Das „Petkumer Deichvorland“, ein Schutzgebiet an der Ems, Teilgebiet eines europäischen Vogelschutzgebietes nach der EU-Vogelschutzrichtlinie, war schon häufig Thema auf den Wattenrat-Seiten. Eng verbunden ist dieses schmale Deichvorland mit dem Namen Eilert Voß, der das Gebiet vor dem Emsdeich von Kindesbeinen an kennt. Er hat die gravierenden Veränderungen im Schutzgebiet über Jahrzehnte dokumentiert, Veränderung, die sich überwiegend nachteilig auf das Schutzgebiet ausgewirkt haben.
Im Deichvorland wurde z.B. ein nasses Brutareal für seltene Kampfläufer durch Aufspülung mit Emssand zerstört, Landwirte schütteten in den Brackwasser-Salzwiesen Tümpel zu und versuchten mit hohem Aufwand, die natürliche Salzwiesen-Vegetation durch eine Neueinsaat mit Nutzgräsern zu zerstören. Die privaten Landbesitzer errichteten illegal Sommerdeiche und bauten befahrbare Wege bis zur Ems, kurz bevor eine Naturschutz-Verordnung im Jahre 1994 in Kraft trat und diesem privatem Eigennutz ein Ende setzte. Entlang des vier Kilometer langen Emsufers von Jarßum bis Gandersum wurde von Hobbyfischern die Reusenfischerei auf Butt und Aal bis tief in die unterste Niedrigwassergrenze intensiv betrieben, täglich wurde das bis zu 700 Meter breite Vorland von Fischern rund um die Uhr überquert. Brut-und Rastvögel der Wiesen- und Schlickwatten wurden auch in der Dunkelheit von Fischern empfindlich gestört. In Reusen, ohne gesetzlich vorgeschriebenem „Umkehrnetz“, ertranken regelmäßig Wasservögel und Seehunde. Bildbelege darüber wurden den Schulen und anderen Bildungseinrichtungen zur Verfügung gestellt. In öffentlichen Dia-Vorträgen und Ausstellungen wurde thematisiert, mit welcher Ignoranz Naturnutzer angeblich „alte Nutzungsrechte“ verteidigen und Natur an der Ems Schaden zufügen.
Und immer wieder die Wasservogeljagd
Bis heute wird im Petkumer Naturschutzgebiet auch gejagt, weil die zuständigen Behörden es nach Jahren trotz qualifizierten Protestes vieler Akteure aus den Reihen ehrenamtlich tätiger Avifaunisten es nicht schafften, die Jagd auf Enten und Gänse in Sichtweite zum Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer mit dem Weltnaturerbeanteil „Dollart“ zu verbieten. Jedes Betreten, jeder Schussknall vertreibt auch nicht jagdbare und streng geschützte Vogelarten von ihren Nahrungs- und Rastplätzen. Der Protest gegen die Wasser- und Zugvogeljagd wurde sogar vom Ökologischen Jagdverband (ÖJV) unterstützt.
Unbeeindruckt blieb die zuständige Umweltverwaltung in Emden, als drei Jagdpächter einen auslaufenden Pachtvertrag vorzeitig kündigten und ihn im Handstreich bis zum Jahre 2028 (!) verlängerten. Deutlicher kann die Ignoranz von Kontrollbehörden nicht zum Ausdruck kommen. Zugvögel waren und sind weiterhin Beute für Hobbyjäger, die in einem Schutzgebiet eigentlich ihre Ruhe vor Freizeitschießern haben sollten. Eilert Voß dazu: „Wenn Behörden offensichtlich und nachweislich versagen, ist das Bürgerengagement auf allen Ebenen gesellschaftlicher Strukturen gefordert, meinte zumindest Willy Brandt als er seinen Appell an den Bürger richtete, mehr ´Demokratie (zu) wagen´“; aber das ist lange her.
Bundesweit bekannt wurde Eilert Voß, als er bei einer Gänsejagd in ein Nebelhorn blies. Eine Richterin am Amtsgericht Emden verurteilte ihn 2011 deshalb zu 2.000 Euro Geldstrafe, ersatzweise 20 Tage Haft. Im Wiederholungsfall werden 250.000 Euro fällig. Die Berufungsverhandlung vor dem Landgericht Aurich bestätigte das Urteil. Die von Voß über Jahre dokumentierten Jagdverstöße, wie das Jagen bei Dunkelheit „nach Gehör“, Nebel oder Schneetreiben, das Jagen ohne Hund, die Verwendung von verbotenem Bleischrot an Gewässern oder die Fehlabschüsse nicht jagdbarer Vogelarten – eine Straftat!- blieben trotz mehrfacher Anzeigen ungesühnt und wurden noch nicht einmal verfolgt.
Auch die Grünen waren einmal gegen die Wasservogeljagd, in der Opposition
2012, ein Jahr vor der niedersächsischen Landtagswahl, luden die Emder Grünen auf Initiative von Eilert Voß den damaligen landwirtschaftlichen Sprecher der niedersächsischen Landtagsfraktion der Grünen, Christian Meyer, zu einer Informationsveranstaltung zur Wasservogeljagd in Schutzgebieten an der Ems ein, Treffpunkt war das Sielgebäude in Petkum. Meyer sagt zu, im Falle einer Wahl die Wasservogeljagd in Schutzgebieten zu beenden. Daraus wurde nichts, Meyer war ab 2013 bis 2017 niedersächsischer Landwirtschaftsminister. Die Jagd an der Ems wurde nun in eine zeitlich begrenzte „Intervalljagd“ mit zweiwöchigen Abständen umgewandelt; Intervalljagden mit wesentlich längerer Jagdruhe gibt es eigentlich nur für Schalenwild, nicht aber für Gänse. Treibende Kraft der Verhinderung der Wasservogeljagd war die niedersächsische SPD-Landtagsfraktion als Koalitionspartner der Grünen. Johanne Modder (SPD) aus dem gänsereichen Rheiderland ist die Fraktionsvorsitzenden der SPD im Landtag. Im Rheiderland machen die Bauern jährlich Front für den Abschuss dieser Zugvögel, obwohl sie Mittel aus dem Vertragsnaturschutz erhalten, egal ob Fraßschäden durch Gänse aufgetreten sind oder nicht.
Tourismus in den Schutzgebieten
Der Tourismus hat diesen kleinen Flecken Erde auch entdeckt. Jogger, Spaziergänger, Fahrradfahrer oder gar Kraftfahrzeuge belaufen oder befahren den ohne Genehmigung gebauten Betonweg im Schutzgebiet, der wundersamer Weise genau dann entstand, als das Ems-Stauwerk in Gandersum am östlichen Ende des Petkumer Deichvorlandes mit viel Beton gebaut wurde. Um die Nutzung dieses Weges gab es erbitterte Auseinandersetzung, befeuert durch den örtlichen FDP-Politiker Erich Bolinius, der keine Störungen der Vogelwelt erkennen konnte. Schließlich urteilte das OVG Lüneburg nach einer Klage des NABU, dass der Weg im westlichen Teil von Petkum bis Jarßum zeitlich begrenzt für den Besucherverkehr gesperrt wird, der östliche Teil dagegen darf durch das Urteil ganzjährig zum Schutz der brütenden und rastenden Vögel nicht betreten werden. Auch hier war es wieder Eilert Voß, der den NABU überzeugen musste, mit einer Klage tätig zu werden.
Masterplan Ems für die Meyer Werft und die EU-Kommission
Dann kam der „Masterplan Ems 2050“ mit einer neuen Naturschutzverordnung für das gesamte Vogelschutzgebiet an der Unterems. Dieser Masterplan wurde 2015 verabschiedet. Vertragspartner sind das Land Niedersachsen, der Landkreis Emsland, der Landkreis Leer, die Stadt Emden, die Umweltverbände World Wide Fund for Nature Deutschland (WWF), der Bund für Umwelt und Naturschutz Niedersachsen e.V. (BUND), der Naturschutzbund Niedersachsen e.V. (NABU) und die Meyer Werft GmbH im Papenburg.
Die Funktionäre dieser Umweltverbände hatten in der Vergangenheit eine sehr undurchsichtige Rolle an der Ems gespielt, Kritiker warfen Ihnen „Kungelei gegen Bares hinter verschlossenen Türen“ vor.
Es ist der Plan zur vorgeblichen Wiederherstellung des maroden Ökosystems an der Ems, der auch die wirtschaftlichen Interessen der Region berücksichtigen soll. Die EU-Kommission forderte vom Land Niedersachsen die Umsetzung der für alle Mitgliedsstaaten verbindlichen Richtlinien für die ausgewiesenen Natura 2000-Gebiete an der Ems. Diese Forderungen wurden mit der Androhung eines Vertragsverletzungsverfahren mit Strafen in Millionenhöhe verbunden. Die Entwicklung des Masterplans sollte der Rettungsanker werden, um dieses teure Strafverfahren abzuwenden.
Die Meyer Werft in Papenburg ist z.B. ein Verursacher der desolaten Situation der Ems. Ständig muss die Ems mit Baggerschiffen auf Tiefe gehalten werden, damit die riesigen Kreuzfahrtschiffe ans seeschifftiefe Wasser überführt werden können. Das geht nur mit Hilfe des dann geschlossenen Ems-Stauwerks in Gandersum, dass EU-kompatibel als „Sperrwerk“ für den Küstenschutz politisch umdeklariert wurde. Das Stauwerk hebt den Wasserstand in der Ems zusätzlich an. Bei Überführungen im Frühjahr und Sommer ertrinken dann die Gelege von Wiesenbrütern oder die flugunfähigen Jungvögel in den eigentlich EU-geschützten Vorlandbereichen. Durch die Vertiefung erhöht sich die Fließgeschwindigkeit des Flusses; die Ems verschlickt, der lebensnotwendige Sauerstoff fehlt. Nur wird der Masterplan den Fluss nicht retten können, da die Maßnahmen außerhalb des Flussbettes mit renaturierten Poldern stattfinden sollen. Dagegen gibt es bereits breite Proteste aus der Landwirtschaft. Die Umsetzung des Planes ist gar nicht gesichert, aber die EU gibt erst einmal Ruhe.
Der NLWKN als Naturschutzvehinderungsbehörde: neue Schutzverordnung
Verantwortlich für die Umsetzung ist der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN), mit dem „N“ als Letztes im Kürzel. Der NLWK fabrizierte im Rahmen des Masterplans eine neue Schutzverordnung für die Unterems von Leer bis Emden, in die auch des “Petkumer Deichvorland“ integriert wurde, die alte Schutzverordnung wurde aufgehoben. Die Verordnung trat im Juni 2017 in Kraft.
Verordnung über das Naturschutzgebiet „Unterems vom 30.05.2017“ […] „Ziel ist die gleichberechtigte Förderung ästuartypischer Strukturen wie Flachwasserzonen, Röhrichte und Auwälder und die Erhaltung und Entwicklung der Funktionen für die Wiesenvögel auf anderen Flächen. Die Zielsetzung der Erhaltung und Entwicklung der Funktionen für die Wiesenvögel betrifft schwerpunktmäßig Bereiche der Deichvorländer bei Petkum, Nendorp, Oldersum, Midlum, Nüttermoor und Bingum, die Emsinsel Bingumer Sand sowie die Salzwiesenstandorte.“
Die gerichtliche verfügte ganzjährige Sperrung des östlichen Teils des „Petkumer Deichvorland“ bis zum Ems-Stauwerk wird durch die neue Naturschutzverordnung jetzt in das Belieben der Deichunterhaltungsverbände gestellt. Nicht nur der oft widerrechtlich genutzte Betonweg (Treibsel- oder Teekabfuhrweg) des Petkumer Deichvorlandes wurde kurzerhand und trickreich aus dem Schutzgebiet herausgenommen und der touristischen Nutzung zugeführt; das geschah mit allen betonierten und bequem nutzbaren Betonwegen an der gesamten Unterems von Leer bis Emden, direkt an den Brut- und Rastgebieten! Das Betreten der Wege ist nun bereits ab dem 01. Juli gestattet, obwohl die „Brut- und Setzzeit“ in Niedersachsen gesetzlich vom 01. April bis zum 15. Juli gilt.
„[…] § 3 Abs. 2 – Aufsuchen des Gebietes und der angrenzenden Teekabfuhrwege
Die außerhalb des NSG liegenden, in der Verordnung beregelten Teekabfuhrwege sind befestigte Wege, die einen Bestandteil des technischen Bauwerks Deich darstellen (Niedersächsisches Deichgesetz, § 4 Abs. 3). Sie dienen in erster Linie dem Auffangen und der Abfuhr des angeschwemmten Treibsels. Deichrechtlich ist das Benutzen von Deichwegen, außer zum Zweck der Deicherhaltung, verboten. Mit Zustimmung der Deichbehörde ist jedoch auch eine touristische Nutzung möglich. Das Betreten der Wege kann allerdings erhebliche störende Auswirkungen auf das Naturschutzgebiet bzw. das Natura 2000-Gebiet haben. Um erhebliche Störungen brütender und rastender Vögel i.S.d. § 23 Abs. 2 S. 1 BNatSchG zu vermeiden, ist während der Brut- und Rastzeit auf eine Nutzung der Teekabfuhrwege zu verzichten. Außerhalb der Brut- und Rastzeit können diese Wege folglich jeweils vom 1. Juli bis Ende September öffentlich genutzt werden, sofern die zuständige Deichbehörde dies gestattet und die zuständige Naturschutzbehörde keine zusätzliche Sperrung anordnet. Aus § 3 BNatSchG und § 2 NAGBNatSchG folgt die Möglichkeit, eine solche im Einzelfall erforderliche Maßnahme zu treffen. Grund für eine zusätzliche Schließung kann die Vorhersage einer Sturmflut sein. Darüber hinaus ist eine ganzjährige Sperrung von Teilabschnitten möglich, um dauerhaft störungsfreie Flächen zu schaffen, die den Brut- und Gastvögeln für die Nahrungsaufnahme zur Verfügung stehen […]“
Ohne Not blieb ausgerechnet die Fachbehörde NLWKN hinter ihren rechtlichen Möglichkeiten bei der Neuabgrenzung des Schutzgebietes zurück und drehte das Rad mit den bereits gerichtlich erstrittenen Betretensregelungen zurück. Dieser Petkumer Teil des europäische Schutzgebietes wird nun ohne den Betonweg verkleinert und der nach den Natura-2000-Richtlinien gebotene „günstige Erhaltungszustand“ verschlechtert!
Kungelrunden gegen den Naturschutz
Man geht also nicht fehl in der Annahme, dass die beteiligten Landkreise und Kommunalverwaltungen, die Tourismusinteressen vertreten, und die Deichverbände an dieser neuen Schutzverordnung mitgeschrieben haben. Zweiter Sieger ist wieder einmal der Naturschutz, Kritiker nennen das unverhohlen einen „behördlichen Naturschutzbeschiss“. Nun wäre es eigentlich die Aufgabe des NABU, der eine gerichtliche Entscheidung zur Sperrung des Weges in Petkum herbeigeführt hat, gegen die Herausnahme der Treibselabfuhrwege und für verbindlichen bereits gerichtlich verfügten Sperrungszeiten zu klagen. Von den am Masterplan beteiligten Naturschutzorganisationen hört man nichts mehr zu dieser neuen Naturschutzverordnung, die im wahrsten Sinne des Wortes weiteren Störungen in den Schutzgebieten an der Unterems Tür- und Tor geöffnet hat.
Die „Gänsewacht“ weiter auf Posten
Eilert Voß indes steht wieder, wie schon seit Jahren, seit dem 01. November auf „Gänsewacht“. Schon frühmorgens beobachtet er bei jedem Wetter mit Gleichgesinnten von Petkum aus das Geschehen im Ems-Vorland. Das Jagdgeschehen ist durch seine Bilder von den Nebeljagden und die Berichte auf den Wattenrat-Seiten erheblich zurückgegangen; an den Gänserast- und Schlafplätzen im Schutzgebiet ist weitgehend eine – trügerische – Ruhe eingekehrt. Jogger, Spaziergänger mit und ohne Hund und Fahrradfahrer ignorieren aber weiterhin die Verbotsschilder. Knatternde Helikopter des Windenergie-Wartungsbetriebs für Offshore-Anlagen überfliegen weit vor Sonnenaufgang die nächtlichen Schlafplätze der Wasservögel und verbreiten Chaos unter Gänsescharen. Das Petkumer Naturschutzgebiet und der Dollart kommen nicht zur Ruhe, trotzt der verbindlichen europäischen Natura-2000-Richtlinien, die auch für die Unterems und das Dollartwatt gelten. Papier ist geduldig, die Naturschutzverbände wurden „eingekauft“, die EU-Kommission schweigt…