Zugvogeltage im Wattenmeer: Und wer redet von der Zugvogeljagd und Windenergie?

 

 Dr. h.c. Horst Stern zum 89. Geburtstag gewidmet:

Angeschossene Nonnengans, nicht jagdbare arktische Gans, mit offenem Schussbruch. Terborg/Ems, April 2011

Die dritten Zugvogeltage finden vom 22. bis 30. Oktober mit über 150 Einzelveranstaltungen von Borkum bis Wangerooge, vom Dollart bis Cuxhaven statt. Zugvögel als „Naturschauspiel“ zu begucken ist sicher eine spannende und auch lehrreiche Angelegenheit. Viele dieser Vögel, verschiedene Gänsearten aus der Arktis, werden aber schon zwei Tage nach den Zugvogeltagen ab dem 01. November 2011 auch in Niedersachsen wieder ganz legal bejagt und getötet werden, auch in EU-Vogelschutzgebieten an der Ems, die an den Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer direkt angrenzen. Die Vögel kennen diese menschengemachten Grenzen nicht und fliegen so aus dem Nationalpark direkt ins Schrotfeuer der Hobbyjäger, die ihnen dort auflauern, in der Vergangenheit auch verbotener Weise bei Dunkelheit, Nebel oder Schneetreiben, ohne dass man bei diesem Licht die Arten sicher ansprechen kann. Jagdverhältnisse also wie in Italien!

Der NABU, der nach eigenen Worten der mitgliederstärkste Naturschutzverband Deutschlands ist, beteiligt sich an den Zugvogeltagen, ebenfalls der BUND, der auch dabei ist. Bisher wenig oder nichts haben aber diese Naturschutzverbände dazu beigetragen, dass bei der anschließenden Zugvogeljagd aktiv, d.h. vor Ort mit Kamera und Berichtsheft bei jedem Wetter auf die Verstöße durch die Schießer und Hobbyjäger aufmerksam gemacht wurde und der Jagdfrevel damit erst ans Licht der Öffentlichkeit kam. Gegen die Zugvogeljagd ging in jahrelanger Arbeit aktiv unser Mitarbeiter Eilert Voß vor, der dafür von der Jägerschaft mit Hilfe eines Gerichts als „Jagdstörer“ mundtot gemacht werden sollte und dafür 2.000 Euro Ordnungsgeld, ersatzweise 20 Tage Haft, zahlen musste. Dabei hat der NABU die „Gänsewacht“ mit ins Leben gerufen, nur an der tatsächlichen praktischen Unterstützung der Naturschutzverbände mit ihren vielen zahlenden Mitgliedern vor Ort fehlt es nach wie vor.

NSG Petkumer Deichvorland/Ems (EU-Vogelschutzgebiet): Jagdgebiet für arktische Gänse. Begrüßt man so seine Gäste?

Jagd auf arktische Gänse bei Nacht und Nebel: NSG Petkumer Deichvorland/Ems, Dez. 2010

Allerdings: Sogar bei den Jägern macht man sich aktuell zaghafte Gedanken, ob die Wasservogeljagd so weitergehen kann wie bisher:

Niedersächsischer Jäger, Heft 19/2011, S. 3, Leitartikel von Dr. Bartsch, Chefredakteur

Über den Hutrand hinaus
Wasserwild kennt keine Grenzen.

Nicht nur die Grenzen unserer Jagdreviere, sondern sogar die von Ländern, ja Kontinenten werden weltweit von den vielen verschiedenen Enten-und Gänsearten auf ausdauernd schnellen Schwingen überschritten. […] Vom Wiesenbach bis zum Flussufer, vom Feldtümpel bis zur Meeresküste. Dazu die vermeintliche Unerschöpflichkeit überall dort, wo sich gefiederte Scharen regelmäßig in großer Zahl einfinden. Sie sind eigentlich immer auf Wanderschaft. Deshalb müssen wir Jäger uns heute aber Gedanken über die eigenen Reviergrenzen hinaus machen, um diesen Wildarten gerecht zu werden, die nicht wie Rebhuhn oder Hase „mein Wild“ jedes einzelnen Revierinhabers sind, sondern „unser Wild“, mindestens europaweit bis hin zu den arktischen Brutgebieten vieler Arten.

Dazu kommt der Verlust vieler Rasthabitate am Wattenmeer durch den ungebremsten Zubau der ostfriesischen Marschenlandschaft mit Windkraftanlagen, ein weiterer Windpark mitten im Wattenmeer zwischen Wangerooge und Cuxhaven ist geplant. Der jetzt zugvogelbewegte BUND hat die Klage gegen diese Planung gegen Bares für eine eigene Stiftung zurückgezogen.

Gegen die Windparkplanungen am Wattenmeer und die damit verbundenen Zerstörungen der Vogelrastplätze kam vom BUND nichts, der NABU monierte zumindest eine Planung im Rheiderland.

„Kulturlandschaft“ hinter dem Deich, Dornum/LK Aurich

Die Zugvogeltage werden von den Naturschutzverbänden, diesmal ohne Drückerkolonnen an der Haustür, für die Mitgliederwerbung genutzt werden, nur nützt das den Zugvögeln nichts, das ist Öko-Entertainment ohne Folgen für den Vogelschutz.  Mit Hilfe professioneller Drückerkolonnen hat der NABU-Ostfriesland gerade seine Mitgliederzahl um 2000 (zweitausend!) Mitglieder fast verdoppelt, nur sind das überwiegend keine Mitglieder, die sich aktiv für den Erhalt der ungestörten Rast- und Nahrungsplätze und das Verbot der Zugvogeljagd in Schutzgebieten einsetzen, es sind zahlende Mitglieder, überwiegend Karteileichen, mehr nicht.

Ostfriesen Zeitung, S.16, 29. Sept. 2011

Nabu verdoppelt Mitgliederzahl

 Naturschutzbund (Nabu) Ostfriesland hat seit Anfang August mehr als 2000 neue Mitglieder gewonnen und damit seine Mitgliederzahl fast verdoppelt. Zurückzuführen ist diese Entwicklung einer Pressemitteilung zufolge auf eine Werbeaktion, die in den kommenden Wochen fortgeführt werden soll. Vor Beginn der Aktion hatte der Nabu in Ostfriesland rund 2500 Mitglieder. […]

Für die Zugvogeltage wurde eine aufwändige Informationsbroschüre erstellt, die gut in das Phänomen Vogelzug einführt. Gleich am Anfang der Broschüre entlarvt aber der notorische Umweltminister Niedersachsens, Hans-Heinrich Sander (der mit der Kettensäge im Biosphärenreservat Elbtalaue), die wahren Ziele der Zugvogeltage: Tourismusförderung!

Zitat Sander: „Liebe Freundinnen und Freunde des Wattenmeeres und seiner Vogelwelt,

[…] Hoffnungsfroh stimmt mich auch die zunehmende Beteiligung von externen Partnern an den Zugvogeltagen: Immer mehr Menschen aus dem Tourismusbereich und der Wirtschaft erkennen das Potenzial dieser Veranstaltungsreihe und machen mit eigenen ergänzenden Angeboten mit. Sie haben erkannt, das der Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer eine Bereicherung für die Region ist und wir gemeinsam für seinen Schutz und den Schutz der Zugvögel noch mehr werben und uns engagieren müssen. Dieses Engagement reicht weit über die Grenzen des Nationalparks hinaus, denn viele Vögel zeigen uns, dass die Bedeutung des Wattenmeeres nicht am Deichfuß endet, weil sie auch die Kulturlandschaft brauchen […]. “

Dazu ist anzumerken, dass weder der „Tourismusbereich“ noch die „Wirtschaft“ bis heute, mehr als 25 Jahre nach der Gründung des Nationalparks 1986, irgendwelche wahrnehmbaren Anstrengungen zur Verbesserung der Situation der Zugvögel oder der Nationalparkflächen beigetragen haben. Im Gegenteil, auf den Seiten des Wattenrates kann man die ständigen Bestrebungen der Ausweitung der Tourismuswirtschaft nachlesen. Wer in eine Suchmaschine den Begriff „Zugvogeltage“ eingibt, sieht schnell, wie diese Veranstaltung von der Tourismusindustrie genutzt wird, es geht um das Anlocken der zahlenden „Zugvögel“, die Touristen.

Maismonokulturen und Wind“parks“ dominieren heute die ostfriesische Marschenlandschaft, ehemaliges Zugvogelrastgebiet Utgast/LK Wittmund

Die für die Zugvögel zweifellos unverzichtbare Kulturlandschaft jenseits des Deichfußes ist mit Unterstützung des Umweltministeriums zielstrebig zu Windparkstandorten ausgebaut worden, mit der Vernichtung riesiger Rastareale von Emden bis Cuxhaven (vgl.: Wie eine Landschaft unter die Windräder gekommen ist).

Blick über das „Weltnaturerbe“ Wattenmeer: Dollart, im Hintergrund die „Kulturlandschaft“ mit dem Wind“park“ Wybelsumer Polder, EU-Vogelschutzgebiet

Auch der Grünlandumbruch geht unvermindert weiter, große Flächen werden für den Maisanbau genutzt, um die lukrativen Biogasanlagen zu „füttern“, auch diese Flächen fehlen den Zugvögeln. Das Erneuerbare Energiengesetz mit der zwangsweisen Subvention der Windkraft- und Biogasanlagenbetreiber durch Abgaben aller Stromkunden auf jede verbrauchte  Kilowattstunde ist die Ursache dieser für viele Tierarten verheerenden Landschaftszerstörung, ganz abgesehen von den steigenden Lebensmittelpreisen durch die fehlenden Flächen für die Nahrungsmittelerzeugung.  Die Worte des Ministers sind blanker Hohn für jeden, der sich für den Erhalt der Marschenlandschaft, für Rückzugsgebiete der Zugvögel und das verträgliche Maß der Tourismusentwicklung einsetzt. Und die völlig unkritischen Naturschutzverbände unterstützen diese PR-Nummer „Zugvogeltage“, ohne eine Wort zu den tatsächlichen Belastungen der Landschaft im und am Wattenmeer zu verlieren; sie sind längst, wie die von den Verbänden betriebenen Informationszentren und auch die Nationalparkverwaltung, Teil der Vermarktungsstrategie geworden!

Löffler und Graugänse im „Weltnaturerbe“ Wattenmeer vor Windkraftanlagen

„Herausragend“ für die unverhohlene Werbung mit der Windenergie on- und offshore ist seit Jahren das Nordseehaus Wangerland, das von der Gemeinde Wangerland, der „Wangerland Touristik“ und der Wissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft Umweltschutz (WAU) in Jever betrieben wird. Als „Kooperationspartner“ des Nordseehauses fungieren die „Bassens-Windpark Verwaltungs GmbH, Wangerland“, der „Bundesverband Windenergie e.V“., Berlin und „Friesenenergie, Wangerland“, und das bestimmt nicht zum Nulltarif!

Parallel zu den Zugvogeltagen findet am 22. Okotber 2011 ein „Drachenfest“ am Deich von Upleward im Lankreis Aurich statt, Dabei werden kleine und große Lenkdrachen auf mehreren hundert Metern Deichstrecke geflogen, in unmittelbarer Nähe zu einem herausragenden Rastgebiet für Wat- und Wasservögel in der strengsten Schutzzone des Nationalparks vor dem Deich, einer natürlich gewachsenen Muschelschillbank. Drachen werden von Vögeln als Feindbild angesehen und weiträumig gemieden. Die Veranstaltung wird vom NABU-Nationalparkhaus im benachbarten Greetsiel unterstützt. Hier wird wieder einmal deutlich, wie es um die Bewusstseinslage der Tourismusmacher an der Küste steht, wenn es um die Ansprüche von Rastvögeln im „Weltnaturerbe“ Wattenmeer geht, das mit diesem Namen für noch mehr Tourismus gnadenlos vermarktet wird (YouTube-Link Drachenfest 2010).

Der offensive Einsatz der Naturschutzverbänden gegen die tatsächlichen Bedrohungen der Zugvögel durch Jagd, ausufernden Tourismus und Zubau der Landschaft wäre also hilfreich, nur müssten sich die Verbände dann mit der Landesjägerschaft Niedersachsen und der Landesregierung anlegen und ihre innigen Verflechtungen mit der Windenergieindustrie aufgeben.

Alpenstrandläufer im Dollart, Teil des „Weltnaturerbes“ Wattenmeer

Es bleibt zu hoffen, dass anlässlich der Zugvogeltage durch die Referenten vor Ort  zumindest die Jagd und auch die Zerstörung der  Rasthabitate durch riesige Wind“parks“ am Wattenmeer thematisiert werden. Glaubhafter wären die Nationalparkverwaltung und die Naturschutzverbände BUND und NABU, wenn sie mit gleichem PR-Aufwand wie für die Zugvogelbeobachtung auch auf die Bedrohung der Tiere durch Jagd und Lebensraumverlust aufmerksam und die Verbände ggf. von ihrem Klagerecht Gebrauch machten. Nur Öko-Entertainment mit Zugvögeln ist zu wenig, mehr kritische Distanz zu den offiziellen Naturschutzverlautbarungen des Umweltministers, der Landesregierung und der an der kurzen politischen Leine geführten Nationalparkverwaltung wäre mehr für den Naturschutz im und am Wattenmeer. Den Zugvögeln helfen solche  Zugvogeltage überhaupt nicht.

Aktualisiert 23. Okt. 2011

 

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