Umgehungsstraße Bensersiel: OVG Lüneburg bestätigt Rechtmäßigkeit des Landschaftschutzgebietes im Vogelschutzgebiet V63

Blick in das Vogelschutzgebiet V63, „Ostfriesische Seemarschen von Norden bis Esens“ mit illegal gebauter Umgehungsstraße in Bensersiel und Windpark direkt am Vogelschutzgebiet – Foto (C): Manfred Knake

Der 4. Senat des Oberverwaltungsgerichts in Lüneburg hat unter dem Vorsitz von Richter Meyer-Lang am 21. Mai 2019 geurteilt (s.u): Die Klage gegen das vom Landkreis Wittmund ausgewiesene Landschaftsschutzgebiet WTM 25 im EU-Vogelschutzgebiet V63 „Ostfriesische Seemarschen von Norden bis Esens“ wurde zurückgewiesen. Der Landeigentümer und Kläger, auf dessen Grund und Boden die Umgehungsstraße in einem damals „faktischen Vogelschutzgebiet“ mit unwirksamen Bebauungsplänen und ohne die gesetzlich vorgeschriebene ausreichende Verträglichkeitsprüfung geplant und gebaut wurde, hat das Verfahren gegen den Landkreis Wittmund verloren.

Der Anwalt des beklagen Landkreises Wittmund ist der ehemalige Ministerialrat im Niedersächsischen Umweltministerium, Prof. Walter Louis. Der Kläger aus Dotmund begründete seine Klage u.a. damit, das Schutzgebiet sei wegen des Baus der Umgehungsstraße nicht mehr ausreichend schutzwürdig, die Unterschutzstellung verfolge vor allem den Zweck, das faktische Vogelschutzgebiet zu einem Natura 2000-Gebiet im Sinne des Bundesnaturschutzgesetzes zu machen, um die rechtlichen Voraussetzungen für die nachträgliche Legalisierung der kommunalen Entlastungsstraße Bensersiel zu schaffen.

Mit Smiley-Folie überklebtes provisorisches Verbotsschild. Das Verbot gilt auch für Fahrradfahrer. – Foto (C): Manfred Knake

Gewonnen dagegen hatte der Kläger aber 2014 das Verfahren gegen die Stadt Esens wegen der „Rechtsunwirksamkeit“ der zugrunde liegenden Bebauungspläne vor dem Bundesverwaltungsgericht Leipzig (Urteil des BVerwG aus 2014 ). Die Straße musste nach einer Hinhaltetaktik des Landkreise Wittmund und der Stadt Esens schließlich für den Verkehr vollständig und wirksam gesperrt werden. Das Verwaltungsgericht Oldenburg (Az 5 A 2233/16) bescheinigte der Stadt Esens 2017 nach der Verzögerung der Straßensperrung: „Angesichts des über Jahre andauernden rechtsuntreuen Verhaltens der Beklagten zu 1) [=Stadt Esens] ist nicht auszuschließen, dass sie ihr rechtsuntreues Verhalten fortsetzen bzw. bei nächster Gelegenheit wieder aufnehmen wird. Dafür spricht zum Beispiel die Tatsache, dass die alten Vorfahrtsschilder zunächst nicht entfernt und die „Durchfahrt verboten-Schilder“ größtenteils ersichtlich als Provisorien errichtet wurden.“

Umsetzung des europäischen Vogelschutzgebietes in nationales Recht und Neuplanung der Straße

Die Ausweisung des Landschaftsschutzgebietes – zur Auswahl hätte auch ein inhaltlich schärferes Naturschutzgebiet stehen können – ist die EU-rechtlich notwendige Umsetzung des Vogelschutzgebietes in nationales Recht. Nur im Bundesland Niedersachsen wird das auf Landkreisebene umgesetzt, nachdem die Bezirksregierungen in der CDU/FDP-Regierungszeit 2003 – 2008 (Kabinett I Wulff/Hirche mit Umweltminister Hans-Heinrich Sander) aufgelöst wurden. Der lokale Politik- und Verwaltungsklüngel entscheidet nun über Natur- oder Landschaftsschutzgebietsverordnungen in Natura-2000-Gebieten der EU. Die Stadt Esens plant die Straße nach dem desaströsen Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes aus 2014 nun erneut mit dem neu aufgelegten Bebauungsplan Nr. 89, und zwar so, als ob es die Straße noch gar nicht gäbe, um sie nachträglich legalisieren zu können. Dazu muss vorher ein nationales Schutzgebiet (Natur- oder Landschaftsschutzgebiet), in welcher Verordnungsqualität auch immer, formell ausgewiesen worden sein.

Gesperrte Umgehungsstraße Bensersiel/Stadt Esens – Foto (C): Manfred Knake

Die Umgehungsstraße ist nach wie vor ein „Schwarzbau“

Das neue Verfahren ist rechtlich äußerst fragwürdig und wird mit Sicherheit vom Landeigentümer angefochten werden. Würde die Stadt Esens mit der nachträglichen Legalisierung des „Schwarzbaus“ Erfolg haben, wären Tür und Tor für weitere rechtswidrige kommunale Planungen geöffnet, ohne dass die Verantwortlichen in Amtshaftung genommen würden. Die Straße kostete einschließlich der Anwalts- und Gerichtskosten bisher ca. 9 Millionen Euro. Davon waren 5,4 Millionen Euro öffentliche Fördergelder des Landes Niedersachsen. Der auch zu Unrecht enteignete Landeigentümer hat bis heute keine Entschädigung erhalten, die Stadt Esens spielt auf Zeit. Die nun vom OVG Lüneburg bestätigte Rechtskonformität der planungsrechtlich notwendigen Landschaftsschutzgebietsverordnung heißt aber nicht, dass die Umgehungsstraße bereits legalisiert ist und nun befahren werden darf: Die Straße ist nach wie vor gesperrt und darf nicht befahren werden. Zudem gehören die Teile der Straße, die auf dem Boden des Landeigentümers rechswidrig gebaut wurden, nun dem Kläger. Sie sind ihm, so das Rechtsdeutsch, „zugewachsen“ durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes von 2104. Er kann darüber verfügen.

Verfehlte Berichterstattung in einigen Medien

Einige Medien, die über das OVG-Urteil schrieben, haben den Inhalt des Urteils kaum verstanden und in Teilen falsch oder tendenziös wiedergegeben:

* Ostfriesen Zeitung vom 21. Mai 2019:
„Die Kläger wollen den Abriss der umstrittenen Bensersieler Ortsumgehung erreichen. Das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg stellte sich am Dienstag aber nicht auf ihre Seite.“

* NDR Niedersachsen, 21.05.2019:
„OVG: Umgehungsstraße darf bleiben – vorerst
Das Oberverwaltungsgericht hat entschieden: Ein Vogelschutzgebiet bei Bensersiel, durch das eine Umgehungsstraße verläuft, ist rechtmäßig vom Landkreis Wittmund ausgewiesen worden. Das bedeutet, dass die umstrittene Straße vorerst nicht zurückgebaut werden muss.“

* Nordwest Zeitung, Oldenburg vom 22. Mai 2019:
„Seit vielen Jahren zieht ein Dortmunder Ehepaar wegen der illegalen Umgehungsstraße Bensersiel gegen die Stadt Esens und den Landkreis Wittmund zu Felde. Nun kassierten sie eine empfindliche Schlappe.“

Entweder wird der Kläger als Querulant beschrieben oder es wird der falsche Eindruck erweckt, das Oberverwaltungsgericht habe mit dem Urteil zur Landschaftsschutzgebietsverordnung den Abriss der Straße verhindert. Um den Rückbau der Straße ging es in diesem Verfahren gar nicht, sondern nur um den Bestand der Landschaftsschutzverordnung. Diese Berichterstattung ist wieder ein Beispiel für die Oberflächlichkeit in der Berichterstattung einiger Presseorgane und bestimmt kein Einzelfall.

SPD-Esens frohlockt, zu früh

Der SPD-Ortsverband Esens, deren Ratsmitglieder mitverantwortlich für den illegalen und teuren Straßenbau sind, frohlockte am 21. Mai 2019 auf seiner Webseite mit roten Großbuchstaben:
INFO ÜBER AKTUELLE OVG-ENTSCHEIDUNG ZUM LANDSCHAFTSSCHUTZGEBIET ESENS/BENSERSIEL ANTRÄGE DER KLÄGER, -ALLE ABGELEHNT

Der Wattenrat hatte bereits 2003 auf die Rechtswidrigkeit der damaligen Straßenplanung der Stadt Esens hingewiesen; die Einwendungen des Wattenrates wurden vom Rat der Stadt Esens „weggewogen“.

OVG-Urteil naturschutzfachlich nicht nachvollziehbar

Das OVG Lüneburg begründet sein Urteil im Sinne des beklagten Landkreises Wittmund u.a. damit: „Die Umgehungsstraße habe den ornithologischen Wert des Schutzgebiets zwar gemindert. Dennoch weise das Gebiet weiterhin ein ausreichendes Entwicklungs- und Wiederherstellungspotential auf, um seine Unterschutzstellung nach dem Bundesnaturschutzgesetz zu rechtfertigen.“

Diese Ausage des Urteils kann der Wattenrat aus Kenntnis des Gebietes nicht nachvollziehen, zudem offensichtlich keinem Richter das Gebiet aus eigener Anschauung bekannt ist; einen Ortstermin hat es nicht gegeben. Ein „Entwicklungs- und Wiederherstellungspotenzial“, wie das Gericht annimmt, sieht der Wattenrat nicht. Für den Straßenbau wurden z.B. mehr als ein Kilometer Gräben mir Röhrichtsbeständen für Röhrichtbrüter wie Rohrsänger oder wie Blaukehlchen, die gerne an Grabenrändern brüten, vernichtet. Die Straßentrasse entwickelt für bestimmte empfindliche Watvogelarten einen Meidungseffekt von bis zu 400 Metern, das wurde bereits gutachterlich festgestellt. Bodenbrütende Vögel sind durch die intensive Landwirtschaft, die schon ab Mai mit der Grasmahd beginnt, kaum noch vorhanden. Die Artenvielfalt hat auch in diesem Vogelschutzgebiet stark abgenommen, trotz des Schutzstatus „Vogelschutzgebiet“. Das Gebiet wird aber noch von Rastvögeln wie arktischen Gänse oder durchziehenden Watvögeln im Herbst und Winter angenommen.

Die Zahlen: Das Landschaftsschutzgebiet WTM 25 II, Teil des EU-Vogelschutzgebietes V63 „Ostfriesische Seemarschen von Norden bis Esens“ (direkt am Nationalpark Niedersächsisches  Wattenmeer und „Weltnaturerbe“ gelegen) ist 43 ha groß. Die Straßentrasse nimmt davon eine Fläche von 9,3 ha ein, das sind ca. 22 Prozent des Schutzgebietes. Wo da noch gerichtlich festgestelltes „Entwicklungs- und Wiederherstellungspotenzial“ liegen soll, bleibt das Geheimnis der Richter. „Nachhaltiger“ Vogelschutz besteht auch in diesem Vogelschutzgebiet nur auf dem Papier, wie in vielen anderen Schutzgebieten dieser Kategorie auch.

Der Windpark Utgast, viel zu dicht am EU-Vogelschutzgebiet gebaut – von der illegal gebauten Umgehungsstraße in Bensersiel/LK Wittmund fotografiert – Foto (C): Manfred Knake

Windpark viel zu dicht am Vogelschutzgebiet

In unmittelbarer Nähe des Vogelschutzgebietes wurde bis 2018 der Windpark Utgast mit einhundert Meter hohen Windkraftanlagen repowert. Die Windkraftanlagen stehen entgegen der naturschutzfachlichen Vorgaben wie z.B. dem „Helgoländer Papier“ der Staatlichen Vogelschutzwarten nicht, wie empfohlen und bereits von Gerichten bestätigt, 1.200m vom Vogelschutzgebiet entfernt, sondern nur 200 bis 300 Meter, also viel zu dicht am Schutzgebiet und gefährden die Rastvögel alleine durch den Scheucheffekt. Zudem wurde vor dem Repowern keine vorgeschriebenen umfassende Datenerhebungen von Vögeln und Fledermäusen vom Landkreis Wittmund veranlasst (siehe auch fachliche Bewertung nach einer Fachaufsichtsbeschwerde des Wattenrates: .pdf: NLWKN_Stellungnahme_Utgast). Der Wattenrat bedauert, dass das OVG Lüneburg keine Revision des Urteils zugelassen hat.

Nachtrag und Begründung der Widersprüchlichkeit des Urteils:

Der Anwalt des beklagten Landkreises Wittmund war Prof. Dr. Hans-Walter Louis, der bis zu seiner Pensionierung als Ministerialrat im niedersächsischen Umweltministerium beschäftigt war und nun in Braunschweig als Anwalt praktiziert. Das Umweltministerium war an der unzureichenden Ausweisung des ehemals „faktischen Vogelschutzgebietes“ als europäisches Vogelschutzgebiet unter Herausnahme der Trasse der Umgehungsstraße Bensersiel federführend beteiligt. Das nun vorliegende Urteil des Oberverwaltungsgerichtes Lüneburg zur Rechtmäßigkeit des ausgewiesenen Landschaftsschutzgebietes (Übertragung des EU-Vogelschutzgebietes im LK Wittmund in nationales Recht) um Bensersiel ist aber widersprüchlich. Warum das so ist, können Sie hier in der .pdf-Datei nachlesen: Umgehung_Bsiel-Widersprueche im Urteil des Nds OVG vom 21Mai2019_ LSG-WTM-25II

Link zum Blog exit-esens: Das Urteil zur Landschaftsschutzgebietsverordnung

Wattenrat-Link: 19. Juli 2017: Reloaded: Chronologie der Umgehungsstraße Bensersiel, Teil 2

OVG Lüneburg, 21. Mai 2019: Verordnung über Landschaftsschutzgebiet 25 II „Ostfriesische Seemarsch zwischen Norden und Esens im Bereich Bensersiel, Samtgemeinde Esens, Landkreis Wittmund“ rechtmäßig

Der 4. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts hat durch Urteil vom 21. Mai 2019 (Az. 4 KN 141/17) die Rechtmäßigkeit der Verordnung des Landkreises Wittmund über das Landschaftsschutzgebiet 25 II „Ostfriesische Seemarsch zwischen Norden und Esens im Bereich Bensersiel, Samtgemeinde Esens, Landkreis Wittmund“ vom 13. Oktober 2016 bestätigt.

Mit dieser Verordnung hat der Landkreis ein ca. 43 ha großes Gebiet unmittelbar westlich und südlich der Ortschaft Bensersiel unter Landschaftsschutz gestellt. In diesem Gebiet befindet sich die kommunale Entlastungsstraße Bensersiel. Diese war aufgrund des Bebauungsplan Nr. 67 der Stadt Esens errichtet worden, den das Bundesverwaltungsgericht jedoch durch Urteil vom 27. März 2014 (Az. 4 CN 3.13) für unwirksam erklärt hat, weil er gegen das in einem faktischen – also noch nicht nach dem Bundesnaturschutzgesetz geschützten – Vogelschutzgebiet geltende Beeinträchtigungs- und Störungsverbot nach Art. 4 Abs. 4 Satz 1 der Vogelschutzrichtlinie verstoßen hatte.

Das Landschaftsschutzgebiet 25 II schließt räumlich an das bereits 2010 geschaffene ca. 2.500 ha große Landschaftsschutzgebiet 25 „Ostfriesische Seemarsch zwischen Norden und Esens im Bereich des Landkreises Wittmund“ an.

Am 18. April 2018 hat der Rat der Stadt Esens den Bebauungsplan Nr. 89 zwecks Legalisierung der Ortsumgehung beschlossen; dieser wurde im Dezember 2018 bekanntgemacht.

Der Antragsteller ist Eigentümer mehrerer Grundstücke im Schutzgebiet. Er hält die Landschaftsschutzgebietsverordnung LSG 25 II insbesondere deshalb für rechtswidrig, weil das Schutzgebiet wegen des Baus der Umgehungsstraße nicht mehr ausreichend schutzwürdig sei und die Unterschutzstellung vor allem den Zweck verfolge, das faktische Vogelschutzgebiet zu einem Natura 2000-Gebiet im Sinne des Bundesnaturschutzgesetzes zu machen, um die rechtlichen Voraussetzungen für die Legalisierung der kommunalen Entlastungsstraße Bensersiel zu schaffen.

Der 4. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts ist der Argumentation des Antragstellers nicht gefolgt. Die Umgehungsstraße habe den ornithologischen Wert des Schutzgebiets zwar gemindert. Dennoch weise das Gebiet weiterhin ein ausreichendes Entwicklungs- und Wiederherstellungspotential auf, um seine Unterschutzstellung nach dem Bundesnaturschutzgesetz zu rechtfertigen. Auch der Bebauungsplan Nr. 89, mit dem die Umgehungsstraße legalisiert werden solle, stehe der Unterschutzstellung nicht entgegen. Über die Rechtmäßigkeit des Bebauungsplans sei im Verfahren über die Landschaftsschutzgebietsverordnung nicht zu entscheiden. Selbst wenn der Bebauungsplan Nr. 89 rechtmäßig und damit wirksam sein sollte, könne er nicht zur Rechtswidrigkeit der Landschaftsschutzgebietsverordnung führen. Denn die naturschutzrechtliche Unterschutzstellung sei der Zulassung der Straße rechtlich vorgelagert. Die Legalisierung der Straße durch den Bebauungsplan setze ihrerseits voraus, dass das streitige Gebiet nach nationalem Recht unter Schutz gestellt und damit ein Natura 2000-Gebiet geworden sei.

Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision zum Bundesverwaltungsgericht nicht zugelassen.

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