Zivilcourage: Vogelforscher rausgeflogen

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Foto: Kentaro Kemoto, Tokyo, Japan, Wikipedia Creative Commons CC-by-sa-3.0 de

Zivilcourage im Alltag wird immer wieder von hochrangigen Politiker angemahnt. Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ berichtete in seiner Ausgabe 10/2014 (Flug 727, Zielort Guinea, S.90), wie es einem Vogelforscher mit seiner angewandten Tugend erging. Eine Forschergruppe der Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer, die mit einem Passagierflugzeug im Auftrag des Landes Niedersachsen zu Rastgebieten von Zugvögeln in Afrika unterwegs war, wartete in Paris im Flug 724 nach Guinea auf den Abflug.

Zwei schwarzafrikanische Asylanten, ein Mann und eine Frau, saßen mit Handschellen gefesselt auf dem Nebensitz im Flugzeug und riefen lautstark, das sie lieber tot sein wollten als zurück nach Afrika gebracht zu werden. Als der Vogelforscher Gerhard Nikolaus aus Cuxhaven, der dem Vernehmen nach in Kollegenkreisen als nur bedingt integrationsfähig gilt, sich mit anderen Passagieren im startbereiten Flugzeug in die raue Behandlung der abgeschobenen Afrikaner einmischte, bekam er Ärger mit den Begleitbeamten. Der Ornithologe wurde im Polizeigriff mit Gewalt aus dem Flugzeug geschleift und vorübergehend in Polizeigewahrsam genommen, wegen „Behinderung des Flugverkehrs“, seine Schuhe blieben im Flugzeug zurück. Seine drei Begleiter, eine Ornithologin und zwei Mitarbeiter der Nationalparkverwaltung in Wilhelmshaven, verließen ebenfalls das Flugzeug. Aus dem Polizeigewahrsam zurück, war das Flugzeug längst gestartet, die Tickets verfallen. Ersatztickets gab es nicht, auch nicht auf Kulanz. Zurück in Bremen, kaufte ein Mitarbeiter der Nationalparkverwaltung drei neue Tickets nach Afrika, nicht vier. Der aufmüpfige und couragierte Vogelforscher durfte nicht mehr mit nach Afrika zum wissenschaftlichen Vogelzählen, „kein artgerechtes Benehmen“ ätzten die Spiegeljournalisten. Ein Mitglied der Reisegruppe soll laut Spiegelbericht später gesagt haben, so könne man sich als Privatmann verhalten, nicht aber als Vertreter des Landes Niedersachsen. Peter Südbeck, Nationalparkleiter in Wilhelmshaven und ebenfalls Ornithologe, fand das Verhalten des Vogelforschers zwar „ehrenwert“, aber „das Vertrauen in der Gruppe sei nicht mehr dagewesen“, so der Spiegel.

Merke: Zivilcourage ist gut für Sonntagsreden und wird nur auf privater Ebene gelobt, als „Offizieller“ des Landes Niedersachsen hat man zu schweigen und wegzusehen. Und mehr als warme Worte statt solidarischer Rückendeckung für einen Berufskollegen waren von dem smarten Behördenleiter Peter Südbeck auch nicht drin, Hauptsache der gute Eindruck stimmt und man eckt politisch nicht an. Karriere ist eben alles.

edit 18. März 2014:

Am 18. März 2014 berichtete die taz sehr ausführlich über den Vorfall. Die beiden Mitarbeiter der Nationalparkverwaltung in Wilhelmshaven, die mit im Flugzeug saßen und sich passsiv verhielten, waren Gundolf Reichert und Gregor Scheiffarth.

Mit freundlicher Genehmigung des Autors Thomas Schumacher

taz, 18. März 2014

Zivilcourage
Rauswurf bei Air France

Solidarität mit Abschiebehäftlingen kostet Vogelzähler Job: Als „Vertreter Niedersachsens“ darf er nicht Stellung beziehen.

HAMBURG taz | Die Verwaltung des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer hat den Cuxhavener Vogelkundler Gerhard Nikolaus von einem Internationalen Vogelzählprojekt im westafrikanischen Guinea Conakry ausgeschlossen. Der Grund: Nikolaus hatte sich am 16. Januar auf den Hinflug nach Guinea am Zwischenstopp in Paris für Flüchtlinge eingesetzt. Die beiden Afrikaner, eine Frau und ein Mann, sollten von Paris aus mit dem gleichen Flugzeug, in dem die Vogelzähler saßen, in ihre Heimat abgeschoben werden.

Nikolaus sagte der taz, er habe zunächst das Flugpersonal gebeten, ihm einen anderen Platz zuzuweisen, weil er die Schreie der beiden Afrikaner nicht ertragen konnte. Da das Flugzeug ausgebucht war, musste Nikolaus auf seinem Platz bleiben. Daraufhin habe er die begleitenden Polizisten gebeten, die zu eng anliegenden Handschellen der Afrikaner zu lockern. „Sechs französische Polizisten begleiteten die Frau, zwei niederländische den Mann“, sagt Nikolaus. Während die Niederländer relativ freundlich gewesen seien, hätten sich die Franzosen „rabiat“ benommen.
Auch weitere Passagiere protestierten gegen die Behandlung der beiden Afrikaner. Eine Frau machte Fotos von der Situation. Nikolaus’ Kollegen, eine Vogelkundlerin und zwei Mitarbeiter der Nationalparkverwaltung, verhielten sich neutral. „Die Situation im Flieger war eskaliert. Wir haben Gerhard gebeten sich zurückzuhalten. Aber er ist nochmal zu den Polizisten gegangen und hat mit ihnen diskutiert“, erinnert sich Gregor Scheiffahrt von der Nationalparkverwaltung, Mitglied des Zählteams. Und weiter: „Wir wollten die Situation beruhigen.“

Stattdessen seien die Polizisten immer nervöser geworden. Auch die Fluggäste schienen sich in zwei Lager, pro und contra Abschiebung, zu spalten, sagt Gregor Scheiffahrt. Danach lief die Aktion völlig aus dem Ruder. „Plötzlich wurde eine Gangway an den Eingang geschoben und ein Trupp schwer bewaffneter Polizisten betrat mit Schildern und Knüppeln die Maschine“, so Nikolaus. Er und zwei weitere Passagiere seien aus dem Flugzeug gezerrt worden und stundenlang auf einem Revier wegen „Gefährdung der Flugsicherheit“ und „Widerstands gegen die Staatsgewalt“ festgehalten worden.

Die drei anderen Vogelzähler hatten mittlerweile freiwillig das Flugzeug verlassen. Am nächsten Morgen reiste das ganze Team mit einem Auto zurück nach Bremen. Hier kauften die Nationalpark-Angestellten neue Tickets nach Guinea. Allerdings nur drei. Gerhard Nikolaus wurde bedeutet, seine Mitarbeit sei nicht mehr erwünscht. „Im privaten Gespräch ist mir klar gesagt worden, als Privatmann könne ich machen, was ich wollte, aber als Repräsentant des Landes Niedersachsen hätte ich keine Stellung für die beiden Afrikaner beziehen dürfen“, sagt Gerhard Nikolaus zur taz. Das Land Niedersachsen finanziert teilweise das Vogelzählprojekt. Nikolaus, der sich nach seiner Aussage auch schon auf früheren Flügen für Abschiebehäftlinge eingesetzt hatte, versteht die Welt nicht mehr. „Wenn man sich für Asylanten einsetzt, ist man nicht würdig, Vertreter des Landes Niedersachsen zu sein? Das ist krass“, so Nikolaus.
Zu allem Überfluss konnte die Zählung in Guinea nun nicht fachlich korrekt durchgeführt werden. „Den anderen Kollegen mangelte es an ausreichenden Afrika- und Sprachkenntnissen“, so der Vogelkundler, der selbst lange auf dem Kontinent gelebt hat. Wer die erneut angefallen Reisekosten für seine ohne ihn nach Guinea fliegenden Kollegen übernimmt, ist derzeit noch nicht geklärt.

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