Die Zauberlehrlinge: Projekt ´Strategie Wattenmeer 2100´

Langeoog: Strandaufspülung vor dem Pirolatal nach Sturmflut, Juli 2017, Foto: privat

Seit 2015 wird über das Projekt „Strategie Wattenmeer 2100“ berichtet. 2015 wurde unter dem damaligen Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume Dr. Robert Habeck (B90/Die Grünen) in Schleswig-Holstein diese „Strategie“ erdacht, ausgehend vom Szenario, dass das Wattenmeer mit dem Meeresspiegelanstieg nicht mitwächst und der Mensch das Wattenmeer durch den Klimawandel nun retten muss. Da fragt man sich doch zunächst, wie das Wattenmeer überhaupt entstanden ist. Die Antwort: Durch den nacheiszeitlichen Meeresspiegelanstieg, seit ca. 12.000 Jahren. Nach dem Ende der Weichsel-Kaltzeit steigt der Meeresspiegel postglazial an, mal mehr, mal weniger, bis heute. Der Meeresspiegelanstieg ist also kein Phänomen unserer Zeit, wird aber alarmistisch für jeden Klima-Aktionismus verwandt. Derzeit steigt der Meeresspiegel mit 1,7 mm im Jahr oder 17 cm im Jahrhundert an („säkularer Anstieg“), so die Messungen  der Universität Siegen mit einem Bericht aus 2013. Das ist weniger als der früher gemessene Anstieg von ca. 25 cm im Jahrhundert.

Es deutet also alles darauf hin, dass sich der Anstieg verlangsamt hat. In Schleswig-Holstein geht man jedoch von einem „beschleunigten Meeresspiegelanstieg“ aus, der aber durch Pegelmessungen nicht nachweisbar ist. Bis jetzt sind das Wattenmeer und die dazugehörigen Salzwiesen stets mit dem Meeresspiegelanstieg und der damit verbundenen Sedimentzufuhr mitgewachsen. Probleme entstehen jedoch durch die enorme Kies- und Sandentnahme aus dem Watt für den Küstenschutz, u.a. zur Festlegung der touristisch genutzten Inseln, die es sonst mit der natürlichen Verlagerungen – verursacht durch nagenden Wind und durch Wellen – so gar nicht mehr geben würde. Nun soll Sand aus der Nordsee („externe Sedimentquellen“) auf das Wattenmeer aufgebracht werden: „Die dynamischen Kräfte des Wattenmeeres [sollen] selbst für eine Versorgung der Gebiete mit ´Sandhunger` sorgen“, so Dr. Habeck in „Die Welt“ am 30. Juni 2015 „Nordsee-Sand soll Wattenmeer vor Klimawandel retten“

Zitat daraus: „Es müsse in die Natur eingegriffen werden, um sie zu schützen, sagte Habeck. ´Das ist eine Anpassungsstrategie an den Klimawandel.´ Der sehr sensible Prozess werde gemeinsam mit dem Natur- und Küstenschutz gestaltet. Ziel sei es, das Wattenmeer mit seinen Funktionen und möglichst in seiner Größe langfristig zu erhalten.“

Und hier: Viel Nordseesand soll Wattenmeer vor Klimawandel retten

„Auf Schleswig-Holstein kommen so oder so gigantische Kosten für die Rettung des Wattenmeers zu. Ein Vergleich: Die Sandvorspülungen auf Sylt (eine Million Tonnen pro Jahr) kosten rund 6,5 Millionen Euro. Damit würde schon die positive Modellvariante (gemäßigter Klimawandel) knapp einer Milliarde Euro verschlingen.“

Was also meinte Dr. Habeck mit den „Eingriffen“? Das Projektpapier liest sich so, als ob man mit Sandentnahmen aus dem Wattenmeer die Wattenküste stabilisieren und durch Sandaufspülungen auch die Infrastruktur sichern will und damit gleichzeitig das Wattenmeer erhalten kann.

„Ziel des Landes ist es, das Wattenmeer in seiner Einzigartigkeit mit seiner charakteristischen Dynamik entsprechend der Nationalpark-Zielsetzung, der Weltnaturerbe-Anerkennung und in seiner Funktion für den Schutz der Küste und für den Menschen zu erhalten.“

Inselsicherung auf Norderney mit Spülrohren und Hopperbagger- Foto (C): NLWKN

Zauberlehrlinge: neuer Bedeutungsrahmen „Klimawandel“

Das klingt nach der Quadratur des Kreises. Gerade zu einem Nationalpark Wattenmeer wird stets von „dynamischen Prozessen“ geschrieben (siehe auch § 24 Bundesnaturschutzgesetz) , die es zu fördern gelte. Sandentnahme aus der Nordsee und das Aufbringen auf das Watt haben jedoch nichts mit der natürlichen Dynamik zu tun, das sind Versuche von Zauberlehrlingen. Jede Sturmflut wird wieder zu gewaltigen natürlichen Sedimentverlagerungen führen, das zeigen die Dünenabbrüche z.B. auf den Ostfriesischen Inseln, die nach Sturmfluten wieder mit Sandaufspülungen repariert werden müssen. Ohne diese Eingriffe würden die Inseln schließlich ganz natürlich auseinanderbrechen oder sich verlagern. Heute sind die Inseln und die Küstenlinie durch Küstenschutzmaßnahmen festgelegt. Künstlich aus der Nordsee auf das Wattenmeer aufgespülter Sand würde nach Sturmfluten in kürzester Zeit wieder weiträumig im Wattenmeer oder auf See verteilt werden.Das Projekt „Wattenmeer 2100“ beinhaltet genau das Gegenteil von dem, was einen Nationalpark eigentlich ausmachen sollte: natürliche Dynamik. „Klimaschutz“ ist nun das neue Zauberwort, mit der menschliche Eingriffe in das Wattenmeer begründet werden, und wer kann schon dagegen sein, wenn man den Untergang des Wattenmeeres verhindern will? „Klimawandel“ ist nun der erklärte neue Bedeutungsrahmen für stärkere Eingriffe in das Wattenmeer, neudeutsch „Framing“ genannt.

Inseldynamik: Die Insel Langeoog im Jahr 1805, dreigeteilt, mit späteren Küstenschutzmaßnahmen zu einer Insel zusammen- und festgelegt. Karte: Karl Ludwig von Lecoq

Das Dilemma

Zu fragen ist auch, wie sich solche Eingriffe in die Wattendynamik mit den Natura-2000-Richtlinien der Europäischen Union oder dem Bundesnaturschutzgesetz vereinbaren lassen, Naturschutz findet bekanntlich nicht im rechtsfreien Raum statt. Hier offenbart sich das Dilemma: Einerseits will man einen Nationalpark (Anmerkung: In Schleswig-Holstein, anders als in Niedersachsen, sind die größeren Inseln nicht Teil des Nationalparks, dennoch gelten auch hier die europäischen Natura-2000-Richtlinien) mit weitgehend ungestörten dynamischen Prozessen, andererseits wirbt man tourismusfördernd mit dem Etikett „Weltnaturerbe“ und will gleichzeitig den notwendigen Küstenschutz vorantreiben. Der Küstenschutz ist für die Wohnbevölkerung und den Erhalt der Infrastruktur unverzichtbar und kann nicht zur Diskussion gestellt werden. Sehr wohl kann aber diskutiert werden, ob es sich unter den gegebenen Verhältnissen mit den vielen zugelassen Nutzungen im Wattenmeer überhaupt noch um einen echten „Nationalpark“ mit den postulierten „ungestörten dynamischen Prozessen“ oder gar um ein „UNESCO-Weltnaturerbe“ handelt – oder ob diese Begriffe nicht bloß ein riesiger politisch inszenierter Etikettenschwindel sind. Um nicht falsch verstanden zu werden: Naturschutz im Wattenmeer ja, dann aber ehrlicherweise, den tatsächlichen Verhältnissen angepasst, vielleicht mit der Ausweisung von Naturparks für die überwiegende Erholungsnutzung mit darin liegenden Landschafts- und Naturschutzgebieten, deren Verordnungen die zugelassenen Nutzungen wiedergeben – und nicht mit der Überhöhung „Nationalpark“ oder „Weltnaturerbe“, um noch mehr Touristen anzulocken.

Watten- und Inseldynamik: Insel Wanger Oge (Wangerooge) 1805 – Karte: Karl Ludwig von Lecoq

Nachdem sie das Ziel endültig aus den Augen verloren hatten…

Massentourismus und Windenergie werden von „Wattenmeer 2100“ nicht als Belastungsfaktoren genannt. Die Offshore-Windenergie, die zahllose Opfer unter Zugvögeln fordert und Schweinswale schädigt, wird als Chance für die Hafenentwicklung gesehen. Dass die Offshore-Windenergie mit der künstlich gebauten Riffstruktur im Meer die Gefahr durch Schiffsunfälle, im schlimmsten Falle mit Öltankern, erhöht, ist kein Thema. Eine Öltankerhavarie würde gravierende Schäden im Watt verursachen. Die stark rückläufige Zahl der Strandbrüter führt man auf „Störungen“ und „Habitatveränderungen“ zurück. Im Klartext: Es ist die Übernutzung der Strände durch den Massentourismus, die die Habitate vernichtet.

Das Aus für Strandbrüter: Funsport und Spaziergänger im Schutzgebiet, Rysumer Nacken/Emden, Nationalpark Niedersächsiches Wattenmeeer – Foto C): S. Bieler

Negative Auswirkungen auf das Artenspektrum durch die Fischerei werden in wenigen Sätzen abgetan. Wie es sich gehört, wurden „Lenkungsgruppen“, „Projektbeiräte“ und „Projektgruppen“ für „Wattenmeer 2100“ ins Leben gerufen. Die Gremien werden also lange mit sich beschäftigt sein, wie die Hamster im Rad? Natur- und Artenschutz im und am Wattenmeer, im Nationalpark und sogar im „Weltnaturerbe“ sollen sich einem imaginären „Klimaschutz“ unterordnen, unterordnen unter computergestützte Klima-Algorithmen, die Zukunftsszenarien ausspucken, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun haben müssen.

Abträglich für das Watt: Muschelkutter ankert an einer Miesmuschelbank. Die Muscheln werden mit Stahlketten und Dredgen aus dem Sediment gerissen. – Foto (C): Eilert Voß

Immerhin wird im Projektpapier von „Bandbreiten bzw. Unsicherheiten in den Szenarien für die Zeit bis 2050 bzw. 2100“ geschrieben, also nichts genaues weiß man eigentlich gar nicht. Mark Twain hätte das so formuliert: „Nachdem sie das Ziel endgültig aus den Augen verloren hatten, verdoppelten sie ihre Anstrengungen“. Mit oder ohne Klimawandel, mit oder ohne den Meeresspiegelanstieg wird sich die Natur weiterentwickeln, ein statisches Klima und eine statische Natur hat es nie gegeben. Nur hat der menschliche Einfluss häufig zu gravierenden und oft unkalkulierbaren Veränderungen geführt. Die Dynamik des Wattenmeeres hat bisher weder Herrn Dr. Habeck noch die Partei der Grünen benötigt und wird diese mit Sicherheit überleben, ganz ohne Computer-Szenarien.

Dr. Habeck in „Strategie Wattenmeer 2100“: „Klimawandel und Meeresspiegelanstieg! Diese Begriffe haben sich als große Herausforderungen für die Zukunft der Küsten Schleswig-Holsteins in unseren Köpfen eingeprägt. Wenn wir keine nachhaltigen Gegenmaßnahmen treffen, müssen wir spätestens ab der Mitte dieses Jahrhunderts damit rechnen, dass das Wattenmeer sich in eine für uns und für die Natur ungünstige Richtung entwickeln wird. Grund ist in erster Linie der beschleunigte Meeresspiegelanstieg, der letztendlich zu einer immer stärkeren Abnahme von Wattflächen und Salzwiesen im Wattenmeer führen wird.“

Die vollständige Projektbeschreibung können Sie hier abrufen: https://www.nationalpark-wattenmeer.de/sites/default/files/media/pdf/strategie-wattenmeer-2100-web.pdf

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