Tatort: Emsdeich westlich von Pogum, Rheiderland, im Landkreis Leer. Das Foto wurde am 31. Dezember 2018 nicht weit von der strengsten Schutzzone (Salzwiesenbereich) des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer aufgenommen. Die im Bild sichtbare Außendeichsfläche gehört zum Vogelschutz- und FFH-Gebiet „Naturschutzgebiet Unterems“ und grenzt unmittelbar an den Nationalpark an, der ebenfalls europäisches Schutzgebiet ist. In der Zeit vom 1. Oktober bis 30. Juni dürfen laut Naturschutzverordnung „Unterems“ die außendeichs liegenden Teekabfuhrwege (Treibselabfuhr), die an das Naturschutzgebiet angrenzen, ohne vorherige Zustimmung der zuständigen Deich- und Naturschutzbehörde nicht betreten oder auf sonstige Weise aufgesucht werden. Die Karbidkanonen wurden genau auf diesem Weg abgestellt und abgefeuert. Diese Zeitgenossen mit den aufgesetzten Ohrschützern demonstrieren lautstark ihre Verbundenheit mit dem „Weltnaturerbe“ und Nationalpark Wattenmeer. Das verwendete „Geschütz“ besteht in diesem Fall aus einem Stahlrohr, in dessen Bodenteil ein Loch gebohrt wurde. Das Rohr wird mit Karbid und etwas Wasser gefüllt und dann sehr schnell mit dem Deckel verschlossen.
Mit einem Gasbrenner wird das so entstandene Acetylengas durch das Bodenloch gezündet. Mit einer ohrenbetäubenden Explosion, die kilometerweit zu hören ist, fliegt dann der Deckel weg. Die Rastvögel des angrenzenden Schutzgebietes, die keine Ohrschützer tragen, wurden durch diese Bespaßungsaktion restlos und rückstandsfrei ebenfalls kilometerweit in die Flucht geschlagen. Die ausgewiesenen Schutz- und Rastgebiete sind wichtig, damit die Zugvögel sich hier ungestört Fettreserven für den Winter und den Heimzug in die arktischen Brutgebiete anfressen können. Durch die häufigen Störungen werden sie auf die landwirtschaftlichen Flächen vertrieben, wo sie unter Umständen Fraßschäden anrichten können.
Die Knallnummer gilt als „Brauchtum“ und wird sonst eigentlich mit ausgedienten Milchkannen durchgeführt. Ein Verbot in Deutschland ist umstritten, die Gesetzeslage nach Waffen- oder Sprengstoffgesetz nicht eindeutig, so jedenfalls die Polizeibehörden. Verboten ist es aber, Tiere auf dieser Art mutwillig zu beunruhigen. In den benachbarten Niederlanden ist das Karbidschießen erlaubt, stört aber genauso. Der Wattenrat wird das Foto an die zuständigen Dienststellen weitergeben.
Auf der gegenüberliegenden Emsseite bei Emden wurde auch erheblich geböllert, auf die konventionelle Art. Am Anleger von Petkum vertrieben Knallbewegte mit ihren Böllern und Raketen die Rastvögel im angrenzenden Petkumer Deichvorland, das ebenfalls zum Naturschutzgebiet Unterems gehört. Prosit Neujahr, Naturschutz in Ostfriesland!
Link zum Karbidschießen in den Niederlanden, da fliegen sogar die Fensterscheiben raus: https://www.youtube.com/watch?v=V580L5LgFPc
Bereits Silvester 2014 wurde via Faceboook zum Karbidschießen bei Pogum aufgerufen, damals binnendeichs direkt hinter dem Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer am Dollart, wo sich die großen Schlafplätze der arktischen Gänse befinden.
Interessant dabei ist die Frage nach der Zulässigkeit des Schießen aus diesen selbstgebauten „Geschützen“, in denen ein Karbid-Wasser-Gemisch (Acetylengas) mit großem Knall zur Explosion gebracht wird. Nach Polizeiangaben in der Tagespresse ist das weder im Waffen- noch im Sprengstoffgesetz geregelt, was eigentlich verwunderlich ist und nicht mit den Aussagen in der Anlage 2, Ziffer 1.3.4 zum Waffengesetz übereinstimmt (s.u.). Jeder Inhaber einer vergleichsweise harmlosen Schreckschusswaffe muss zum Führen dieser Waffe außerhalb seines Grundstückes über den „Kleinen Waffenschein“ verfügen, den die Kreisbehörde auf Antrag ausstellt. Wird die Waffe ohne diesen Waffenschein außerhalb des Grundstückes nur geführt, als nur getragen ohne zu schießen, ist das bereits mit einer erheblichen Summe bußgeldbewehrt! Die selbstgebastelten Karbidkanonen sind noch nicht einmal sicherheitsgeprüft wie jede Schreckschusspistole (PTB-Zeichen, Bauartzulassung durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt für Kaliber bis 12,5 Millimeter. Die Karbidkanonen haben Rohrdurchmesser von 50 Zentimeter und mehr). Derjenige, der so ein „Geschütz“ abfeuert, muss auch keinen Sachkundenachweis über den Umgang mit der „Kanone“ vorlegen, die über wesentlich größere „Kaliber“ und größere Mengen Treibgase verfügen. In den Karbidkanonen entstehen enorme Gasdrücke, die auch Schweißnähte reißen lassen können. Das „Projektil“ besteht in der Regel aus einem Metalldeckel. Bei den „Brauchtum“-Bespaßungsaktionen stehen Zuschauer oft dicht neben diesen Kanonen. Wer haftet eigentlich bei Unfällen? Dann bleibt eigentlich nur noch das örtliche Ordnungsrecht, dass den Umgang mit Karbidgeschützen regelt, aber das ist zu wenig. Beim Wattenrat sind wir gespannt, mit welcher Intensität und mit welchem Ergebnis dieser Vorfall verfolgt und bearbeitet wird…
Waffengesetz (WaffG), Anlage 2 (zu § 2 Abs. 2 bis 4)
Waffenliste
(Fundstelle: BGBl. I 2002, 3999 – 4002;
„Verbotene Waffen
Der Umgang mit folgenden Waffen und Munition ist verboten:
[…]
1.3.4
Gegenstände, bei denen leicht entflammbare Stoffe so verteilt und entzündet werden, dass schlagartig ein Brand entstehen kann; oder in denen unter Verwendung explosionsgefährlicher oder explosionsfähiger Stoffe eine Explosion ausgelöst werden kann
[…]
1.5.5
Knallkartuschen, Reiz- und sonstige Wirkstoffmunition nach Tabelle 5 der Maßtafeln nach § 1 Abs. 3 Satz 3 der Dritten Verordnung zum Waffengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 1991 (BGBl. I S. 1872), die zuletzt durch die Zweite Verordnung zur Änderung von waffenrechtlichen Verordnungen vom 24. Januar 2000 (BGBl.I S. 38) geändert wurde, in der jeweils geltenden Fassung (Maßtafeln), bei deren Verschießen in Entfernungen von mehr als 1,5 m vor der Mündung Verletzungen durch feste Bestandteile hervorgerufen werden können, ausgenommen Kartuschenmunition der Kaliber 16 und 12 mit einer Hülsenlänge von nicht mehr als 47 oder 49 mm;[…]“
Verstöße gegen diese Vorschriften können als Straftat geahndet werden.
Bitte auch den Beitrag vom 24. Januar 2019 beachten:
Update: Karbidschießen an EU-Vogelschutzgebieten bei Pogum, Polizei ermittelt
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Bearbeitet am24. Januar 2019, 19:30h