Windenergie und Vögel: Der blinde „Falke“

Jagdfalke; Foto (C): Birgit Droste

„Der Falke“ ist eine renommierte Zeitschrift für Vogelbeobachter, mit langer Geschichte. Schon in der ehemaligen DDR war er das vielgelesene Organ für Ornithologie. Im Dezemberheft 2011 war die Auswirkung von Windenergieanlagen auf Vögel das zentrale Thema. Wer nun meint, dass der „Falke“ dieses Thema tatsächlich angemessen aufgearbeitet hat, wurde enttäuscht. Die „Gesellschaft zur Erhaltung der Eulen“ (EGE) hat die bessere Weitsicht und den besseren Durchblick bei diesem Thema bewiesen. Deren Rezension veröffentlichen wir nachfolgend, wir danken den Eulenfreunden für die Überlassung des Beitrages. Und wer wissen will, wie die erwähnte norddeutsche Landschaft schon vor vielen Jahren mit politischer Hilfe  und Umgehung naturschutzrechlicher Vorgaben unter die Windräder geraten ist, kann das im Beitrag der Norddeutschen Naturschutzakademie – NNA Berichte 3/96– nachlesen.

In einem „Journal für Vogelbeobachter“ mit Namen „Der Falke“ sollte man scharfsichtige Beiträge erwarten. Die Ausgabe aus dem Dezember 2011 weist allerdings einige Unschärfe und blinde Flecken auf. Dabei handelt das Heft in sechs Beiträgen nicht von einer bloßen Ansichtssache, sondern von Windenergieanlagen, die einer ganzen Reihe von Vogelarten nachweislich gefährlich werden können.

Die Autoren der Beiträge befassen sich beruflich mit diesen Gefahren – in diesem Heft Dr. Hermann Hötker mit den Auswirkungen der gesamten regenerativen Energiegewinnung auf Vögel; Dr. Ulrike Kubetzki, Dr. Stefan Garthe und Dr. Ommo Hüppop mit den Auswirkungen von Offshore-Windenergieanlagen auf See- und Zugvögel; Stefan Stübing mit diesem Konflikt in waldreichen Mittelgebirgen; Tobias Dürr mit den Anflugopfern an den bodennahen Mastsegmenten; Dr. Klaus Richarz mit möglichen Konfliktlösungen. Ein Beitrag von Alvaro Camina Cardenal über die Folgen von Windenergieanlagen für Geier in Spanien vervollständigt das Heft.

Alle Beiträge eint gewiss die Sorge um die Vögel, aber auch die Akzeptanz, zumindest die Abwesenheit kritischer Fragen hinsichtlich des massiven Ausbaus der Windenergiewirtschaft, der der Avifauna Deutschlands bevorsteht. Stattdessen allenthalben Verständnis bis Genugtuung für die eingeschlagene energiepolitische Entwicklung und die Hoffnung, „bei guter Planung“ und „einer geeigneten Standortwahl“ ließen sich regenerative Energieerzeugung und Vogelschutz miteinander vereinbaren.

Wie wenig diese Hoffnung begründet ist, zeigt sich in Norddeutschland, wo vor 20 Jahren der Ausbau der Windenergiewirtschaft den Anfang nahm und kein Ende findet. Mangels verfügbarer anderer Standorte werden dort die Abstandsempfehlungen für eine „gute Planung“ und „geeignete Standortwahl“ unter dem Druck der Branche fortlaufend verletzt – beispielsweise zu Lasten der Wiesenweihe. Vogelkundler – darunter Dr. Hermann Hötker – schlossen noch 2010 ein Kollisionsrisiko für die seltenen Greifvögel, die jetzt in die Opferliste aufgenommen werden mussten, aus. Dieselben Fachleute hatten auch die inzwischen dramatisch hohen Opferzahlen beim Rotmilan nicht vorhergesehen. Ganz im Unterschied zu einem Klimawandel, der erwiesen oder nicht „von vielen Experten neben der Intensivierung in der Land- und Forstwirtschaft als langfristig größte Bedrohung für die Biodiversität angesehen wird“ (Dr. Hötker) und dessen Abwendung nun die Kollateralschäden der Windenergiewirtschaft rechtfertigen soll.

Das Heft spart den Ausbau der Windenergiewirtschaft im Wald nicht aus. Zwar trifft es zu, dass Windenergieanlagen im Wald nicht von vornherein für den Vogelschutz problematischer sind als solche im Offenland (Stefan Stübing). Es bedarf aber schon eines Grundmaßes an Naivität, mit der Öffnung des Waldes für die Windenergiewirtschaft eine Entlastung des Offenlandes zu verbinden. Die Entwicklung belegt das Gegenteil: Der Branche werden alle verfügbaren Standorte geopfert – im Offenland und im geschlossenen Wald. Dies ist für eine Umstellung der Energieerzeugung auf regenerative Quellen nur folgerichtig, denn für einen nennenswerten Beitrag muss man mit Windenergieanlagen klotzen und darf nicht kleckern. Stefan Stübing und Hermann Hötker, die als Gutachter mit und durch die Branche zu tun haben, schreiben um dieses Problem herum, obgleich sie die Dynamik, um nicht zu sagen die Gier der Branche kennen dürften.

Zustimmen lässt sich am ehesten dem Beitrag über die Auswirkungen der Offshore-Windenergieanlagen auf See- und Zugvögel. Darin ist die Besorgnis über das Schicksal der Vögel spürbar, die in den übrigen Beiträgen bestenfalls verhalten zum Ausdruck kommt oder gar nicht erst aufscheint. So etwa, wenn die Opfer in Anführungszeichen geführt und eilfertig als „nicht populationsrelevant“ abgetan werden. Dabei bleiben die Maßstäbe des gemeinschaftsrechtlich fundierten Artenschutzrechts, das eine signifikante Erhöhung des Tötungsrisikos bereits einzelner Individuen untersagt, geflissentlich unerwähnt. Auf einen Leseraufruf, sich an der Aufklärung der Dunkelziffer zu beteiligen, unter den Anlagen nach Opfern zu sehen und diese der zentralen Funddatei zu melden, verzichtet das Heft. Die Zeitschrift ist wohl eher ein Journal für Vogelbeobachter, nicht so sehr der Vogelschützer. Dass Autoren und Redaktion auf eine alarmistische Berichterstattung verzichtet haben, ist gewiss eine Stärke, die überwiegend um Beruhigung bemühten Beiträge sind aber zweifelsfrei die Schwäche des Heftes. An einigen Stellen hätten die Autoren zum Schutz der Vögel Signallichter setzen müssen oder wenigstens Ausrufezeichen. Tendenziell zeigt sich eher das Gegenteil. Beispielhaft dafür ist der Hinweis auf die Erkenntnisse über den Einfluss von Windenergieanlagen auf Geier in Spanien. Verluste, die tatsächlich dramatisch sind, im Vorspann des Beitrages aber als „spannend“ beschönigt werden. So schreibt man sich als Auftragnehmer ins Herz der Branche.

Die von der Länder-Arbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten in Deutschland 2007 herausgegebenen „Abstandsregelungen“ für Windenergieanlagen zum Schutz bedeutender Vogellebensräume erwähnt nur einer der Autoren: Dr. Klaus Richarz. Dass in dem Beitrag der bloße Orientierungscharakter dieser Regelungen herausgestellt wird, muss man nicht zwangsläufig kritisieren. Die vom Autor angestellte Relativierung der zum Schutz von 25 Arten definierten Prüfbereiche dürfte aber eindeutig zu weit gehen, wenn Anlagen dort nur noch „dann als kritisch einzuschätzen (sind), wenn der Prüfbereich von mehreren Vögeln dieser Arten oder verschiedenen Paaren als essenzielle Nahrungshabitate genutzt werden“. Diese Auslegung dürfte auch mit dem Artenschutzrecht nicht ohne weiteres vereinbar sein. Hier hat den Leiter der Staatlichen Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland ganz offenkundig der Mut verlassen, wofür die politisierten Flächenforderungen der Branche in diesen Ländern Erklärung sein könnten. Die Staatlichen Vogelschutzwarten stehen in allen Bundesländern unter einem enormen Druck, den Ausbau der Windenergiewirtschaft bloß nicht zu behindern. Der Druck kommt nicht allein aus den Wirtschaftsverbänden und Regierungen, sondern aus der Mitte der Umweltorganisationen.

Ganz gegenläufig zu dieser Entwicklung wenden sich aus allen Bundesländern immer häufiger Orts- und Kreisgruppen der großen Umweltschutzorganisationen an die EGE, sie möge bei der Bewertung und Abwendung von Windparks in bedeutenden Vogellebensräumen behilflich sein. Offenkundig wird ihnen diese Unterstützung seitens ihrer Landes- und Bundesverbände nicht zuteil. Die EGE verfügt im Unterschied zu den großen Umweltverbänden nicht über das Angestelltennetz, diese Erwartungen zu erfüllen. Sie bittet deshalb um Verständnis, wenn sie sich auf die Vermittlung von Gutachtern und Rechtsanwälten beschränkt. Die Hilfe suchenden Orts- und Kreisgruppen sollten sich allerdings die Frage vorlegen, inwieweit der rücksichtslose Ausbau der Windenergiewirtschaft nicht auch eine Folge der Haltungen der eigenen Landes- und Bundesverbände ist.

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