Willkommen an der schäumenden Capuccino-Coast

Brandgänse im Watt an der Salzwiesenkante – Archivfoto 2017 (C:) Eilert Voß/Wattenrat

Die Nordsee schäumt mal wieder. An einigen Inselstränden von den Niederlanden bis nach Deutschland wird derzeit in unterschiedlichen Mengen Algenschaum angespült, verursacht von der Alge Phaeocystis. Bei Beginn der warmen Jahreszeit vermehren sich diese Algen explosionsartig, werden von Wind und Wellen mechanisch zu Schaum zerschlagen und verkleben dann die Strände. Ursache ist der immer noch starke Nährstoffeintrag in die Küstengewässer aus den sog. „diffusen Quellen“, sprich landwirtschaftlicher Dünger, der dann über die Gräben, Bäche und Flüsse schließlich im Wattenmeer landet.

Der klebrige Algenschaum kann für Muscheln oder Fische tödlich sein, wenn dadurch die Atmungsorgane verklebt werden. Brutvögel von der Brandgans bis zur Möwe müssen an einigen Stellen des Wattenmeeres ihre Jungvögel durch den Schaum ans Wasser führen. Das kann für die Jungvögel tödlich enden, wenn das Jugendgefieder verklebt, die Vögel durchnässen und dann erfrieren.

Für Menschen ist der Schaum ungefährlich, nur stinken die toten Algen und sind keine Bereicherung der touristisch genutzten Strände. Die Lokalzeitung „Ostfriesischer Kurier“ aus Norden, und wie Spötter sagen, nicht selten der recherchearmen „Heile-Welt-Berichterstattung“ verpflichtet, sah das am 22. Mai 2020 unter der Rubrik „Tourismus“ u.a. so:

“Wie gefährlich ist der Algenschaum? […] Dabei ist der Schaum an sich für Mensch und Tier völ­lig ungefährlich, weiß Benthosökologin Dr. Valeria Bers vom Watt Welten Besucherzentrum Norderney. ´Es han­delt sich dabei um eine erhöh­te Menge an Nährstoffen, die sich um die Mikroorganismen wie Algen heften. Durch den mechanischen Einfluss der Wellen entsteht dann der Schaum.´ Eigentlich so wie beim Milchschaum, daher werden mit dem .Algenschaum´ ge­füllte Strände auch ´Capucchino Coast´ genannt. […]“

Auch Benthosökologinnen können irren, umso leichter, wenn man Teil des (massen-) touristischen Angebots im Soziotop einer Urlaubsinsel als Leiterin eines Nationalpark-Informationshauses ist.  Träger des Nationalparkhauses „Watt Welten“ sind die Stadt Norderney, die Nationalparkverwaltung und der Naturschutzverband BUND. Der Begriff „Costa Granata“ für die Küste ist ja längst etabliert, nicht wegen der enormen Munitionsaltlasten im Meer, sondern wegen der hier gerne gegessenen Krabben, auch Granat genannt. Die neue schönfärberische Wortschöpfung „Cappucino-Coast“, geprägt von wem auch immer für diesen unschön-klebrigen Strandzustand, verharmlost lachlustig den tatsächlichen Zustand dieses maroden National- und Freizeitparks, der sich „Weltnaturerbe“ nennen darf. Wie wird man wohl die Küste nennen, wenn es zu einem Ölunfall nach einer Schiffshavarie mit einer der vielen Offshore-Windkraftanlagen auf See kommen sollte? „Espresso-Coast“, Mousse au chocolat-“ oder, wenn es ganz dicke kommt, sogar „Nutella-Coast“? Nur wird das dann weniger lustig sein.

Eiderenten mit Jungen, Wattengebiet westlich Borkum – Archivfoto 2017 (C): Eilert Voß

Zitat aus IKZM – Integriertes Küstenzonenmanagement in Deutschland

Schaumberge am Strand

An den Stränden der Nordseeküste kann man häufig im Sommer Berge von Schaum sehen. Sie werden von einer Phytoplanktonart gebildet, der mikroskopisch kleinen Alge Phaeocystis globosa oder einfach Schaumalge. Diese bildet Kolonien von mehreren Hundert Zellen, die von einer klebrigen Gallerthülle umgeben und zusammengehalten werden. In den letzten Jahrzehnten kommen diese Algen, die bei uns seit dem späten 19. Jahrhundert dokumentiert sind, häufiger und in größeren Massen vor. Wenn die Algenzellen nach einigen Wochen Lebenszeit absterben, schlägt der Wind die klebrigen Schleimhüllen zu Schaum – ähnlich wie man Eiweiß zu Schaum schlagen kann. Die entstehenden Schaumberge sind zwar für den Menschen nicht gefährlich, aber die Algen riechen unangenehm, und der Schaum sieht nicht schön aus. Außerdem können die Schleimhüllen die Kiemen von Fischen, Miesmuscheln und anderen Meeresbewohnern verkleben und sie so töten.“

Termunterzjil/NL, Schöpfwerk entwässert belastete landwirtschaftliche Flächen ins Wattenmeer – Archivfoto 2017 (C): Eilert Voß

Dieser Beitrag wurde unter Landwirtschaft, Naturschutz, Wattenmeer abgelegt und mit , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.