Der Bundesverband Windenergie und die Greifvögel: audiatur et altera pars

Rotierende "Kulturlandschaft" am Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer, Brut- und Jagdgebiet von Weihen

Es ist immer wieder eine Freude, die WebSeiten der „Europäischen Gesellschaft zur Erhaltung der Eulen“ (EGE) zu lesen. Sachkundig, nüchtern, manchmal beißend und witzig werden hier auch Naturschutzthemen vorgestellt, die sich nicht „nur“ um die Nachtgreife drehen. Diesmal haben die Eulenfreunde wieder die Windkraftindustrie in den Fängen. Es geht um Einkommensverluste der Windkraftbetreiber durch Greifvögel, die gar nicht so selten mit den Riesenpropellern kollidieren und so zu Tode kommen. Der „Bundesverband Windenergie“ (BWE), höchst aggressive Lobbyorganisation mit Weltklimarettungsanspruch mittels geflügelter Dynamos, will diese Tötungsdelikte nun am 17. November 2011 in Hannover  „interdisziplinär analysieren“. Es geht dem Verband immerhin um nichts Geringeres als das eigene Geld, wenn die Windkonverter für die geschützten, aber weitgehend unbekannten Greifvogelarten vorübergehend abgeschaltet werden müssen und der „Ertrag“,  die gesetzlich verfügte Zwangsabgabe aller Stromkunden aus dem Erneuerbaren Energien Gesetz, damit geringer ausfällt. Als Analyst und Referent ist wieder dabei Günter Ratzbor, gleichzeitig als Inhaber eines Planungsbüros Auftragnehmer der windigen Betreiberlobby und Kampagnenleiter des Deutschen Naturschutzringes (DNR) für mehr gesellschaftliche Akzeptanz  der Windenergienutzung, der auch schon auf den Wattenratseiten , wenn auch unfreiwillig, zu Wort kam (O-Ton beim eigentlich dem Naturschutz verpflichteten DNR: „In diesem Zusammenhang gilt es, unnötige Kosten in Form von Abschaltzeiten zu vermeiden“.)

Für die Nichtlateiner, oder die es inzwischen vergessen haben (auch der Autor musste nachschlagen): „audiatur et altera pars“ heiß nichts anderes als „man höre auch die andere Seite“ und ist ein Rechtsgrundsatz!

Wiesenweihe im Suchflug, Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer

Wir danken der EGE für die Überlassung des Textes.

Die Windenergiewirtschaft boomt, sie ist gewinnbringend, Jobmotor, nationale Hoffnungsbranche und spätestens nach den Atomunfällen in Japan über jeden moralischen Zweifel erhaben. Die Branche verfügt über Einfluss, Medienpräsenz, Netzwerke und beschäftigt nicht nur Leiharbeiter, sondern auch Anwaltskanzleien. Allerdings scheitern auch die Anwälte der Anlagenbetreiber mitunter an den Vorschriften des Naturschutzrechts. So geschah es beispielsweise in diesem Jahr im niedersächsischen Landkreis Aurich. Die Anordnung des Landkreises, Windenergieanlagen im unmittelbaren Umfeld von Brutplätzen der Wiesenweihe für die Dauer der Brutzeit tagsüber abzuschalten (die EGE berichtete auf dieser Seite), hatte das Verwaltungsgericht ganz gegen den Geschmack der Branche und ihrer Anwälte als vorläufig rechtmäßig erkannt. Ein signifikantes Tötungsrisiko sei nicht auszuschließen, so das Gericht. Solche Entscheidungen könnten sich häufen, fänden die zuständigen Behörden überall den Mut, bei einer vergleichbaren Faktenlage richtig zu entscheiden. Das trauen sich schon wegen Anwaltsschreiben und darin angedrohter Entschädigungsforderungen nur die wenigsten. Übrigens wurden für den Zeitraum 2005 bis 2011 aus Spanien und Deutschland insgesamt 23 an Windenergieanlagen verunglückte Wiesenweihen registriert. Das ist eine besorgniserregende Zahl angesichts der Schwierigkeit, Totfunde in der Vegetation zu entdecken.

Der Fall aus Aurich hängt der Branche nach. Der Bundesverband Windenergie will den Fall am 17. November 2011 in Hannover als „Fallbeispiel naturschutzrechtlicher Entscheidungen interdisziplinär analysieren“. Der Verband hat einige Sachverständige zum Vortrag eingeladen. Darunter auch einen Diplom-Ingenieur der Landschaftspflege, den die Szene schon aus anderen Lebenszusammenhängen kennt: Günter Ratzbor. Diesmal referiert er über die „Situation der Wiesenweihe – Naturschutzfachliche Bedenken und deren ökosystemare Einordnung unter Berücksichtigung der örtlichen Situation“ als Mitinhaber eines Planungsbüros, das zu den Auftragnehmern der Branche zählt. Bei anderer Gelegenheit tritt er für den Deutschen Naturschutzring (DNR) in Erscheinung, dessen Kampagne für mehr gesellschaftliche Akzeptanz der Windenergiewirtschaft Ratzbor leitet. G. Ratzbor wurde als Mitverfasser der Verträglichkeitsstudie im Urteil des Verwaltungsgerichts Gera vom 01. Dezember 2009 (Az: 5 K 1491/07 Ge) auf Seite 25 bescheinigt, dass er von seiner Ausbildung her nicht über biologische und spezifisch ornithologische Kenntnisse verfüge, dies die Brauchbarkeit vor allem seiner Stellungnahmen zur Bestandsentwicklung und zum Verhalten einer bestimmten Greifvogelart erheblich einschränke und es geboten sei, „sie mit Vorsicht zu bewerten“. – Der Landkreis Aurich, der das Abschalten der Anlagen durchgesetzt hatte, steht nicht auf der Referentenliste.

Der Bundesverband Windenergie sucht nach wiederholtem naturschutzrechtlichem Scheitern vor deutschen Verwaltungsgerichten die Nähe zu den Ausbildungsstätten für Verwaltungsrecht. Dort werden die Verwaltungsrichter von morgen ausgebildet. So spricht zum Ende der Veranstaltung Prof. Dr. Edmund Brandt vom Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht an der TU Braunschweig über die Konsequenzen der „interdisziplinären Analyse des Fallbeispieles für die Rechtsprechung“. Vielleicht würde sich der Referent besser des einfachen Grundsatzes des römischen Rechts annehmen: Audiatur et altera pars (lat. „man höre auch die andere Seite“). Der Grundsatz steht für den Anspruch auf rechtliches Gehör, der in allen modernen Rechtsordnungen ein zentrales Verfahrensgrundrecht ist.

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