Brief an den WWF-Deutschland: Was liegt näher, „Barrier Reef“ oder „Weltnaturerbe Wattenmeer“?

Spaßpark "Weltnaturerbe" Wattenmeer, Norddeich/LK Aurich, Sommer 2012

Hauptsache weit weg, wenn es um den realen oder vermeintlichen Naturschutz geht. Diesmal macht sich der WWF-Deutschland (!) Sorgen um das „Great Barrier Reef“ „downunder“ in Australien. Warum aber in die Ferne schweifen, wenn das Kaputte liegt so nah? Zu den nicht nur touristisch übernutzten Wattenmeer-Nationalparks vor unserer Haustür, die kaum einer Aufsicht unterliegen, fallen dem WWF und den anderen Salonnaturschützern des NABU oder BUND nicht ein, dass das „Weltnaturerbe“ nur ein wohlfeiles und endlos strapazierfähiges Marketing-Etikett für noch mehr Tourismus, unter dem sich die großen Naturschutzverbände aber so gerne sonnen. Die reale Naturschutzsituation in den Nationalparks ist jedoch desolat, also auch hier müsste konsequenterweise gelten: Aberkennung des Welterbetitels! Vielleicht sollte man im Gegenzug den WWF-Australien bitten, eine Stellungnahme zu den Wattenmeer-Nationalparks in Deutschland abzugeben…

Reiner Schopf, ehemaliger Inselvogt und „Nationalparkranger“ mit mehr als 30 Jahren Erfahrung als Vogelwart auf der Vogelinsel Memmert bei Juist, hat den WWF dazu angeschrieben. Seinen Brief können Sie unter dem Auszug der WWF-Pressemitteilung lesen.

Nordufer des Dollart bei Emden: direkt am "Weltnaturerbe Wattenmeer

Pressemitteilung des WWF-Deutschland

Ende des Weltnaturerbes Great Barrier Reef?

01. Februar 2013

WWF: Rote Karte für Riffschutz durch Australiens Regierung

Hamburg, 2.04.2013: Dem Great Barrier Reef droht die Aberkennung des Status als UNESCO-Welterbe. Denn die staatlichen Bemühungen zum Schutz dieser einzigartigen Meeresregion sind ungenügend. Das zeigt ein heute vom WWF und der Australian Marine Conservation Society publizierter Bericht.

Vor einem Jahr forderte die UNESCO die australische Regierung auf, einen Plan zu einem besseren Management des Great Barrier Reefs zu erstellen. Denn ohne klare Verbesserungen drohe eine Aberkennung des Status als Welterbe. Heute, am 1. Februar 2013, läuft die Frist der UNESCO aus. Ein vom WWF Australien und der Australian Marine Conservation Society (AMCS) publizierter Report zeigt: Sowohl die australische Landesregierung als auch die Regierung des Bundeslandes Queensland haben die Empfehlungen der UNESCO nicht umgesetzt. […]

AKZO: Chemiewerk in Delfzjil am "Weltnaturerbe" Wattenmeer

E-Mail von Reiner Schopf an den WWF in Hamburg, 09. Februar 2013

Betreff: „Ende des Naturerbes Great Barrier Reef? “ WWF im Januar 2013

Sehr geehrte Frau Koenig!

Der Jubel und das Eigenlob unter Politikern und Funktionären von Naturschutzorganisationen, wie WWF, NABU und Bund war groß, als das Wattenmeer zum Welt-Naturerbe erklärt wurde. Die Vergleiche mit anderen Naturerbe-Gebieten, etwa den Galapagos Inseln oder dem Great Barrier Reef Australiens gingen den Beteiligten mühelos über die Lippen, obwohl bekannt war, dass beim Wattenmeerschutz vieles im Argen lag. Man sollte annehmen, dass die Unesco-Kommission die Einhaltung von Naturschutzstandards vor der Titelverleihung geprüft hat, sie hat sich aber wohl davon blenden lassen, dass die ausgewiesenen Gebiete schon Nationalpark-Status hatten.

Was der WWF nun im Zusammenhang mit dem Welt-Naturerbegebiet Great Barrier Reef beklagt: Meeresverschmutzung, Bau von Häfen und andere industrielle Projekte oder eine mangelhafte Umsetzung geltender gesetzlicher Schutzbestimmungen, trifft für das Welterbe Wattenmeer in so krasser Form ebenfalls zu, dass es völlig unverständlich ist, dass die Naturschutzverbände nicht schon vor der Verleihung des Labels alarmiert waren und die Aberkennung des Naturerbe-Status nicht als logische Konsequenz aus den Missständen fordern.

Die Unesco verlangt für ein Weltnaturerbe-Gebiet, dass es vor negativen Veränderungen und Einflüssen bewahrt wird, die Ausweisung von Pufferzonen und einen Managementplan. Die Wattenmeer-Nationalparke können auch 26 Jahre nach ihrer Gründung nicht damit dienen und demzufolge auch nicht die Grundvoraussetzungen für die Ernennung zum Naturerbe erfüllen.

Das Eigenlob und die vollmundigen Öko-Sprüche bezüglich des Naturerbe-Titels verursachen schon deshalb Übelkeit, weil vielfach dieselben Personen für die Missstände verantwortlich sind. Dass alle Parteien, die in den Landtagen Regierungsverantwortung hatten oder haben, für massive negative Eingriffe verantwortlich sind, ist bedrückende Realität. Egal ob es um die Querung hoch empfindlicher Biotope mit Erdgas- oder Stromleitungen geht, unmittelbar an den Grenzen des Gebiets riesige Flächen mit Windturbinen verbaut werden, das Naturerbe-Label als Marketinginstrument für den Massentourismus dient oder eine Aufsicht durch kompetente Ranger verhindert wird, die Parteien sind dabei. Und die Naturschutzverbände nehmen es hin oder sind im besten Fall „besorgt.“ Der Imagegewinn und die Marketing- Strategien, die man sich aus der Verleihung erhofft und die daraus resultierende Steigerung des Massentourismus sind das erklärte Ziel. Dabei übersteigt die Zahl der jährlichen Übernachtungen an der Nordseeküste längst die ca. 12 Millionen Zugvögel die hier rasten. Längst sind empfindliche Arten und ihre Lebensräume durch das Riesenheer der Freizeithungrigen in existentieller Bedrängnis. Das hindert aber z.B.die Nationalparkverwaltung in Niedersachsen nicht daran Gebiete für den Fun-Sport Kite-Surfen im Nationalpark auszuweisen und dabei geltende gesetzliche Bestimmungen und jede naturschützerische Vernunft mit Füssen zu treten. Vergeblich hofft man darauf, dass die Naturschutzverbände dem Treiben mittels Verbandsklage Einhalt gebieten.

Wie sehr Nutzungen im Nationalpark und Weltnaturerbe dominieren zeigen die frei laufenden Hunde, die Sonnenanbeter, illegalen Surfer, Sportboote, Lenkdrachen oder lagernden Outdoor-Fans in vermeintlich strikt geschützten Gebieten. In der Vergangenheit zeigte die Toleranz der Behörden gegenüber Eierdieben, Drachensteigen an den Brutplätzen empfindlicher Vögel, dem Umhertreiben rastender Vögel durch Wassersportler und Hundehalter oder durch Segelflieger, dass die, welche auf die Schutzbestimmungen pfeifen, nichts zu befürchten haben. Im besten Fall appellieren Nationalpark-Verwaltungen und Landkreise an die, welche in geschützten Bereichen die Sau rauslassen, doch bitte „brav zu sein.“

Solche Appelle sind geradezu Aufforderungen Naturschutzrecht zu missachten. Konsequenzen braucht niemand zu befürchten. Dem WWF und den anderen Verbände ist in der Vergangenheit nichts Besseres zu den vom Massentourismus verursachten Schäden eingefallen, als das Getümmel zur „Begegnung Mensch – Natur“ oder zum sanften Tourismus zu stilisieren.

Dass die Muschelfischerei in der Zone 1 zu einem Eiderenten- Massensterben geführt hat kümmert die Naturerbe-Jubler ebenso wenig, wie die Tatsache, dass das Gebiet von Industrieanlagen in riesigen Dimensionen umzingelt ist. Das Institut für Vogelforschung geht von etwa 50 getöteten Vögeln pro Windkraftanlage und Jahr aus. Das sind bei ca. 23 000 WKA im Binnenland 1,15 Millionen tote Vögel Jahr für Jahr. Vogelmassaker in Dimensionen, die man sich gar nicht vorstellen mag, sind nach Aussagen der Wissenschaftler durch die Offshore Anlagen zu erwarten, weil der Vogelzug in der Deutschen Bucht mittels Windrotoren förmlich mit einem tödlichen Sperrgebiet blockiert wird. (FINOBIRD etc.).

Es ist unbegreiflich, dass der WWF und andere Naturschutzorganisationen diese bewusste massenhafte Tötung von Vögeln (und Fledermäusen) nicht nur toleriert, sondern auch noch befürwortet. Sprachlos macht einen, wenn auch unmittelbar an den Grenzen der Nationalparke und des Weltnaturerbes die gigantischen Maschinen die Zustimmung von WWF, BUND und NABU finden.

Die angeblich drohende Klimakatastrophe würde so hohe Kosten und Schäden verursachen, dass diese Kollateralschäden hingenommen werden müssten. Dabei sind sich die Wissenschaftler trotz aller anders lautenden Behauptungen keineswegs sicher, dass es einen menschengemachten Klimawandel gibt. Die tatsächlichen Klimafaktoren sind keineswegs so gut erforscht, dass man das Geschehen versteht und schon gar nicht, dass man es vorhersagen kann.

Um zum Ausgang meiner Ausführungen zurück zu kommen: Es ist ganz offensichtlich, dass der WWF mit zweierlei Maß misst, denn wenn das Great Barrier Reef durch fehlenden Schutz den Status Weltnaturerbe nicht verdient, verdient ihn das Wattenmeer erst recht nicht, ja hat den Kriterien nie entsprochen!

Man kann sich auch des Eindrucks nicht erwehren, dass die Funktionäre des WWF und anderer Naturschutzorganisationen das Leiden und Sterben der Natur recht wenig berührt. Wie anders ist zu erklären, dass Ihnen das ferne Great Barrier Reef Sorge macht, aber das was an Naturzerstörung vor der eigenen Tür passiert, selten eine Reaktion erzeugt und ganze Bereiche, wie die Windenergie, sogar Ihre Zustimmung finden. (Steht derlei vielleicht in der Tradition des WWF, den Naturausbeutern ein Feigenblatt zu zertifizieren?)

Mit freundlichen Grüßen

R. Schopf

Dieser Beitrag wurde unter Naturschutz, Tourismus, Verbände, Wattenmeer abgelegt und mit , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.