von Manfred Knake
Christian Meyer ist grüner Umweltminister in Niedersachsen, der Nachfolger von Olaf Lies (SPD), der jetzt wieder als Wirtschaftsminister im Lande umgeht. Christian Meyer geht auf Reisen, auf eine „Sommerreise“, u.a. an die Küste nach Emden. Seine Themen sind die sog. „Erneuerbaren Energien“, davon hat die Stadt Emden eine ganze Menge, man nennt sich dort gerne „Energiedrehscheibe der Energiewende“.
In Emden soll es mit Minister Meyer einen „Bürgerdialog“ zum „Ausbau der Erneuerbaren Energien – Chancen und Herausforderungen der Energiewende“ geben, berichtete die Nordwest Zeitung aus Oldenburg am 07. Juli.
In Emden steht auch der Windpark „Wybelsumer Polder“, „eingeweiht“ 2002 als Vorzeigeobjekt mit der Bezeichnung „größter On-Shore Windpark Europas mit 54 Anlagen und einer Gesamtleistung von 70 Megawatt auf 380 Hektar“, eröffnet vom damaligen niedersächsischen Ministerpräsident Sigmar Gabriel (SPD) und dem „Schirmherrn“ Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD).
Die Anlagen lieferte der Hersteller Enercon aus dem benachbarten Aurich, eine Firma, die von Bund und Land Niedersachsen gehätschelt wird und aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) der Bundesregierung im letzten Jahr noch ein Darlehen von 500 Millionen Euro bekam.
Unter dem Schröderschen Schutzschirm tat sich bis 2002 vor der weihevollen Handlung in Wybelsum aber noch einiges. Ob der heutige Landesumweltminister Meyer die Entstehungsgeschichte dieses hochgelobten Windturbinenfeldes direkt an der Meeresbucht „Dollart“ und am „Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer“ kennt und dies in den geplanten „Bürgerdialog“ mit einfließt? Kaum, damals war er noch Zivildienstleistender oder Student. Haarscharf wäre dieser Wind“park“ nämlich an der EU-Kommission, der Flora-Fauna-Habitatrichtlinie und der Vogelschutzrichtlinie, der verbindlichen EU-Natura-2000-Gesetzgebung, gescheitert, wäre da nicht die massive Einflussnahme der Landes- und Bundespolitik gewesen.
Das Beschwerdeverfahren
Des Pudels Kern: 1997 legte die damalige „Konferenz der Natur- und Umweltschutzverbände Ost-Friesland“ durch mich Beschwerde bei der EU-Kommission gegen den Bau des Windparks „Wybelsumer Polder“ und weitere 14 Windparkstandorte in „faktischen Vogelschutzgebieten“ an der ostfriesischen Küste ein. „Faktisch“ deshalb, weil die Flächen der Windparks, aus welchen Gründen auch immer, vom Land nicht an die EU-Kommission zur Ausweisung als Vogelschutzgebiete gemeldet wurden, obwohl nach EU-Recht die “zahlen- und flächenmäßig geeignetsten“ Gebiete zu Schutzgebieten ausgewiesen werden müssen. Soweit die Mitgliedstaaten, also auch Deutschland, ihrer Verpflichtung zur Ausweisung von Vogelschutzgebieten nicht nachkommen, erfahren solche Gebiete als sogenannte faktische Vogelschutzgebiete bis zu ihrer ordnungsgemäßen Meldung und Unterschutzstellung den strengen Schutz der Vogelschutzrichtlinie – eigentlich, nichts darf darin nichts zum Negativen verändert werden. Die Generaldirektion Umwelt der Kommission nahm die umfangreiche und gut begründete Beschwerde exemplarisch am Beispiel des Windkraftstandortes Wybelsumer Polder an, sie wurde unter der Nummer 1997/4360 registriert.
Die politischen Wind-Paten und die EU-Kommissarin Margot Wallström
Das sind die damaligen politischen Akteure auf Landes- und Bundesebene: Gerhard Schröder war 1997 Ministerpräsident in Niedersachsen, später Bundeskanzler. Der heutige Bundespräsident Steinmeier (SPD) war 1996-97 Leiter der Niedersächsischen Staatskanzlei und von 1999 bis 2005 Chef des Bundeskanzleramtes unter Kanzler Schröder; Bundesaußenminister und Vizekanzler der Bundesrepublik Deutschland war von 1998 bis 2005 Joseph „Joschka“ Fischer (Bündnis 90/Die Grünen); Sigmar Gabriel war von 1999 bis 2002 Ministerpräsident in Niedersachsen; Wolfgang Jüttner (SPD), von 1998 bis 2003 niedersächsischer Umweltminister.
Der Wattenrat Ost-Friesland als Nachfolgegruppe der aufgelösten „Konferenz“ führte das Beschwerdeverfahren gegen den Windkraftstandort am Dollart bei Emden fort. Das Verfahren erreichte 2002 seinen Höhepunkt, als die EU-Kommission gegen Deutschland die sog. „zweite Stufe“ des Vertragsverletzungsverfahrens zündete und mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof wegen des Verstoßes sowohl gegen die Europäische Vogelschutzrichtlinie als auch gegen die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie drohte. Am 20. März 2002 schrieb die damalige schwedische EU-Umweltkommissarin Margot Wallström an den Bundesaußenminister Fischer und erläuterte auf fünf Seiten die Bedenken der EU-Kommission gegen den Windparkstandort Wybelsumer Polder, Zitat daraus: „Im Hinblick auf den Wybelsumer Polder und den dort teilweise fertiggestellten Windpark verletzt die Bundesrepublik Deutschland nach Einschätzung der Kommission sowohl die Vogelschutzrichtlinie als auch die FFH-Richtlinie“.
Die Nachrichtenagentur dpa verbreitete später am 19. Dez. 2002 zu diesem Vertragsverletzungsverfahren eine Nachricht und zitierte die EU-Umweltkommissarin Wallström: „Es ist unabdingbar, dass die wichtigsten Lebensräume der EU im Rahmen des Naturschutzrechtes angemessen anerkannt und geschützt werden. Die Kommission ist entschlossen, das EU-Umweltschutzrecht zu verteidigen.“
In Niedersachsen pfiff man auf die EU-Kommission
Im „ergänzenden Aufforderungsschreiben“ vom 02. April 2003 im Rahmen des Vertragsverletzungsverfahrens 2001/5117 an die Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der Europäischen Union in Brüssel mahnte die Kommission erneut die Ausweisung des Wybelsumer Polders als „Besonderes Schutzgebiet“ nach der Vogelschutzrichtlinie an. Im Niedersächsischen Umweltministerium mit dem damaligen Minister Wolfgang Jüttner (SPD) sah man das anders: Das Ministerium hatte zuvor mit Schreiben vom 17. März 2003 (Az 27a-22005/5) an das Bundesumweltministerium in einer Stellungnahme dargelegt, dass Niedersachsen es nicht für „zulässig“ hielte, dass die EU-Kommission „in mehreren Vertragsverletzungsverfahren“ die „unzureichende Ausweisung von besonderen Schutzgebieten […] allgemein angreift und andererseits außerdem die Nicht-Ausweisung einzelner Gebiete zum Gegenstand besonderer Vertragsverletzungsverfahren macht.“ Im Klartext: Dem Land Niedersachsen war es also wurscht, was Brüssel schrieb, war der Bau des Windparks bei Emden doch bereits abgeschlossen.
Einstellung des Beschwerdeverfahrens: Tricksereien mit Vogeldaten
Dann ging alles ganz schnell: Am 09. Februar 2004 schrieb mir die Generaldirektion Umwelt der EU, das Verfahren sei auf Grund der Antwort der Bundesrepublik Deutschland auf die Begründete Stellungnahme der Kommission vom 19. Dezember 2002 einzustellen, im oben erwähnten Schreiben vom 02.04.2003 hatte die Kommission noch die Ausweisung des Wybelsumer Polders als „Besonderes Schutzgebiet“ angemahnt! Der angewandte Trick: Die zugrundeliegenden sog. „wertbestimmenden“ Vogelarten (auf die detaillierte Artenliste verzichte ich hier) wurden vom Land Niedersachsen einfach auf nur zwei Arten heruntergerechnet und so an die EU weitergegeben, widersprachen aber den vorliegenden Erfassungsdaten, die wesentlich mehr Vogelarten aufwiesen; zuständig für die Datenlage war die weisungsgebundene „Staatliche Vogelschutzwarte“ in Niedersachsen. Deren damaliger Leiter ist heute Chef der Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer in Wilhelmshaven.
Alles vergebens
Der Wattenrat Ost-Friesland legte dann auch der Generaldirektion Umwelt der EU fristgerecht am 11. März 2004 eine gutachterliche Stellungnahme gegen die geplante Einstellung des Verfahrens vor. Es wurde darin auf die unzulässige reduzierende Darstellung auf nur zwei Vogelarten hingewiesen, statt das ganze Spektrum der betroffenen Arten zu nennen. Alles vergebens, es blieb bei der Einstellung des Vertragsverletzungsverfahrens. Das international bedeutsame Vogelschutzgebiet geriet so endgültig unter die Windräder, wie später weitere Flächen auch. Kritiker sprachen von „Rechtsbeugung auf hohem Niveau“.
Umweltminister Meyer und die „Freiheitsenergien“
Landesumweltminister Christian Meyer wird auf seiner Sommerreise in Emden faktenfrei schwadronieren; ihm dürfte nicht entgangen sein, dass auch Ostfriesland bereits bis zum Anschlag mit Windparks vollgestellt ist. Die Tatsache, dass Windenergie wegen ihrer Volatilität und nicht bedarfsgerechten Einspeisung eben nicht unabhängig macht von Gas oder Kohle, Windstrom kein Öl ersetzen kann und zudem die Strompreise durch die garantierte Einspeisevergütung in ungeahnte Höhen trieb, ist dem ideologiegetriebenen Umweltminister der Grünen kaum nahezubringen: „Die Themen Ausbau und Perspektiven Erneuerbarer Energien sind für die Region und für die Wirtschaft und Industrie eine Riesenchance […] Und auch bei der Windenergie wissen gerade die Menschen an der Küste, dass sie die wahren Freiheitsenergien sind, die uns kostengünstig unabhängig machen von Gas, Öl und Kohle von Diktatoren“, zitiert die Nordwest Zeitung den Zeitgeist-Schnacker. Was er auch wissen sollte: „Viele Menschen an der Küste“ wehren sich seit Jahren gegen immer mehr Windkraftanlagen, überwiegend nicht aus Natur- und Landschaftsschutzgründen, aber wegen der Lärmbelastung. In nicht wenigen Kommunen wittert man nun Morgenluft durch die neuen gesetzlichen Vorgaben der Ampelregierung mit dem Abbau von Planungshemmnissen. Die SPD-Bürgermeisterin des Städtchens Esens im ostfriesischen Landkreis Wittmund, die auch im Landtag sitzt, äußerte sich zu neuen Windparkplanungen in der Lokalpresse so: „Es geht um viel, viel Geld“. Eben, nur darum geht es, um das angenehme „Klima“ auf den Investorenkonten.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei der „Achse des Guten„.