Nicht nur am Martinstag: Zugvogelbratpfannenjäger und andere Missstände im Wattenmeer, ein Leserbrief

Erst Zugvogeltage, dann Bratpfanne: Das Ende einer Gans

Der Legende nach schnatterten die Gänse aufgeregt im Gänsestall, als der heilige Sankt Martin sich in Tours dort versteckte, um sich so seinem ihm angetragenen Amt als Bischof zu entziehen. Durch den Gänselärm wurde er entdeckt, das Amt war seins. Als „Dank“ für den verräterischen Lärm wird nun in vielen katholischen Landesteilen am 11. November eine Martinsgans verspeist, in der Regel eine Hausgans. Derzeit wird aber in vielen Landesteilen auch wieder Jagd auf wildlebende ziehende Gänse aus der Arktis gemacht, die noch vor wenigen Tagen anlässlich der „3. Zugvogeltage“, veranstaltet von der Verwaltung des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer , auf vielen Veranstaltungen an der Küste bewundert werden konnten. Vieler dieser Zugvögel sind nun bereits tot, deponiert in der Tiefkühltruhe oder wurden verspeist, verendet im Schrotfeuer vieler Jäger, mehr oder weniger legal (wenn sie bei Dunkelheit und Nebel erlegt wurden, ohne sie nach jagdbaren und nicht jagdbaren Arten unterscheiden zu können), auch in Vogelschutzgebieten, von der EU-Kommission und den Ländern ausgewiesene Refugien, die keine sind.

Denn auch in den Vogelschutzgebieten, an Schlafplätzen und Äsungsflächen  direkt am Nationalpark, ist derzeit wieder „Feuer frei“. Im Nationalpark gibt es noch ganz andere Missstände, die hier auf den Wattenratseiten häufig beschrieben wurden, eine Änderung ist kaum in Sicht. Die „anerkannten“ Naturschutzverbände wie NABU, BUND oder wie sie sonst noch heißen,  sind mit Mitgliederunterhaltung wie Apfelpressen, Nistkästen, dem Schützen des Klimas oder dem Sammeln von Barem beschäftigt, nur nicht mit der Kernaufgabe Naturschutz, erst recht nicht im und am Wattenmeer. Unser „dienstältester“ Mitarbeiter Reiner Schopf, der mehr als 30 Jahre lang von 1973 bis 2003 Vogelwart auf der kleinen  Insel Memmert bei Juist war, beobachtet diese Entwicklung von seinem neuen Wohnsitz bei Stralsund mit großer Sorge, mit Betroffenheit und Empörung.

Reiner hat einen bemerkenswerten Leserbrief geschrieben, der in aller Kürze diese von der Presse stets hochgelobte Fehlkonstruktion eines vorgeblichen Großschutzgebietes prägnant beleuchtet.

Emder Zeitung, 10. November 2011

Heute bewundert, morgen in der Bratpfanne, Zu: „Zugvogeltage an der Küste enden, Jagdzeit beginnt“, EZ vom 29. Oktober

In den Jahren als Vogelwart auf Memmert und als Nationalpark-Ranger habe ich erlebt, was es mit der Zunahme der Akzeptanz von Schutzmaßnahmen, die immer wieder gerne – so auch in Verbindung mit den Zugvogeltagen – beschworen wird, auf sich hat:

Unbeobachtet hat eine große Zahl der Freizeithungrigen keine Hemmungen, auf die Regeln im Nationalpark zu pfeifen: Hunde ohne Leine, Sportbootkapitäne an geschützten Sandbänken und Inselkanten, Wanderer fern der Wege, Eierdiebe, Lenkdrachen neben sensiblen Gebieten, Kite-Surfer in den Schutzzonen – das sind nur einige der alltäglichen Vorkommnisse, die zeigen, wie die Akzeptanz „wächst und wächst“.

Peter Südbeck, der Leiter der Nationalparkverwaltung, hätte reichlich Anlass sich zu fragen, wie es denn mit seiner Akzeptanz des Schutzes aussieht. Schließlich ist er für die Ausweisung von Kite-Surf-Arealen im Nationalpark ebenso verantwortlich wie für die aufreizende Toleranz gegenüber Naturfrevlern. Möglicherweise zählt er und der nach eigenem Bekunden „begeisterte Ornithologe“ Bernd-Karl Hoffmann, Referatsleiter im Umweltministerium, das Umhertreiben der Vögel zum Fitnessprogramm für die Gefiederten.

Peter Südbeck drückt das auch so aus: „Der Vogelzug wird von Menschenhand verbessert, unterstützt und gepflegt“. Dazu zählen sicher auch der Bau des Windparks Nordergründe unmittelbar an der Grenze des Nationalparks. Zur „Akzeptanz des Schutzes“ zählt sicher auch, dass es seit 25 Jahren weder einen Nationalparkplan gibt, noch Entwicklungsziele definiert sind. Ausreichend Ranger gibt es ohnehin nicht.

Längst sind sensible Arten und Biotope in existenzielle Bedrängnis geraten, nicht zuletzt durch die Tätigkeit solcher „begeisterter Ornithologen“ und „Vogelzugverbesserer“. Die auch nichts daran auszusetzen haben, dass mit dem Ende der Zugvogeltage die Jagd auf ziehende nordische Gänse und Enten beginnt. Heute bewundert, morgen in der Bratpfanne. Die Naturschutzverbände haben längst Beißhemmungen gegenüber den behördlichen und wirtschaftlichen Natur-Vermarktern, denn das sind die Hände, die sie mittels Barem füttern. Mutig und beharrlich die Wahrheit zu sagen, hat nichts mit dem verpönten „erhobenen Zeigefinger“ zu tun, sondern mit Engagement.

Reiner Schopf

18442Jakobsdorf

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