Ein Kommentar von Manfred Knake
Die angekündigten Entlassungen beim Windanlagenhersteller Enercon aus Aurich, der auch in Magdeburg produziert, brachten es an den Tag: „Unsere Volksvertreter“ reagierten erstaunlich schnell und traten eine Medienlawine aus Solidaritätsbekundungen für die Windenergiewirtschaft los. Dadurch wurde wieder einmal deutlich, dass CDU, SPD , Grüne und Linke sich überwiegend als Sprachrohre oder gar Marionetten der Branche aufführten.
Ausnahmen findet man bei der FDP und AfD. Besonders Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und Umweltminister Olaf Lies (SPD) als Windkraft-Hardliner ignorieren den Lärmterror durch die 6431 Windkraftanlagen im Bundesland, der den Anliegern das Leben zur Hölle machen kann. Diese sozialen Demokraten, unterstützt von weiten Teilen der regionalen oder lokalen Presse (hier ein Beispiel aus der Emder Zeitung vom 09. Nov. 2019: „Enercon-Entlassungen: Ein bigottes Land“), erklärten, das Land Niedersachsen werde sich nicht an eine Abstandsregelung von 1000 Metern zur Wohnbebauung halten. Einen entsprechenden Gesetzentwurf von Bundeswirtschaftsminister Altmaier zur 1000-Meter-Grenze werde man durch die vorgesehene Öffnungsklausel in Niedersachsen nicht übernehmen. Begründung: Diese 1000-Meter-Regelung werde kaum noch Raum für weitere Windkraftstandorte lassen, die „Klimaziele“ seien in Gefahr. Nur haben Windkraftanlagen keinen Einfluss auf das Klima, weil sie nur wetterabhängig funktionieren, deshalb heißen sie so. Sie speisen nicht verlässlich und bedarfsgerecht ins Netz ein und sind auf konventionelle Regelkraftwerke zur Erhaltung Grundlast und der Netzstabilität angewiesen. Wenn Atom- und Kohlekraftwerke in diesem Lande also demnächst abgeschaltet werden, muss die Regelenergie aus dem Ausland kommen. Hoffentlich kommt sie auch. Für wen also machen diese eiskalten und gnadenlosen Landespolitiker eigentlich noch „soziale“ Politik?
Wie viel Abstand zur Wohnbebauung?
Der 1000-Meter-Abstand wird zur magischen Zahl. Sogar der windkraftkritische Verband „Vernunftkraft e.V.“, der tausende in Bürgerinitiativen organisierte Anlieger vertritt, äußerte sich in gebückter Pressemitteilung vom 14. November 2019 so: “ […] 1000m als Mindestmaß vorzugeben, ist ein sehr kleiner Schritt in die richtige Richtung. Sofern diese Maßnahme den Windkraftausbau verlangsamt, mag dies für die Branche und ihre Fürsprecher alarmierend sein. Für die Lebensqualität, für die Vitalität des Wirtschaftsstandorts, die Versorgungssicherheit und vor allem für die Natur in Deutschland wäre dies eine sehr gute Nachricht! […]“
Nein, der „kleine Schritt“ und nur 1000 Meter Abstand sind keine gute Nachricht. Durch die Höhe der neuen Windkraftanlageneration von weit mehr als 200 Metern sind auch 1000 Meter Abstand kein wirksamer Schutz vor optischer Bedrängung und vor allem gegen den gesundheitsschädlichen tieffrequenten Dauerschall, der viele Kilometer weit reicht. In früheren Verlautbarungen war „Vernunftkraft e.V.“ schon wesentlich deutlicher und forderte die Umsetzung der bayerischen Regelung der 10-fachen Höhe (10-H-Regelung) einer Windkraftanlage als Abstand zur Wohnbebauung. Der 1. Vorsitzende des Vereins Vernunftkraft e.V., Nikolai Ziegler, ist höherer Beamter im Bundeswirtschaftsministerium. Bisher hatte Vernunftkraft stets „Abbau statt Aufbau“ gefordert und auf die planlose und künstlich am Leben gehaltene „Energiewende“ verwiesen. Die „Deutsche Schutzgemeinschaft-Schall für Mensch und Tier e.V“ (DSGS) hält auch einen zehnfachen Abstand wegen der Auswirkungen des Schalls auf den Organismus für zu gering. Der tieffrequente Schall wird durch die Rotorgeschäusche über die Luft und die Biegungsschwingungen des Mastes über den Boden transportiert.
Nach den politischen Ankündigungen, „Genehmigungshemmnisse“ – sprich Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes – abzubauen und die Planungen für die Windkraftindustrie zu erleichtern und zu beschleunigen, geht es nun mit dem Geschacher weiter, ab wie vielen bewohnten Häusern eine Abstandsregelung überhaupt gelten soll. Derzeit soll die Regelung ab fünf Häusern gelten. In Ostfriesland mussten bereits durch den Windanlagenbau – immer gegen den heftigen, aber vergeblichen Protest der Anlieger – die „Wohnnutzung“ in Gemeinden aufgegeben werden. In den Landkreisen Aurich und Wittmund im Nordwesten Deutschlands stehen sehr viele Windkraftanlagen, oft nur mit weniger als 400 Metern Abstand zu Wohnsiedlungen.
Grüne: „Anti-Windkraft-Taliban“
In der Berliner Politik tobt inzwischen ein erbitterter Streit um die Abstandsregelungen, Teile der CDU und Bundeswirtschaftsminister Altmaier wollen an der 1000-Meter-Grenze festhalten. Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer äußerte sich am 19. November 2019 so: „Altmaier muss sich jetzt entscheiden, ob er Politik für die Anti-Windkraft-Taliban in seiner eigenen Partei macht oder ob er für die Arbeitsplätze in der Windbranche kämpft.“ Auch die vorgebliche Meeresschutzorganisation Greenpeace, die den Ausbau der Nord- und Ostsee zum Schaden der Zugvögel und Schweinswale mit riesigen Windparks unterstützt, meldete sich zu Wort. Greenpeace-Klimaexperte Andree Böhling: Altmaier werde „mehr und mehr zum Handlanger irrationaler Gegner von Energiewende und Klimaschutz“ (Berliner Zeitung, 19. Nov. 2019).
Enercon: „Die Messe ist gelesen“
Enercons Geschäftsführer Hans-Dieter Kettwig verkündete anlässlich eines Krisentreffens in der Niedersächsischen Staatskanzlei am 13. November 2019 zur geplanten Entlassung von 3000 Mitarbeitern an den Standorten Aurich und Magdeburg: „Die Messe ist gelesen“. Enercon werde an den Entlassungen festhalten und sich auf das Auslandsgeschäft konzentrieren. Jahrelang wurde Enercon von der Politik hofiert, die Firma erhielt Fördergelder zur Ansiedlung der Betriebe in Aurich und Magdeburg und Millionenbeträge für „Pilotprojekte“. Das Geschäftsmodell konnte nur durch die Zwangsabgabe für alle Stromkunden aus dem Erneuerbare-Energien-Gesetz florieren, die den Windkraft-Projektierern satte und garantierte Gewinne lieferte, die Lizenz zum Gelddrucken. Seit 2017 muss sich das Unternehmen noch mehr am Markt behaupten. Seit dem gilt ein kompliziertes Ausschreibungsverfahren, bei dem für immisionsschutzrechtlich genehmigte Windkraftstandorte von den Projektierern Gebote bei der Bundesnetzagentur abgegeben müssen. Die günstigsten Anbieter erhalten den Zuschlag. Enercon-Anlagen zählen zum Premium-Segment und sind teuer. Seit langem ist Enercon in der Kritik wegen des Umgangs mit den Mitarbeitern, von „Angst“, „Druck“ und „Einschüchterungen“ ist die Rede. Enercons verzweigtes und unübersichtliches Firmengeflecht, mit Briefkastenfirmen bis auf die Britischen Jungferninseln, war 2018 Gegenstand einer Recherche des Norddeutschen Rundfunks.
Enercons Gründer und Windkraftpionier Aloys Wobben hat indes mit dem Niedergang seiner Firma nichts mehr zu tun, er lebt seit einigen Jahren in einem Pflegeheim. Seine Firmenanteile wurden an die Aloys-Wobben-Stiftung übertragen. Seine Neffe Simon Wobben zog sich überraschend im Juli 2019 als gleichberechtigter Geschäftsführer aus dem Unternehmen zurück.
Aus dem Anzeiger für Harlingerland, Wittmund/NDS, 21. Nov. 2019 (online)
„[…] Der im Bund diskutierte 1000-Meter-Abstand von Windenergieanlagen zu Wohnhäusern wird in Niedersachsen, speziell in Ostfriesland, nur von einem Bruchteil der Anlagen erreicht. Von den 6431 Windrädern zwischen Nordsee und Harz halten nur 854 diesen Puffer ein. Fast doppelt so viele – 1582 Anlagen – haben dagegen nicht einmal 400 Meter Abstand. Damit liegt rund jedes vierte Windrad nur einen Fünf-Minuten-Spaziergang von Wohnhäusern entfernt. Das geht aus einer Auswertung des Energieministeriums in Hannover hervor. Den regionalen Schwerpunkt der Windkraft bildet der Nordwesten Niedersachsens an der Küste vor den ostfriesischen Inseln. Dort, in den Landkreisen Wittmund und Aurich, stehen auch besonders viele Windenergieanlagen mit weniger als 400 Metern Abstand zu Wohnsiedlungen. Im Landkreis Wittmund ist es aus diesem Grund schon mehrfach zur Protestaktionen oder Klagen von Bürgern gekommen, die sich über Lärmbelästigung und Krankheitssymptome beschweren. […]“