DIE STERN-KOLUMNE – Die Woche, 04. April 1997
Die Mär vom Storch
Wie Monika Griefahn den Adebar für die SPD klappern lässt
Frohe Kunde kommt aus Schröder-Land: Alles wird gut! Adebar, mit 4500 Brutpaaren einst der Charaktervogel der Norddeutschen Tiefebene, ist in Niedersachsen nach dramatischen Rückgängen zwischen 1950 und 1970 wieder im Aufwind! Klapperten 1988 zwischen Elbe und Ems gerade noch 247 Paare zum Kinderkriegen zusammen, so zogen im vergangenen Jahr 354 Brutpaare 700 Junge groß! Monika Griefahn (SPD), Umweltministerin im Kabinett Schröder, weiß auch, wem das zu verdanken ist: allein ihrer und ihres Ministerpräsidenten umweltfreundlichen Politik.
Nichtbeamtete Ornithologen wie der Weißstorchbetreuer der staatlichen Vogelwarte Niedersachsen, Dr. Reinhard Löhmer, sehen das ganz anders. Nach der Pressekonferenz, auf der die Ministerin den Adebar für die SPD klappern ließ, hielten sie sich die Bäuche – nicht vor Lachen, vor Bauchgrimmen darüber, dass ihre dem Griefahn-Ministerium gemeldeten positiven Beobachtungen von Brutvorkommen „quasi als Wahlkampfauftakt politisch missbraucht“ würden.
Löhmer: „Sicher sind solche Beobachtungen erfreulich. Sie dürfen aber auf keinen Fall überbewertet, sondern müssen populationsbiologisch nüchtern analysiert und bewertet werden.“ Und dann zeige sich, dass der Zuwachs – der ohnehin nur den armseligen Status der frühen 80er Jahre wiederherstelle – „so gut wie nichts mit niedersächsischen Umwelt- und Naturschutzmaßnahmen zu tun hat“.
Niedersachsens Storchenpopulation hängt am Tropf der ostdeutschen Länder, in denen noch über 3000 Paare brüten. Da wird es für manchen Jungstorch eng, und er „macht rüber“. Überdies gab es Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre in Norddeutschland eine Massenvermehrung der Feldmaus. Das und überdurchschnittlich viele Niederschläge in den Winterquartieren südlich der Sahara schufen ein Nahrungsangebot, das die Überlebensrate des Weißstorchs erhöhte.
Zwei weitere Fachkundige, die Koordinatoren der Konferenz der Naturschutzverbände Ostfriesland, Reiner Schopf und Manfred Knake, hielten sich die Bäuche auch vor Lachen: Monika Griefahn hatte es auf jener Konferenz als einen Erfolg ihrer Schutzgebietspolitik bejubelt, dass der seltene europäische Löffler 1996 erstmalig im niedersächsischen Wattenmeer, auf Memmert und Mellum, zur Brut geschritten sei. Dazu Schopf, der es als Vogelwart auf Memmert eigentlich wissen muss: „Das geht weniger auf die Initiative von Frau Griefahn zurück als auf einen Fuchs, der die Brutkolonie auf der holländischen Insel Terschelling sprengte, so dass die Löffler zu uns rüberkamen.“
Sein Freund Knake machte sich Gedanken, was dran ist am politischen Eigenlob der Monika Griefahn. Ihr Naturschutzhaushalt betrage derzeit 60 Millionen Mark im Jahr. Bis 1999 soll er auf 29 Millionen zurückgefahren werden. Knake: „Für 29 Millionen kann sich jeder Einwohner Niedersachsens gerade mal ein Glas Mineralwasser kaufen, bei 60 Millionen war es immerhin noch ein Bier.“ Und zur Situation des Naturschutzes in ganz Deutschland sinniert er: „Die Entwicklung eines Astronautenklos zur Verrichtung der schwerelosen Notdurft wurde vom Bund mit 38 Millionen Mark bezuschusst.“