Auch der Jahreswechsel 2017/2018 ließ die ostfriesische Küste und darüber hinaus wieder mit Böllerkrachen und explodierenden Feuerwerksraketen beben, trotz des schlechten Wetters. Abertausende geschützte arktische Zugvögel hatten eine Horrornacht auf ihren Nahrungs- und Schlafplätzen, sowohl im Watt als auch in den deichnahen Gebieten. Da war doch was: Weltnaturerbe, Nationalpark Wattenmeer, EU Vogelschutzgebiet, Biosphärenreservat? Aber eben nur auf dem Papier!
Hier nur ein Beispiel zur angeblichen Akzeptanz dieses Großschutzgebietes:
Auf dem Zeitungsfoto abgebildet ist auch Armin Korok, Kurdirektor von Norden-Norddeich, der mit der Agentur „Inventos“ (das kommt von „erfinden“, in diesem Falle noch ein Bespaßungsevent) mitverantwortlich ist für das lautstarke Silvester-Strandspektakel am Strand von Norddeich. Der öffentlich-rechtliche Radiosender NDR2 war diesmal nicht dabei. Diese Krawall-Nummer wurde direkt an der Grenze zum Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer, EU-Vogelschutzgebiet und „Weltnaturerbe“, veranstaltet, mit der Sensibilität eines Dampfhammers.
Herr Korok ist sogar ein „Nationalpark-Partner“. O-Ton Nationalparkverwaltung zu diesem „Adelstitel“: „Sie fühlen sich den einzigartigen Natur- und Kulturlandschaften des Wattenmeers verbunden und verpflichtet? Dies möchten Sie auch Ihren Gästen näher bringen? Dann werden Sie doch Partner des Nationalparks und UNESCO-Biosphärenreservates!“
Ganz nebenbei: Das Wattenmeer ist eine Natur– und keine Kulturlandschaft, neben dem Hochgebirge ist es die einzig verbliebene Naturlandschaft in Deutschland. Vermutlich wurde das Watt politisch-behördlich in eine Kulturlandschaft umgeschrieben, um an die Fördermittel des UNESCO-Programms „Man and his Biosphere“ zu gelangen, das Biosphärenreservate in Kulturlandschaften fördert. Der Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer ist auch ausgewiesenes Biosphärenreservat. Küstennahe Binnendeichsflächem, die inzwischen mit Windparks vollgestellt wurden, sollen ebenfalls als Biosphärenresrvat ausgewiesen werden.
Das vom „Nationalparkpartner“ Korok in der Presse verkündete Böller und Feuerwerksverbot verhallte dann auch in diesem Jahr ungehört, auch am Strand von Norddeich wurde wieder kräftig gezündelt. Hat der Mann tatsächlich geglaubt, sein Sprüchlein des Feuerwerksverbots würde bei tausenden Besuchern ernst genommen? Veranstaltungen dieser Art gehören einfach nicht an die Grenze eines Nationalparks, da müsste man als „Nationalparkpartner“ eigentlich selbst drauf kommen.
Touristiker anderer Küstenbadeorte sind lernfähig: In Neuharlingersiel im Landkreis Wittmund wurde zu ersten Mal am Restaurant „Sielhof“ eine Bodenfeuerwerk und ein Höhenfeuerwerk gezündet, nur 500m vom Großschutzgebiet Nationalpark entfernt. Höhenfeuerwerke wirken mehrere Kilometer in das Großschutzgebiet Nationalpark hinein und scheuchen die Rastvögel panikartig auf, die dann ziellos umherfliegen, sich verletzen oder gar zu Tode kommen können, und das ist verboten.
Eigentlich (!) sind für lautstarke Veranstaltungen dieser Art, die in europäische Schutzgebiete hineinwirken können, vorherige Verträglichkeitsprüfungen notwendig, so steht es jedenfalls im Bundesnaturschutzgesetz (§34). Nur wird dies vom kommunalen Klüngel, zu dem auch die Vertreter der touristischen Bespaßungsindustrie gehören, einfach übersehen und missachtet. Die Vermarktung der Küste hat immer noch Vorrang vor dem gesetzlich gebotenen Artenschutz, das ist ein skandalöser und unhaltbarer Zustand! Ein ergänzende gesetzliches Regelung oder eine Verordnung auf Landesebene, die die Abstände von lärmintensiven Veranstaltungen zu EU-Vogelschutzgebieten regelt, ist seit Jahren überfällig. Die Landespolitik, egal welche Partei gerade das Sagen hat, tut sich schwer mit „nachhaltig“ wirksamen Artenschutz.
* Im Heft 52/2015 „Berichte zum Vogelschutz“ veröffentlichte Dr. Hermann Stickroth eine ausführliche Darstellung zu „Auswirkungen von Feuerwerken auf Vögel – ein Überblick (Stickroth, H. (2015): Effects of fireworks on birds – a critical overview. Ber. Vogelschutz 52: 115–149)“. Die Veröffentlichung ist hier verlinkt, der Wattenrat wird im Literaturverzeichnis mehrfach erwähnt.
Abschließend ein Beispiel aus dem „Petkumer Deichvorland“ an der Ems bei Emden, das Teil eines EU-Vogelschutzgebietes ist. Hier liegen u.a. die Schlafplätze von tausenden arktischen Gänsen. Am Petkumer Hafenanleger, der an das Schutzgebiet angrenzt, wird in jedem Jahr geböllert. Wattenrat-Mitarbeiter Eilert Voß, der dort in jedem Jahr mit der „Gänsewacht“ ein Auge auf die Freizeitjäger hat, berichtet auch vom Jahreswechsel 2017/2018:
So. 31.12.2017 Petkum- Siel
Wetterdaten: 7,7 Grad C, Dauerregen; Wind: SSO 2; SoA: 8:43 Uhr; HW: 10:17 Uhr
07:20 Uhr: Emsvorländer/ Ost- u. Westteil; nach abend- und nächtlichen Raketenabschüssen sind der Sommerpolder und weite Teile der Brackwasser-Salzwiesen beinahe vogelleer.
08:15 Uhr: Sommerpolder; Aufbruch von 180 Nonnengänsen. Flug > Ost.
08:16 Uhr: Westteil vom NSG; vogelleer.Gänsewacht von 7:20- 9:10 Uhr
Mo. 01.01.2018 Petkum- Siel
Wetterdaten: +5,6 Grad C, heiter-wolkig; Wind: NW 5-6; SoA: 8:44 Uhr; HW: 11:18 Uhr
07:25 Uhr: Sommerpolder; keine einzige Nonnengans im Polder und NSG-Westteil.
07:22 Uhr: NSG-Ostteil; nur im östlichen, schmalen Bereich des NSG Petkum befinden sich zwischen Petkumer Münte und dem Gandersumer Stauwehr am Emsufer 3.500 Nonnengänse und 260 Pfeifenten.
07:30 Uhr: Fährparkplatz/ Siel; Reste von mehreren Böllern und Raketen am Sielgebäude.
Wegen dieses Fundes kann vermutet werden, dass die Vogelleere des Sommerpolders und des westlichen Vorlandes ursächlich mit dem Abbrennen von Knallkörpern in Verbindung stehen könnte.
08:10 Uhr Gandersum/ Stauwehr; Böller-Reste auf dem Parkplatz und der Zuwegung. Nur eine einzige flugbehinderte Blessgans befindet sich auf der Außenberme des Emsdeiches. Der Rest der behinderten Blessgansgemeinschaft (17 an der Zahl) ist unauffindbar.
(In den nächsten Tagen wird seitens der Gänsewacht überprüft, wie viel Zeit nach dem offensichtlich erlebten Knalltrauma vergeht, bis die Gänsegruppe zum alten Verhaltenschema zurück findet).Hinweis: Obwohl die heutige, aufgefundene Anzahl abgebrannter Feuerwerkskörper deutlich unter der Menge des Knallkörper-Mülls des letzten Jahreswechsels 2016/17 liegt, ist die Scheuch-Wirkung auf rastende Gänse dieselbe als im letzten Jahr. Mit einer Verteuerung von Silvesterartikeln oder anderen Reduktionsfaktoren ist dem Problem der Massenvertreibung von Vögeln aus ihren Habitaten an Unterems und dem Weltnaturerbe-Gebiet des „Dollart“ daher nicht beizukommen. Die einzig pragmatische Lösung ist ein ganzjähriges Verbot von Feuerwerken im Einflussbereich von Naturschutzgebieten und Nationalparks.
Gänsewacht von 7:25- 9:05 Uhr