1983 wollte die Reederei „AG-Ems“ zusammen mit der „British Hovercraft Corporation“ (BHC) einen Luftkissenboot-Schnellverkehr zwischen Emden und Borkum sowie Harlesiel und Wangerooge erproben. Die vorläufige Genehmigung dafür erteilte der damalige Bundesverkehrsminister Dollinger (CSU) im Oktober 1983. Damals war das niedersächsische Wattenmeer noch kein Nationalpark, sondern ein Landschaftsschutzgebiet. Die damalige Landschaftsschutzverordnung verbot allerdings das Befahren des trockengefallenen Wattenmeeres mit Luftkissenbooten. Da das Wattenmeer aber Bundeswasserstraße ist, oblag die Genehmigung dem Bund (siehe auch auf den Seiten von Spiegel Online vom 07.11.1983: „Mit Tüten„).
Nun kam es, wie es kommen musste: Im Oktober 1983 lud die „AG Ems“ ausgewählte Honoratioren, aber nicht die Presse, zum Probelauf des Hovercrafts „Resolution“ an die Knock bei Emden. Was dort geschah, wurde 1983 aufgeschrieben und von einem Fernsehteam des NDR dokumentiert. Die nachstehend genannte „Arbeitsgemeinschaft Grüne Küste“ ist längst Geschichte, genau wie die „Konferenz der Natur- und Umweltschutzverbände Ost-Friesland“, die im „Wattenrat Ost-Friesland“ aufging. Geschichte ist auch die „British Hovercraft Corporation“, die schon weniger als ein Jahr später 1984 in die „Westland Aerospace“ umbenannt wurde und fortan nur noch Flugzeugkomponenten herstellte. Der Einsatz von Luftkissenbooten im Watt wurde nach der schlechten Presse für das Hovercraft „Resolution“ nicht mehr genehmigt, heute fahren statt der Luftkissenboote sehr schnelle Katamarane durch die Nordsee und durchs Wattenmeer.
Aus dem Archiv (1983):
Die Luft herausgelassen: Hovercraft-Probelauf im Wattenmeer sorgt für Unmut an der ostfriesischen Küste
von Manfred Knake
Empört über die genehmigten Probeläufe des Luftkissenbootes „Resolution“ der „British Hovercraft Corporation“ sind nicht nur die Naturschutzgruppen „Aktionsgemeinschaft Grüne Küste“ und die „Konferenz der Natur- und Umweltschutzverbände Ostfriesland“, die gesamte geleistete mühsame Wattenschutzarbeit drohe durch die Schwebefahrzeuge vernichtet zu werden. Die schon jetzt raren Seehunde würden von ihren Bänken vertrieben, die in der Nähe der anvisierten Flugrouten rastenden abertausende Wat- und Wasservögel wären ständigen Störungen in ihren Nahrungsarealen durch einen sich abzeichnenden Boom von kleinen und kleinsten Hovercrafts ausgesetzt. In bisher nie gekannter Einigkeit fanden sich Fischer, Touristikmanager, Jäger und Naturschutzverbände zu einer Protestversammlung in Harlesiel ein, mit dem Ergebnis, daß die dortigen Insel- und Küstengemeinden keine Flächen für die Anlandung der Luftkissenboote bereitstellen wollen. Schmollend und notgedrungen sagten die AG-Ems und die BHC in diesem Bereich ihre Probeläufe ab, nicht ohne die Anwohner öffentlich als „Steinzeitmenschen zu titulieren, die sich dem „Fortschritt“ in den Weg stellten. Dennoch begannen die Probeläufe, und zwar schon vor dem offiziell bekanntgegebenen Termin, heimlich, aber laut und dröhnend, unter Ausschluß der Presse, auf einem bundeseigenen Gelände an der Knock bei Emden. Doch regionale Naturschutzgruppen hatten Wind von dem Vorhaben bekommen, sie alarmierten die Redaktion von „extra -drei“ des Norddeutschen Rundfunks und rüsteten zur Blockade. Eilert Voß von der „Arbeitsgemeinschaft Grüne Küste“ in Emden nahm als Skipper seines Segelbootes „Ika“ den Chronisten, selbst Mitglied in der „Konferenz der Natur- und Umweltschutzverbände Ost-Friesland“ mit an Bord, und schon lag das kleine Boot direkt vor der Anlegestelle am Deich vor Anker. Ein Protesttransparent wurde gehißt, und man wartete auf das Kommende.
Und es kam, zuerst aber in Gestalt eines Polizisten der Wasserschutzpolizei, der die Blockierer mit dem Megaphon aufforderte, für den erwarteten Luftgleiter genügend Platz zu machen; kurze Diskussion, den Anker wieder rauf und das Boot verholt, jetzt war Platz genug. Kaum war der Anker wieder unten, kam wieder ein Polizist, offenbar demonstrationsungewohnt, nun aber besorgt um die Sicherheit der Segelbootbesatzung. Man solle doch um die Steinmole herumfahren und dem Hovercraft gänzlich aus dem Wege gehen, es könne schließlich doch etwas passieren. Die Besatzung ließ sich überzeugen, bloß keinen Streit mit den Wasserschupos, also den Anker wieder rauf, aber zu spät, da hörte man es schon…
Das Luftkissenfahrzeug kommt, ca. 100 km/h schnell, dröhnend wie ein Transportflugzeug, versteckt in einem Gischtmantel, 23 m lang, 10 m breit, angetrieben von 4 Deutz-Dieselmotoren, 1700 Pferde stark. Es wird langsamer, in einhundert Meter Abstand bleib es liegen, die Maschinen laufen noch, unschlüssig, ob es an uns vorbeifahren soll, aber denn entschließt es sich, aber anders, als wir meinen. Es kommt mit Gebrüll, Imponierhaltung, Drohgebärde, direkt auf uns zu, 15 Meter vor uns Anhalten, Drehung, es wird laut, der Schub der zwei Heckrotoren begräbt uns unter einem Orkan von Lärm und Salzwasser, unser kleines Segelboot krängt über, das Transparent aus Bettuch reißt in der Mitte durch, das aufgeblasene Seeungeheuer zieht ab.
Eilert Voß fingert am Außenborder, wir müssen weg, und zwar schnell. Aber die Leine des zerrissenen Transparents hängt in der Maschine: Wir sind manöverierunfähig! Der englische Maschinenorkan hat uns in gefährliche Nähe der Mole gedrückt, Eilert schmeißt hektisch den Heckanker über Bord, fummelt und reißt am Motor, holt fast gleichzeitig den Anker wieder ein und zerrt am Anlasser: Die Maschine läuft, wir machen wieder Fahrt. Doch da kommt das Luftschraubenmonster schon wieder, noch einmal direkt auf uns zu, wieder Wendung, wieder Wasser und Orkan, wieder brüllender Lärm. Spinnt der Kapitän? Warum läßt er uns nicht in Ruhe, wir wollen doch weg. Er läßt von uns ab und wälzt sein Gefährt vom Wasser auf den Deich, dreht herum. Hüte fliegen, Motoren aus, Ruhe.
Wir laufen naß und frierend in den kleinen Hafen hinter der Mole ein, erst mal raus aus dem Boot. Das Fernsehteam vom NDR hat alles mitgeschnitten. Die Einladung des BHC-Managers Zimmermann, jetzt doch mal mit dem Hovercraft mitzufliegen, lehnen wir ab. Bei der Wasserschutzpolizei erstatten wir Anzeige gegen den englischen Piloten des Luftkissenfahrzeugs. Wir betreten das Luftkissenboot mit einem Polizisten und werden barsch vom englischen Schiffsführer angebrüllt: „Get off my boat“! Die Anzeige wird an Land aufgeschrieben. Personenschaden: bleiche Nasen, weiche Knie. Sachschaden: 1 Transparent, ein abgerissener Wimpel, drei nasse Kameras samt Objektiven.
Völlig unerwartet bilden jetzt junge Leute eine Kette um das Hovercraft, die Blockade geht an Land weiter, ein Transparent wird entrollt: „Dallas an der Ems“. Geladene Ehrengäste werden an Bord gelassen, Diskussionen entwickeln sich, der Kapitän gibt seine Personalien einem Polizisten. Nichts geht mehr. Nach 9o Minuten kommt Verstärkung von der Wasserschutzpolizei, der Kapitän redet auf die Blockierer ein. Die Kette löst sich auf. Das Hovercraft bläht sich auf und hovert in Richtung See ab.
Es erscheint Oberdeichrichter Strohmann, verärgert. Er ist verantwortlich für die Sicherheit des Seedeiches; empört stellt er tief ausgestanzte Löcher durch die Ruheständer des 60 Tonnen schweren Schwebefahrzeugs in der Grasnarbe fest, überall sind Ölflecken im Gras. Man habe sich nicht an die vereinbarten Auflagen gehalten, die Grasnarbe mit Metallplatten abzudecken, es dürfe nicht mehr angelandet werden, bevor die Platten lägen; Schluß, sagt der Oberdeichrichter.
Zwei Tage später in der regionalen Presse: Es gibt heftige Schelte für das Industrieunternehmen British Hovercraft, auf einen Kirmes gehöre so ein Ding, aber nicht ins Watt, zu laut, zu ungemütlich. Die öffentliche Meinung bläst der BHC jetzt von vorn in die Rotoren. Wir bekommen eine Anzeige wegen Transportgefährdung, das Verfahren wird aber eingestellt. Ein schlechter Einstand für das Hovercraft im Wattenmeer, die Luft ist erst mal raus.