Nachtrag: Am 20. Sept. 2016 stimmte der Baltrumer Gemeinderat über das Seilbahnprojekt ab: Alle dagegen, bis auf den Bürgermeister. Damit wurde diese Schnapsidee zu den Akten gelegt.
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Der Bürgermeister der Insel Baltrum, Berthold Tuitjer, hat ernsthaft eine Seilbahnverbindung vom Festland nach der Insel Baltrum vorgeschlagen, nicht am 1. April, sondern mitten im Sommerloch, gut platziert in der „Sauregurkenzeit“ vieler Medien. Nicht nur der Bürgermeister findet seinen Vorschlag gut, sondern auch der Wirtschaftsminister des Landes Niedersachsen, Olaf Lies (SPD). Der findet alles gut, was nach Profilierung klingt. Dieser Industriemarionetten-Politiker schwärmt auch für den milliardenteuren, aber nicht ausgelasteten Jade-Weser-Port in Wilhelmshaven oder ist Politlobbyist des Auricher Windkraftanlagenherstellers, der nicht nur Ostfriesland mit Hilfe vieler Lokalpolitiker in eine rotierende und entstellte Industrielandschaft verwandelt hat.
Baltrums Bürgermeister Tuitjer machte schon 2015 in seiner Eigenschaft als Kurdirektor der Insel Schlagzeilen in der Region, als er wegen Unstimmigkeiten um fehlende Strandkorbeinnahmen mit nur 45 Jahren seinen (dann gut dotierten) Rücktritt anbot, der aber vom Rat der Inselgemeinde abgelehnt wurde. Damals fehlten geschätzte 100.000 Euro in der Gemeindekasse, es bestand der Verdacht der Unterschlagung. Der Gemeinderat hatte in einer Abstimmung Tuitjer als Kurdirektor nicht entlastet, nachdem dieser den Wirtschaftsbericht 2013 mit den fehlenden Einnahmen vorgelegt hatte.
Nun will Tuitjer die Insel ans Seil legen. Hintergrund sind die Querelen mit der Reederei Baltrum-Linie. Einen Planer präsentierte Tuitjer auch schon: Im österreichischen Wolfurt nahe des Bodensees residiert der Weltmarktführer im Seilbahnbau, die Doppelmayr/Garaventa-Gruppe. Dieses Unternehmen entwarf bereits eine erste Projektskizze für die Baltrum-Seilbahn. Bei „einem Bier“ auf der Insel im letzten Herbst soll zuerst darüber geredet worden sein, so der Inselbürgermeister in der Presse. War es nur ein Bier oder wurde dabei etwa auch Verbotenes geraucht?
Stelzen und Seile abträglich für den Vogelzug im „Weltnaturerbe“
Der forsche Inselpolitiker ignoriert, dass diese Seilbahn auf Stahlstelzen errichtet werden muss, die dann im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer und „Weltnaturerbe“ stehen müssten. Die Seile wären ein Hindernis für den Vogelzug, gerade bei schlechtem Wetter. Mit einer Aberkennung des Etiketts „Welterbestatus“, der ohnehin nur der touristischen Vermarktung dient, müsste gerechnet werden, aber nicht unbedingt. Die zuständige UNESCO als Hüter der Welterbetitels ist nicht ganz ernst zu nehmen, auch da es es ums Geschäft. Als 2009 mit dem Bau einer Doppelmayr-Seilbahn über den Rhein bei Koblenz begonnen wurde, sah der Genehmigungsvertrag vor, dass die Herstellerfirma, die die Seilbahn auch betreibt, diese im November 2013 wieder abbauen müsse. Der Abbau nach drei Jahren wurde ursprünglich als notwendig erachtet, um den UNESCO-Welterbe-Status der „Kulturlandschaft Oberes Mittelrheintal“ nicht zu gefährden. Nach politischem Druck beschloss die UNESCO schließlich 2013 in Phnom Penh auf der 37. Sitzung des Welterbekomitees, den Betrieb bis 2026 zu erlauben. Aber dann endet die technisch mögliche Betriebsdauer ohnehin. Und, wer hätte das gedacht, von 2002 bis 2014 war der Landes- und Bundespolitiker Walter Hirche (FDP) Präsident der Deutschen UNESCO-Kommission. Hirche ist als politischer Strippenzieher bekannt.
Windiges
Und die „erneuerbaren Energien“ durften als „schlagendes“ Argument von Herrn Tuitjer auch nicht fehlen, mit denen er die Bahn „ökologisch“ betreiben will. Abgesehen davon, dass der Windstrom an der Küste auch nur dann eingespeist wird, wenn der Wind weht und es keine Extra-Leitungen im Verbundnetz für Windstrom gibt, wird er auf eine konventionelle Stromversorgung seiner Insel mitsamt seiner Schnapsidee Seilbahn nicht verzichten können.
Dazu kommt die Windanfälligkeit von Seilbahnen, gerade über dem Wattenmeer. Der Betrieb muss aus Sicherheitsgründen schon bei ca. 5 Windstärken eingestellt werden. Starke böige Winde würden den Betrieb ohnehin verbieten. Die Rhein-Seilbahn in Köln sprang im Oktober 2014 nach einer Böe aus dem Seil, die Passagiere mussten stundenlang auf ihre Befreiung warten. Schiffe aber fahren (fast) immer und sind zudem für die Inselversorgung unverzichtbar. Im amphibischen Umfeld mit hohen (Salz-) Wasserständen bei Sturmfluten oder Eisgang im Winter wäre die Lebensdauer der tragenden Stahlkonstruktionen zudem arg begrenzt.
Kommunalpolitische Kopfgeburt
An Tuitjers Vorstoß ist wieder einmal zu erkennen, zu welchem Kopfgeburten Kommunalpolitiker fähig sind. Erschreckend ist nur, wie wenig das gesetzlich geschützte Großschutzgebiet „Nationalpark“ in den Köpfen vieler Politiker nach 30 Jahren des Bestehens angekommen ist. Lautstarke Musikevents an den Stränden, wo diese nach dem Nationalparkgesetz eigentlich verboten sind, Höhenfeuerwerke zur Touristenbespaßung, die weit in die Flächen des Schutzgebietes hineinwirken und Vögel und Seehunde stören und vertreiben, oder nun gar eine Seilbahn übers Watt: Naturschutz und Respekt sind Fremdworte geblieben, nichts hat sich geändert.
Nachtrag 11. August 2016: Immerhin, auch die Kommunalpolitik hat erkannt, dass die Seilbahnnummer nur eine Luftnummer ist. Lediglich der Bürgermeister von Baltrum hält verbissen an seiner Kopfgeburt fest, auf „seiner“ Insel sollen sogar schon Plakate gesehen worden sein: „Seilbahn-nein danke“….
Ostfriesen Zeitung, 11. August 2016
[…] „Pläne sind nicht genehmigungsfähig“
Dornums parteiloser Bürgermeister Michael Hook, der auch Geschäftsführer des Hafenzweckverbandes ist, glaubt aus einem weiteren Grund an ein baldiges Aus für das Projekt, das bis zum Entscheid des Baltrumer Gemeinderates noch gar keines ist (siehe dazu Seite 1): „Die Pläne sind nicht genehmigungsfähig“, sagte er. Wenn 68 Meter hohe Stützen aufgestellt würden, wäre das ein zu großer Eingriff in das Weltnaturerbe. Wegen der rechtlichen, technischen und wirtschaftlichen Probleme lehne er die Seilbahn „klar ab“.
Berthold Tuitjer ficht dieser Gegenwind nicht an. „Die Gesetzgebung kann geändert werden“, sagte er. Und für alle anderen Probleme ließen sich ebenfalls Lösungen finden. Der Insel-Bürgermeister will weiter für seine Idee kämpfen: „Die Gedanken sind frei. Und ich wollte eine Diskussion herausfordern.“ Das hat er zweifelsohne erreicht.