Insel Juist: mit schwerem Gerät im ´Kräutertal´- strengste Schutzzone des Nationalparks

Insel Juist, Westende, Kräutertal, August 2020 – Foto: privat/Wattenrat

Der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) bewegt derzeit jede Menge Sand auf der Insel Juist und damit auch die Gemüter der Verwaltung und der Politik. Aktuell wird Sand aus dem „Kräutertal“ im Westen der Insel entnommen, um einige Dünen auf der Insel für den Sturmflutschutz zu verstärken. Das ist neu, denn bei früheren Dünenverstärkungen wurde der Sand vom vorgelagerten Billriff  im Wattenmeer geholt.

Mit dieser Maßnahme wird direkt in die Ruhezone, die strengste Schutzzone des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer, Natura-2000-Gebiet und „Weltnaturerbe“, eingegriffen. Das Nationalparkgesetz sieht das so:

㤠6: In der Ruhezone verbotene Handlungen

(1) 1 In der Ruhezone sind alle Handlungen verboten, die den Nationalpark oder einzelne seiner Bestandteile zerstören, beschädigen oder verändern. […]“

Und genau das geschieht im Kräutertal. Es handelt sich auch nicht um eine freigestellte „Erhaltungsmaßnahme“, weil Sand entnommen und dabei ein komplettes Dünental tangiert wird.

Was nicht passt, wird passend beschrieben

Der NLWKN dagegen macht das in seiner Pressemitteilung vom 28. Aug. 2020 mit Worten passend und beschreibt dabei den Eingriffsort nur ungenau:

„[…] Das für das Vorhaben benötigte Material wird aus einem unmittelbar westlich angrenzenden Gelände gewonnen. ´Auf diese Weise können wir die Transportentfernungen und damit auch Störungen des hier vorhandenen wertvollen Naturraums soweit möglich minimieren´, erklärt Prof. Frank Thorenz, Leiter der NLWKN-Betriebsstelle Norden-Norderney. Der Vereinbarkeit von Küsten- und Naturschutz messen die Planer eine große Bedeutung bei: Die Dünen werden landschaftsgerecht mit höher aufragenden Kuppen und unterschiedlichen Böschungsneigungen gestaltet. ´Besonders wertvolle Bereiche werden möglichst ausgespart oder die Vegetation an geeignete Standorte umgepflanzt´, so Frank Thorenz. Nach Abschluss des Sandeinbaues werden die Sandflächen umgehend durch Abdecken mit einer dünnen Lage Heu und anschließendes Pflanzen von Strandhafer gegen Ausblasen durch Windeinwirkung stabilisiert. […]“

Hier die Power-Point-pdf des NLWKN zur Baumaßnahme, man achte auf das schwere Gerät, das in diesem Schutzgebiet zum Einsatz kommt: Dünenverstärkung Kräutertal 2020

Wie die Lokalzeitung „Ostfriesischer Kurier“ aus Norden am 07. Sept. 2020 berichtete, wurde auf der Bauausschusssitzung des Inselrates erhebliche Kritik an der Maßnahme des NLWKN laut. Eine Insulanerin bemängelte während der Einwohnerfragestunde den Eingriff in das Dünental als „Wahnsinn“ und stellte fest, dass Verwaltung und Rat gar nicht rechtzeitig über die Maßnahme informiert worden seien. Auch Bürgermeister Dr. Tjark Goerges räumte ein, dass Rat und Verwaltung nicht rechtzeitig informiert wurden, da zum Zeitpunkt des Bekanntwerdens am 10. August „Sitzungspause gewesen sei“, sah allerdings keine Veranlassung, seitens der Inselgemeinde Widerspruch gegen den Eingriff im Westen der Insel einzulegen. Die Widerspruchsfrist war am 10. August 2020 abgelaufen. Nach Angaben von der Insel wurden die Baumaßnahmen mit der Nationalparkverwaltung abgesprochen.

Blick aus dem Kräutertal auf den historischen Bootsschuppen, erste Markierungen der Baumaßnahme, Aug. 2020 – Foto: privat/Wattenrat

Nachfragen

Am 31. August fragte der Wattenrat schriftlich bei der Nationalparkverwaltung an, ob die Träger öffentlicher Belange und die Naturschutzverbände beteiligt wurden und bat um die Übersendung der FFH-Verträglichkeitsprüfung (FFH-VP).

Wattenrat-Mail am 31. August an die Nationalparkverwaltung in Wilhelmshaven:
„[…] der von Ihnen erwähnte ´Sandwall anthropogenen Ursprungs´ soll nach Berichten von der Insel Juist gar keiner sein. Er soll durch Winderosionen von davor gelagerten künstlich aufgebauten Dünen aus der Zeit von Baudirektor Erchinger (damals Staatliches Amt für Insel- und Küstenschutz, StAIK) Anfang der 80er entstanden sein. Nördliche Winde hätten diese Düne abgetragen und so einen dahinterliegenden Sekundärwall aufgebaut. Wegen der schwere des Eingriffs in das ´Kräutertal´ bitte ich um Auskunft, ob und wann die Träger öffentlicher Belange und die ´anerkannten´ Naturschutzverbände beteiligt wurden. Zudem bitte ich um Auskunft, wo die von Ihnen erwähnte FFH-VP abrufbar ist bzw. um Übermittlung dieses Dokuments. […]“

Kräutertal, erste Fahrspuren des Vermessungsfahrzeuges, August 2020 – Foto: privat/Wattenrat

Nachtrag 12 . Okt. 2020: Am 12. Oktober erhielt der Wattenrat diese Mail von einem Miarbeiter der Nationalparkverwaltung:

„(…) im Genehmigungsverfahren für den Abbau von Sand im Nationalpark zur Verstärkung der Schutzdüne auf Juist wurden die Träger öffentlicher Belange inklusive der anerkannten Naturschutzverbände am 8.7.20 von der Nationalparkverwaltung angeschrieben und beteiligt. Die Einwendungsfrist endete am 10.08.20. Seitens der Naturschutzverbände wurden keine Einwände erhoben. Wegen der Einsichtnahme in die Unterlagen zur FFH – VP wenden Sie sich bitte direkt an den NLWKN. (…)“

Da fragt man sich doch, wofür es eigentlich 16 „anerkannte“ Naturschutzverbände in Niedersachsen gibt, die mit ihren Geschäftsstellen weit ab vom Ort des Geschehens residieren. Und vor allem: Wie lautete die fachliche Stellungnahme der Nationalparkverwaltung als „Träger öffentlicher Belange“? Das geht aus der Mail nicht hervor.

Kohärenzmaßnahmen Fehlanzeige

Bei Eingriffen diesen Umfangs mit der Zerstörung von Biotoptypen sind zudem sog. „kohärenzsichernde Maßnahmen“ durchzuführen. Als Kohärenzmaßnahmen werden Maßnahmen bezeichnet, die der Erhaltung des Zusammenhangs des Europäischen Schutzgebietsnetzwerkes Natura 2000 dienen. Das heißt auch in diesem Fall: Wenn durch Vorhaben Beeinträchtigungen für bestimmte Lebensraumtypen oder Arten der FFH-Richtlinie in Natura 2000-Gebieten entstehen, müssen diese durch geeignete Maßnahmen wiederhergestellt werden. Wie soll das an diesem Beispiel gehen? Wer kontrolliert die Nationalparkverwaltung oder den NLWKN, der immerhin auch Fachbehörde für den Naturschutz ist?

Straftatbeschreibung bei Eingriffen in Nationalparke

Nach § 329, Absatz 3 und 4 Strafgesetzbuch können Eingriffe in Nationalparke und Natura-2000-Gebiete wie Dünen als Straftat und mit bis zu fünf Jahren Haft geahndet werden.

Neue, künstlich aufgeschüttete Düne, September 2020 – Foto: privat/Wattenrat

Sandentnahme (Ausschnitt) aus dem Dünental, strengste Schutzzone im Nationalpark, Sept. 2020 – Foto: privat/Wattenrat

Sandbewegung mit schwerem Gerät für Dünenverstärkungen finden auf allen ostfriesischen Inseln statt, um die sonst natürliche Verlagerung der Inseln durch Wind und Wellen weitgehend zu unterbinden. Die Inseln würden ohne menschliche Eingriffe durchbrechen oder ihre Lage verändern („wandern und pendeln“) und damit die gesamte Infrastruktur einschließlich der Inselgebäude gefährden. Zusätzlich werden auch nach Sturmfluten weggespülte Strandbereiche ständig wieder aufgespült, um die Grundlage für den Tourismus zu erhalten.

Karte von Juist, Lecoq, 1805. Damals war die Insel zweigeteilt.

Die eigentliche Zielsetzung von Nationalparken ist laut § 24 des Bundesnaturschutzgesetzes die „natürliche Dynamik“, die aber aufgrund der Festlegung der Inseln und der Küste mit notwendigen Deichen nur noch begrenzt stattfinden kann.

§ 24 BNatSchG: „[…] Nationalparke haben zum Ziel, in einem überwiegenden Teil ihres Gebiets den möglichst ungestörten Ablauf der Naturvorgänge in ihrer natürlichen Dynamik zu gewährleisten. Soweit es der Schutzzweck erlaubt, sollen Nationalparke auch der wissenschaftlichen Umweltbeobachtung, der naturkundlichen Bildung und dem Naturerlebnis der Bevölkerung dienen. […]“

Der Eingriff ausgerechnet in das „Kräutertal“ am Westende („Bill“) der Insel Juist wäre aber vermeidbar gewesen und wurde erklärtermaßen aus transportechnischen Gründen gewählt. Daher stellt sich die Frage, welche zumutbaren Alternativen gepüft wurden und ob diese Eingang in eine FFH-Verträglichkeitsprüfung mit Darlegung der Kohärenzmaßnahmen gefunden haben. Es hat jedoch den Anschein, dass die Nationalparkverwaltung bei naturschutzfachlichen Auseinandersetzungen mit der Küstenschutz- und Naturschutzbehörde (!) NLWKN, wenn diese denn überhaupt stattfinden, stets der zweite Sieger ist. Wie sagen Spötter: „Der Naturschutz ist das stets Letzte beim NLWKN“ (bezogen auf den letzten Buchstaben „N“ für „Naturschutz“ in der Abkürzung).

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