Dem fachlichen Naturschutz wird in Deutschland nach und nach das Licht ausgeknipst, am Schalter sitzt in diesen klimabewegten Zeiten vor allem die Windenergiewirtschaft, eng verbandelt mit der Politik und auch einigen Naturschutzverbänden. „Klima“ und die geschürte Angst vor dem Hitzetod ist auch der Rammbock, mit dem die ohnehin schwache Bastion des Naturschutzes weiter zerstört werden soll; „Klimaschutz“ als vordergründiges Schein-Argument für mehr Profit der nimmersatten und gut vernetzten Branche der „Erneuerbaren Energien“.
Gerade wurde das Erneuerbare Energien Gesetz im Sinne des windigen Profits geändert: mehr Anreize für Kommunen für noch mehr Windkraftanlagen in der Landschaft und nun auch noch eine Vergütung für die Betreiber der eigentlich schon abgeschriebenen Altanlagen. Der inzwischen Höchstpreise für elektrischen Strom zahlende Bundesbürger bekommt das in der Regel gar nicht mit. Steigerungen der klimaverbrämten Gier sind immer noch möglich: Am 11. Dezember beschloss die Konferenz aller deutschen Umweltminister (Umweltministerkonferenz, UMK) in einem umfangreichen Dokument den weiteren Abbau von lästigen Genehmigungshemmnissen, die gefährdete Vogelarten qua Gerichtsbeschluss bei der Ausweisung von Windkraftstandorten entfalten können. Am bekanntesten ist dabei der Rotmilan geworden. Nun soll der imaginäre „Klimaschutz“ mit dem realen Artenschutz unweltpolitisch „in Einklang gebracht“ werden, indem man die Anzahl windkraftsensiblen und kollisionsgefährdeten Vogelarten einfach reduziert und die vorher geltenden Regelabstände zu Windkraftanlagen auch gleich mit heruntergerechnet: Einen „Meilenstein in den Anstrengungen zur Beschleunigung der Genehmigungsverfahren für Windenergieanlagen“ nennen dies die deutschen Umweltverhinderungsminister. Die Landesarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten der Länder (LAG VSW), die das fachliche „Helgoländer Papier“ von 2015 zu kollisionsgefährdeten Vogelarten und Abständen erarbeitet hatte, wurde nicht von der UMK beteiligt, ebenfalls nicht das Bundesamt für Naturschutz. Dafür wurden ausdrücklich die an dem Dokument beteiligten Naturschutzverbände erwähnt: „Priska Hinz, Vorsitzende der Umweltministerkonferenz und hessische Umweltministerin betonte, dass man die Arbeit an Energiewende und Naturschutz gemeinsam mit Umweltverbänden und Windenergiebranche über den heutigen Beschluss hinaus fortsetzen werde.“ Die Verwaltungsgerichte sollten bei späteren Entscheidungen berücksichtigen, dass das UMK-Papier ein politisches und kein fachliches Papier ist.
Nach wie vor gilt aber das Tötungsverbot laut Paragraf 44 des Bundesnaturschutzgesetzes. (hier)
Die Energieverbände des „Internationalen Wirtschaftsforums Regenerative Energien“ halten diesen „Meilenstein“ immer noch nicht für ausreichend: „Die Energieverbände BDEW, BEE, BNE, BWE, VDMA und VKU begrüßen mit Blick auf eine Beschleunigung des Windenergie-Ausbaus zwar den Austausch zwischen Bund und Ländern unter Einbeziehung der Energie- und Umweltverbände. Aus ihrer Sicht stellt der von der UMK beschlossene Signifikanzrahmen aber noch keinen praxistauglichen Prüfrahmen dar. Damit leiste das Papier auch keinen nennenswerten Beitrag dazu, die entscheidenden Hindernisse aus dem Weg zu räumen, und sei weiterhin unzureichend, so die Verbände.“
Die „Europäische Gesellschaft zur Erhaltung der Eulen“ (EGE), dort, wo sich rechtssichere Artenschutzfachleute artikulieren, hat diesen Skandal auf ihrer Web-Seite näher beleuchtet. Wir übernehmen den Text der Eulenfreunde:
UMK beschließt Signifikanzrahmen – Dezember 2020
Die deutsche Umweltministerkonferenz (UMK) hat am 11.12.2020 ein 17seitiges Dokument mit einem sperrigen Titel beschlossen: „Standardisierter Bewertungsrahmen zur Ermittlung einer signifikanten Erhöhung des Tötungsrisikos im Hinblick auf Brutvogelarten an Windenergieanlagen an Land – Signifikanzrahmen“. Die UMK verspricht sich davon, „Klima- und Naturschutz bestmöglich in Einklang zu bringen“; sie spricht von einem „Meilenstein in den Anstrengungen zur Beschleunigung der Genehmigungsverfahren für Windenergieanlagen“.
Das Dokument beschränkt die „geeinte Liste kollisionsgefährdeter Brutvogelarten mit besonderer Planungsrelevanz“ auf zwölf Arten: Baumfalke, Fischadler, Rohrweihe, Rotmilan, Schreiadler, Schwarzmilan, Seeadler, Steinadler, Uhu, Wanderfalke, Weißstorch und Wiesenweihe. Drei dieser Arten sollen in der Regel nur dann als kollisionsgefährdet gelten, wenn die Höhe der Rotorunterkante weniger als 30 bis 50 m bzw. im hügeligen Gelände weniger als 80 m beträgt. Diese drei Arten sind Rohr- und Wiesenweihe und Uhu.
Zum Schutz der zwölf Arten sieht der Rahmen artspezifische, im Einzelfall unterschreitbare Regelabstände von Windenergieanlagen zu den Brutplätzen dieser Arten vor – beispielsweise für Baumfalke 350 m, Rohr- und Wiesenweihe 500 m, Uhu 1.000 m, Rotmilan je nach Festlegung der Länder 1.000 bis 1.500 m.
Die Länder können die Liste der relevanten Arten öffnen; die „Umweltministerinnen und -minister, -senatorinnen und -senatoren verpflichten sich“, hiervon „nur restriktiv Gebrauch zu machen“. „Abweichungen von der geeinten Artenliste“ sind gegenüber der UMK berichtspflichtig.
Auf welchen Erkenntnisquellen Liste, Regelabstände und weitere Setzungen beruhen, geht aus Beschluss und Dokument nicht hervor. Fraglich ist u. a., in welchem Verhältnis diese zu den im Jahr 2015 von der Länder-Arbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten veröffentlichten abweichenden „Abstandsempfehlungen für Windenergieanlagen zu bedeutsamen Vogellebensräumen sowie Brutplätzen ausgewählter Vogelarten“ stehen. Die Verwaltungsgerichte haben diesen Abstandsempfehlungen bislang eine hohe fachliche Bedeutung zugemessen. Dem Vernehmen nach ist der Zusammenschluss der Vogelschutzwarten in Deutschland nicht am Zustandekommen des Beschlusses und des Signifikanzrahmens beteiligt worden. Die UMK scheint über andere Erkenntnisquellen zu verfügen.
Am Ende ihres Beschlusses unterstreicht die UMK „die konstruktive Rolle der Naturschutzverbände beim naturverträglichen Ausbau der Windenergienutzung“ und verweist in ihrem Beschluss auf die „Einbindung“ des „Kompetenzzentrums Naturschutz und Energiewende (KNE)“ und der „Fachagentur Windenergie an Land“. Bundes- und Länderministerien, die Windenergiewirtschaft sowie der BUND sind an diesen Organisationen beteiligt. Das KNE war kürzlich für die Pläne der Bundesregierung eingetreten, den Ausbau der Windenergiewirtschaft per Gesetz zu einer Frage der öffentlichen Sicherheit zu erheben. Nach längeren Aussprachen in der großen Koalition und auf Drängen der Unionsparteien hat die Bundesregierung diesen Plan, nicht zuletzt wegen seiner Folgen für den Artenschutz, aufgegeben.
Gegenstand des UMK-Dokuments sind u. a. „Ablenkmaßnahmen“, welche das Kollisionsrisiko für die genannten zwölf Vogelarten unter die Signifikanzgrenze senken sollen. Evidenzbelegt sind diese Maßnahmen nicht. Größenangaben für solche Maßnahmen trifft die UMK nicht. Dabei hatten in einer vom Bundesumweltministerium geförderten Studie Sachverständige bereits 2013 berechnet, dass um Rotmilane von einer Windenergieanlage wegzulocken, täglich eine Fläche von 2 ha gemäht werden müsse, was bei Anbau von Luzerne, die ungefähr alle fünf Wochen gemäht werden kann, eine Fläche von 70 ha erfordere. Die in der Praxis angebotenen Flächen umfassen zumeist weniger als ein Zehntel dieses Umfanges.
Die Länder Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein geben ergänzend zu Protokoll, dass eine „Neujustierung des Verhältnisses unterschiedlichster Schutzgüter erforderlich sein wird, um den Herausforderungen zum Schutz des Klimas und der biologischen Vielfalt gerecht zu werden“. Gemeint ist eine Neujustierung des Verhältnisses von Klimaschutz und Artenschutz.
NABU und BUND scheinen mit den Beschlüssen zufrieden zu sein; die Windenergiewirtschaft ist es nicht. Die Fachmeinung der Staatlichen Vogelschutzwarten scheint schon seit längerer Zeit keine Rolle mehr zu spielen.