF, BUND und NABU. Der Wattenrat machte diesen schweren Eingriff in das Schutzgebiet öffentlich und dokumentierte die Schäden, die Nationalparkverwaltung reagierte erst nach mehr als zwei Wochen und genehmigte den Weiterbau.

Und schließlich ist da noch der niedersächsische Umweltminister Sander, der Schutzgebiete in Niedersachsen "erlebbar" machen will, und sein Referatsleiter Naturschutz im Ministerium, Bernd-Karl Hoffmann, der 2004 den Serengeti-Effekt im Nationalpark Wattenmeer entdeckte (soll heißen, die Tiere werden durch den Massentourismus zahm). Er wurde inzwischen als ehemaliger Stasi-IM enttarnt; er leugnete dies zunächst öffentlich, aber die Unterlagen der Birthler-Behörde brachten es an den Tag. Er hatte eine Verpflichtungserklärung unterschrieben. Dienstrechtliche Konsequenzen für den Ministerialbeamten mit der Besoldungsgruppe B3: keine.

Als fachlicher Gutachter vor der Anerkennung als UNESCO-Weltnaturerbe fungierte die International Union for Conservation of Nature (IUCN) mit Sitz in der Schweiz, also allein räumlich nicht unbedingt nahe am Ort der Etiketten-Begierde. Im September 2008 bereiste eine Kommission der IUCN mit ihrem Senior-Officer, dem Kubaner Pedro Rosabal, das gesamte Wattenmeer, um sich einen Eindruck zu verschaffen (siehe auf unseren Seiten vom September 2008: "Nationalpark Wattenmeer als UNESCO-Weltnaturerbe für noch mehr Tourismus"). Er wurde von Kommunalpolitikern begleitet, die ihm die Schokoladenseiten des Nationalparks zeigten; in Niedersachsen bekam er u.a. Spiekeroog-Ostplate und die natürlichen Salzwiesen des Elisabethaußengrodens zu sehen. Gleichzeitig fraßen sich die Bagger durch das Watt bei Hilgenriedersiel, völlig unbemerkt von der IUCN. Der Wattenrat informierte seit der Bereisung die IUCN per eMail direkt über die ständigen Eingriffe in den Nationalpark, eine Resonanz der IUCN gab es erst auf konkrete Nachfrage des Wattenrates von einem deutschen Mitarbeiter: Man möge doch die Informationen in englischer Sprache übermitteln!

Die Defizite

Die "Operational Guidelines" der UNESCO fordern als Bedingung für die Anerkennung als "Welterbe" einen "Managementplan", den gibt es in Niedersachsen auch 23 Jahre nach der Einrichtung des Nationalparks Wattenmeer nicht. Der WWF und einige Naturschutzverbände, darunter auch der Wattenrat, veröffentlichten zuletzt 2006 zum zwanzigjährigen Bestehen des Nationalparks eine kritische Bilanz zum Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer (pdf-Datei, ca. 2,55 MB), hier werden die Defizite im Detail aufgelistet: Massentourismus, mangelnde Aufsicht durch Ranger, Jagd, Energie, Küstenschutz, Fischerei und Landwirtschaft.

Fazit

Dieses Gebiet erfüllt weder die internationalen Kriterien für einen echten Nationalpark noch für ein "Welterbe", mit einem "Erbe" geht man weitaus pfleglicher um! Im Watt zwischen Wangerooge und Cuxhaven, unmittelbar an der Nationalparkgrenze, ist zwar keine Brücke wie im ehemaligen Weltkulturerbe Dresden geplant, dafür wurde aber bereits ein riesiger Windpark genehmigt: Nordergründe, mit 18 Anlagen der 5MW-Klasse, fast 200m hoch.

Jetzt wird der Tourismusmotor noch schneller laufen, mit dem UNESCO-Logo lassen sich noch mehr Touristen anlocken, und die werden es auch an der Preisentwicklung merken. Je stärker das Schutzgebiet durch ständig neue Nutzungen beeinträchtigt wurde, je dicker musste die Tünche aufgetragen werden, um die Missstände zu verkleistern. Das neueste Make-Up auf dem maroden Nationalpark ist das UNESCO-Welterbe-Etikett. Nur Seehund, Seeschwalbe oder Ringelgans werden davon nicht begeistert sein: Es werden noch mehr Touristen unkontrolliert ihre Rückzugsgebiete im Nationalpark aufsuchen. Die "anerkannten" Naturschutzverbände in Niedersachsen wie der NABU oder der BUND sowie die Stiftung WWF haben sich seit Jahren aus der Tagesarbeit des fachlichen Naturschutzes im niedersächsischen Wattenmeer zurückgezogen und sind keine Verbündeten im Naturschutz mehr. Sie sangen im Jubelchor der Welterbe-Anerkennung mit, laut und falsch.

Die Presse

Die Jubelpresse wird hier nicht wiedergegeben. Allein der Watterat hat sich aus der genauen Kenntnis der Entwicklungsgeschichte dieses "Nationalparks" kritisch zur Anerkennung geäußert, bundesweit. Die Agenturen dpa, ddp, EPD, Arte-TV und der Norddeutsche Rundfunk nahmen unsere Kritik auf. Nur an der Küste, am Ort des Geschehens, hatten wir Mühe, uns zu artikulieren. Kritische Leserbrief oder Pressemitteilungen wurden erst gar nicht veröffentlicht, schließlich ist die Tourismusindustrie als Anzeigenkunde König. Die Ostfriesen Zeitung mied den Wattenrat komplett, Agenturenmeldungen wurden gar nicht übernommen oder um den Wattenrat gekürzt. Auf konkrete Nachfrage in der OZ-Redaktion am 26. Juni 2009, ob denn der "Prophet" im eigenen Land auch zur UNESCO-Entscheidung gehört werde, bekam ich von einer Redakteurin zu hören: "Nein, ich weiß ja, was sie denken." Auf Nachfrage, ob ich sie so zitieren dürfe, wurde die Dame unruhig. Aber immerhin, ein bisschen "Erfolg" brachte der Anruf dann doch; in der Jubelorgie am 27. Juni 2009 wurde der Wattenrat dann am Ende des Beitrages so zitiert:

Kritik kam allein vom Wattenrat Ost-Friesland, einem Verein von nicht verbandsgebundenen Umweltschützen. "Alle Welt jubelt ob des neuen Aufklebers, aber bei näherer Betrachtungsweise ist das ausschließlich als Werbeetikett für das Tourismus-Marketing zu sehen", sagte dessen Sprecher Manfred Knake aus Esens. Es gehe nur um die Steigerung der Übernachtungszahlen. (Ostfriesen Zeitung, 27. Juni 2009)

Pressebeiträge zum Thema:

Frankfurter Allgemeine Zeitung, Seite 2, 29.Juni 2009:

Ein vorzügliches Marketinginstrument

Der Jubel und das Eigenlob unter Politikern sind groß, seit die Unesco das Wattenmeer zum Weltnaturerbe erklärt hat. Dass Windkraftwerke und Massentourismus das einzigartige Großbiotop gefährden, wird dabei gern verschwiegen.

Von Stefan Dietrich

[...]

Man sollte annehmen, dass die Unesco-Kommission die Einhaltung von Naturschutzstandards vor der Titelverleihung geprüft hat. Möglicherweise hat sie sich aber auch davon blenden lassen, dass die ausgewiesenen Gebiete schon Nationalpark-Status haben. Der im ostfriesischen Esens ansässige Wattenrat, ein kleiner Zusammenschluss von Naturschützern an der Küste, beklagt seit langem, dass dieser Status zunehmend durchlöchert werde: Ausnahmegenehmigungen gibt es für touristische Nutzungen, für Gas-Pipelines und Stromleitungen durchs Wattenmeer, für Jäger, Fischer und Landwirte sowie für Windparks, von denen der Nationalpark regelrecht umstellt wird - künftig auch auf See. Mit den meisten bekannten Umweltverbänden liegt der Wattenrat übrigens über Kreuz, weil sie zugunsten des "Ökostroms" beim Naturschutz die Augen zudrücken. Erleichtert hat die niedersächsische CDU/FDP-Regierung diese Genehmigungspraxis durch die Auflösung des Landesamts für Ökologie. Die entsprechenden Zuständigkeiten wurden in die Landkreise verlagert, die im Zweifel wirtschaftlichen Interessen den Vorrang vor denen des Naturschutzes geben. Welche Bedeutung Letzteren beigemessen wird, lässt sich vor allem an der personellen Ausstattung der niedersächsischen Nationalparkverwaltung ablesen. Sie beschäftigt ganze sechs hauptamtliche Mitarbeiter im Außendienst.

[...]

ddp, 26. Juni 2009:

Wattenrat: UNESCO-Titel für Wattenmeer ist Etikettenschwindel

Esens (ddp-nrd). Die Umweltschutz-Gruppe Wattenrat hat die Aufnahme des Wattenmeeres in die Weltnaturerbeliste als «Etikettenschwindel» kritisiert. «Das Ziel der Aktion ist reines Tourismus-Marketing», sagte der Sprecher der Gruppe, Manfred Knake, am Freitag der Nachrichtenagentur ddp. An mehr Schutz der Natur durch den Status als Weltnaturerbe glaubt Knake nicht. «In den letzten Jahren wurde doch schon viel getan, um die Naturlandschaft des Wattenmeeres zu gefährden», sagte er.

So seien etwa Bootsliegeplätze stetig ausgeweitet oder immer mehr Flächen für Kitesurfer bereitgestellt worden. Gefährlich für die Vögel im Wattenmeer sei vor allem der geplante Offshore-Windpark vor Borkum. Die zahlreichen Zugvögel, die jedes Jahr im Wattenmeer haltmachen, würden durch die Windräder verschreckt oder sogar getötet, sagte Knake.

Besonders kritisch sei aber zu bewerten, dass durch den Welterbestatus voraussichtlich noch mehr Touristen in die Region kommen. Schon jetzt seien 30 Millionen Übernachtungen pro Jahr an der niedersächsischen Küste «zu viel». «Und niemand ist da, der die Gebiete vor den Touristen wirklich schützt.» Die Intention der Welterbeanmeldung sei lediglich gewesen, durch noch mehr Tourismus schnell «die Kasse klingeln zu lassen». «Es geht hier nicht darum, der Menschheit langfristig eine einzigartige Landschaft zu bewahren.»

Anders als die Befürworter des Welterbestatus für das Wattenmeer hätte Knake nichts dagegen, wenn der Titel dem Wattenmeer ähnlich wie dem Dresdner Elbtal wieder aberkannt würde. «Ich hoffe eher, dass es so passiert und dieser Schwindel aufgedeckt wird.»

dpa/lni, 25. Juni 2009:

Wattenrat befürchtet «Freizeitpark» im Wattenmeer

Holtgast (dpa/lni) - Keine Verbesserung für den Naturschutz erwartet der Wattenrat in Ostfriesland von der Anerkennung des Wattenmeeres als UNESCO-Weltnaturerbe. Der Zusammenschluss verbandsunabhängiger Naturschützer aus der Küstenregion Ostfrieslands befürchtet eine Verwandlung des Nationalparkes in einen «Freizeitpark», sagte Wattenrat-Koordinator Manfred Knake am Mittwoch in einem Interview mit der Deutschen Presse-Agentur dpa in Holtgast (Kreis Wittmund).

Was ist Ihre Kritik an der Anmeldung zum Weltnaturerbe?

Knake: «Die Nominierung hat ausschließlich Marketinggründe für die Tourismusindustrie. Damit bekommt das Wattenmeer ein zusätzliches werbewirksames Etikett. Der Schutz des Nationalparks ist jedoch in den letzten Jahren systematisch mit der Gesetzesnovellierung von 2001 zurückgefahren worden. Damals wurden fast 90 wertvolle Bereiche auf Drängen der Tourismusindustrie aus dem Nationalpark herausgenommen.»

Wo sehen Sie die Knackpunkte des jetzigen Nationalparkes?

Knake: «Die gezielte Entwicklung des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer zum Freizeitpark erfolgt derzeit mit der Freigabe neuer Bootsliegeplätze und Flächen für Kitesurfer. Die Vorgabe des niedersächsischen Umweltministers Hans-Heinrich Sander, Schutzgebiete "erlebbar" zu machen, wird entgegen den Vorgaben des Nationalparkgesetzes umgesetzt. Den von der UNESCO geforderten "Managementplan" gibt es in Niedersachsen nicht.»

Aber es gibt doch Kontrollen?

Knake: «Eine qualifizierte Aufsicht findet so gut wie nicht statt. Die derzeit fünf Nationalparkwarte haben keine Kompetenzen, keine Boote oder Fahrzeuge für ein Gebiet von 2800 Quadratkilometern Fläche. Die Ranger sind auch politisch nicht gewollt. Letztlich ist das Naturerbe-Etikett zum gegenwärtigen Zeitpunkt ein politisch und wirtschaftlich inszenierter Etikettenschwindel. Folgen für den dringend notwendigen Schutz des Wattenmeeres hat es nicht.»

Ausgemähte Sumpfohreule bei der Anlage eines illgalen Golfplatzes auf Langeoog

dpa, 07. Juni 2009:

Watt als Welterbe? Entscheidung fällt Ende Juni

Von Heiko Lossie, dpa

Wilhelmshaven (dpa) - Fern der Tourismusmagneten wie Norddeich oder St. Peter-Ording gibt es Küstenstreifen am Wattenmeer, von deren Zauber die Wenigsten etwas ahnen. Das ostfriesische Hilgenriedersiel ist so ein Ort. Üppige Salzwiesen und ein einzigartiger Naturstrand liegen dort im Niemandsland verborgen hinterm Deich. Stark bedrohte Vögel wie der Goldregenpfeifer staksen bei Ebbe über den glitzernden Meeresboden, der am Horizont mit dem Himmel verschmilzt. Weit und breit gibt es keinen Hinweis auf Menschen. Es ist so ruhig, dass vom Boden ein Knistern aufsteigt. Das sind die Schlickkrebse. Und mit ein wenig Glück ist eine Strandkrabbe bei der Häutung zu bestaunen.

Diese Landschaft mit ihrem einzigartigen Zauber könnte Ende Juni zum Erbe der Menschheit erklärt werden. Dann berät eine Kommission der UNESCO - der UN-Organisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur - im spanischen Sevilla über den Weltnaturerbe-Antrag, den der Bund, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und die Niederlande Anfang 2008 eingereicht haben. Gibt es ein «Ja», wäre das Watt die erste deutsche Naturlandschaft mit Welterbe-Status und stünde auf einer Stufe mit so bekannten Naturwundern wie dem Great Barrier Reef, dem Grand Canyon, den Galapagos-Inseln oder dem Serengeti-Nationalpark.

Um diesen Ritterschlag zu begründen, wird die Einzigartigkeit des Watts von A wie Austernfischer bis Z wie Zwergseegras in dem mehrere hundert Seiten starken Bewerbungsdossier detailversessen beschrieben. «Es ist eine Landschaft von außergewöhnlicher Schönheit», heißt es in dem Papier über jene Gegend, die viel mehr als kulleräugige Seehundbabys und Krabbenkutter-Romantik zu bieten hat. Sie ist beispielsweise die zentrale Drehscheibe des internationalen Vogelzuges von Kanada bis Sibirien. In dem Dossier steht, die Vielfalt der Lebensräume schwanke zwischen «bemerkenswert stark» und «geradezu einmalig». Seit 1991 liefen die Vorbereitungen für das dicke Schriftstück. Im Herbst 2008 inspizierte eine Jury der Weltnaturschutzunion IUCN im Auftrag der UNESCO das gemeldete Gebiet, das von List bis Den Helder reicht.

Ob sich die Mühe lohnt, wird die Welterbe-Kommission irgendwann während ihrer Sitzung vom 22. bis zum 30. Juni entscheiden. Dieter Offenhäußer, Sprecher der deutschen UNESCO-Kommission, rechnet mit einer Veröffentlichung des Entschlusses schon am 24. Juni. Eine Prognose will der Leiter der Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer, Peter Südbeck, aber nicht abgeben. In seinem Hause in Wilhelmshaven sitzt auch das Gemeinsame Wattenmeersekretariat, das das Dossier ausarbeitete. «Wir hoffen natürlich, dass es etwas wird. Aber eine Vorab-Einschätzung wollen wir nicht geben», sagt Südbeck.

Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) ist da offensiver: «Das Wattenmeer hat eine herausragende Bedeutung im globalen Ökosystemverbund für Zugvögel, Robben und Seehunde», sagt der Landesvater, der die Bewerbung mit unterzeichnet hat. «Ich bin optimistisch, dass es mit dem Titel Weltnaturerbe klappt.» Sein schleswig-holsteinischer Amtskollege Peter Harry Carstensen (CDU) sieht das ähnlich: «Das Wattenmeer an der deutschen Nordseeküste ist das größte Wattenmeer der Welt. Es ist eines der wertvollsten der Welt. Und ich glaube an eine objektive Entscheidung. Wir sind in der Lage gewesen, die Nutzung des Wattenmeeres und seinen Schutz optimal abzustimmen. Das zählt. Und deshalb bin ich zuversichtlich.»

Nutzung und Schutz - das ist der Knackpunkt. Am Watt gibt es knallharte wirtschaftliche Interessen. Es gibt Begehrlichkeiten für den Ausbau der Gas- und Öl-Förderung. Die Kabel für Dutzende auf hoher See geplante Windparks müssen bald durchs Watt gezogen werden - 2008 geriet die erste Anbindung zur Blamage, als das mit Ausnahmen eröffnete Zeitfenster vorne und hinten nicht reichte. Die Zugvögel litten, als Bagger dort dröhnten, wo sonst der Weg nicht einmal für das Verrichten einer Notdurft verlassen werden darf. Der Druck durch Freizeitsport wie Kite-Surfing steigt und schmälert Schutzflächen.

Die entscheidende Frage ist also, was die Auszeichnung dem Watt brächte. Hubert Farke, Koordinator der Bewerbung in Wilhelmshaven, sagt: «Unter einem UNESCO-Welterbe wird man das Nationalparkgesetz schwieriger ändern können. Das ist eine zusätzliche Absicherung bei all den Begehrlichkeiten.» Mit Blick auf Hamburg und Dänemark stimmt das. Aus Angst um die Elbvertiefung hatte der Senat die Unterstützung für die Bewerbung zurückgezogen - so wie Dänemark einige Zeit zuvor.

Manfred Knake, Sprecher der Umweltschutz-Organisation Wattenrat, glaubt nicht an mehr Schutz für die Natur: «Die UNESCO-Auszeichnung wäre nur ein Werbeetikett. Die Intention der Anmeldung ist, schnell die Kasse klingeln zu lassen - und nicht, der Menschheit langfristig eine einzigartige Landschaft zu bewahren.» Der Massentourismus würde sich verstärken - allein an Niedersachsens Küste seien es schon jetzt etwa 30 Millionen Übernachtungen pro Jahr. So sagt Ministerpräsident Wulff auch deutlich: «Gewinner wäre die gesamte Region, die dadurch auch für Touristen an Attraktivität noch weiter gewinnen würde.»

Hans-Ulrich Rösner von der Umweltstiftung WWF hofft auf die Auszeichnung: Sie wäre zunächst Anerkennung für die jahrelangen Schutzbemühungen am Watt und helfe dann, den Ist-Zustand zu sichern. Zudem wäre die Anerkennung auch ein umweltpolitisches Druckmittel. «Denn Naturschutz im Wattenmeer wird in Zukunft eher mehr kosten.»

(Internet: www.unesco.de, www.waddensea-secretariat.org)

Zitate:

Und zum Schluss der Gipfel, die Position des BUND, LV Niedersachsen (Bund für Umwelt und Naturschutz, "Freunde der Erde") zum Wattenmeer als UNESCO-Weltnaturerbe:

Pressemitteilung des BUND LV Niedersachsen vom 26.Juni 2009

Ernennung des Wattenmeers als UNESCO Weltnaturerbe

"Der BUND hat die Ernennung des Wattenmeers zum Weltnaturerbe durch die UNESCO von Anfang an unterstützt und freut sich, dass die Kommission heute die weltweit größte zusammenhängende Wattenfläche in das Register der bedeutsamen Naturerben aufgenommen hat", sagte der Landesgeschäftsführer des BUND Landesverband Niedersachsen Carl-Wilhelm Bodenstein-Dresler anlässlich der Prädikatsverleihung heute in Hannover. Damit werden die jahrzehntelangen Naturschutzbestrebungen dieser in weiten Teilen noch ursprünglichen maritimen Landschaft belohnt und mit dem Etikett Weltnaturerbe international aufgewertet und gewürdigt.

Der BUND begrüßt es, dass neben den bereits bestehenden nationalen und internationalen Schutzkategorien als Nationalpark und Biosphärenreservat diese wertvolle Landschaft nun durch das Prädikat Weltnaturerbe "geadelt" wird und die besondere Bedeutung im globalen Maßstab damit unterstrichen wird. Wir sehen diese Auszeichnung gleichzeitig auch als Ansporn für die Anrainerländer, für die Naturschutzbelange im Wattenmeer einzutreten und diese zu stärken. Ein klares Bekenntnis aller beteiligten Nationen für einen naturverträglichen, nachhaltigen Tourismus sehen wir für den künftigen Tourismusmagneten Wattenmeer dabei als unerlässlich an.

War das nicht mal früher ein Naturschutzverband, der sich sehr kritisch in "Nationalparkbilanzen" zur Naturschutz-Entwicklung im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer geäußert hatte, zuletzt 2006? Aber wer "Generationenverträge" mit der Meyer Werft zur Überführung von Kreuzfahrtdampfern mit gleichzeitigem Ertränken von Jungvögeln und Bruten in einem EU-Vogelschutzgebiet der Ems schließt, findet wohl auch so etwas normal, Hauptsache "nachhaltig"! Oder geht es nur darum, durch Wohlverhalten Projektgelder zur Selbsterhaltung nicht zu gefährden, die auch Mitglieder der Landesregierung bewilligen?

 
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