Windkraft Dornum/LK Aurich: noch mehr Anlagen am Vogelschutzgebiet? „Schweigegeld“-Angebot

Blick in das Dornumer Land von Arle, Foto (C): Manfred Knake

Blick in das Dornumer Land von Arle, Foto (C): Manfred Knake

Nachtrag 28. Nov. 2015: Auf der Ratssitzung des Dornumer Gemeinderates am 26. November 2015 in Roggenstede wurde der Antrag auf weitere Sonderbauflächen im Gemeindegebiet mehrheitlich zurückgewiesen. Den Zeitungsbericht über diese von Zuschauern sehr gut besuchte und chaotische Ratssitzung können Sie hier nachlesen: Wind Dornum_Ratssitzung_OK28Nov2015

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Nun ist die windige Katze aus dem Sack: Die bekannten „Üblichen Verdächtigen“ planen einen weiteren Windpark direkt an einem EU-Vogelschutzgebiet, das wiederum an den Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer grenzt. Auf der Karte (s.u.) sieht man die geplanten Anlagen als grüne Punkte östlich des Ortes Westeraccumersiel in der Gemeinde Dornum im Landkreis Aurich, die Renditeerwartungsnummer nennt sich „Repowering“ von abgängigen, ca. 20 Jahre alten Altanlagen (rote Punkte). Auf den ersten Blick ein überzeugendes Konzept: Die vor 20 Jahren verstreut in die Landschaft gestellten Anlagen sollen einem überschaubaren kleinen Windpark von acht neuen Anlagen weichen. Der Plan hat nur einen Haken: Der Standort liegt direkt am EU-Vogelschutzgebiet V63 „Ostfriesische Seemarschen Norden bis Esens“, und das Vogelschutzgebiet wiederum grenzt nördlich an den Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer an, ebenfalls EU-Vogelschutzgebiet Nr. V01. Nach den fachlichen und gerichtsfesten Empfehlungen des Niedersächsischen Landkreistages (NLT-Papier, Arbeitshilfe Naturschutz und Windenergie) sowie des „Helgoländer Papiers“ der Staatlichen Vogelschutzwarten in Deutschland sollen Windparks zu EU-Vogelschutzgebieten 1.200m Abstand haben, das Baugesetzbuch (§1 Abs. 6, Satz 7) fordert eine besondere Berücksichtigung zu Natura-2000-Gebieten: „[…] Bei der Aufstellung der Bauleitpläne sind insbesondere zu berücksichtigen: […] in der Bauleitplanung die Erhaltungsziele und der Schutzzweck der Natura 2000-Gebiete im Sinne des Bundesnaturschutzgesetzes,[…]“

Das alles ist den Antragstellern offensichtlich entgangen! Hier beim Wattenrat waren die Planungen als vage Gerüchte seit Februar 2015 bekannt, wurden aber deshalb nicht richtig ernst genommen, weil die Vogelschutzgebiete in diesem Falle ein K.O.-Kriterium sein sollten.

Am 30. März 2015 teilte ein Mitarbeiter des Bauamtes des Landkreis Aurich auf eine Wattenrat-Anfrage mit: „Anträge für ein Repowering in Westeraccum und Westerbur liegen nicht vor. Auch kann ich im Flächennutzungsplan für diesen Bereich keine Sonderbaufläche für ´Windenergie´ feststellen. Möglicherweise ist eine F-Plan-Änderung angedacht oder befindet sich in Aufstellung. Aussagen hierüber kann derzeit aber nur die Gemeinde Dornum geben.“

Die nimmersatten Investoren verteilten in dem von den Planungen betroffenen Haushalten ein Schreiben mit einem „Angebot“, von dem sie „profitieren“ können: Den Anliegern werden Beteiligungen und Strompreiserstattungen von bis zu 600 Euro im Jahr angeboten, sozusagen „Schweigegeld“ gegen weitere Proteste. Wer sich für 600 Euro im Jahr oder 50 Euro im Monat seinen Widerspruch gegen den Rotorenlärm für 20 Jahre abkaufen lässt, muss jedoch schon ziemlich weit hin sein…

Ein windiges Angebot, Seite 1

Ein windiges Angebot, Seite 1

Ein windiges Angebot, S. 2

Ein windiges Angebot, S. 2

Die geplanten Anlagen sind grün markiert, östlich des Dorfes Westeraccum. Es sollen Anlagen des Typs Enercon-115 werden, die ca. 200 Meter hoch sind, ca. viermal so hoch wie die abgängigen Altanlagen des Typs E-32 oder dreimal so hoch wie die abgängigen Enercon-40. Die nun geplanten Anlagen werden also weit in das Vogelschutzgebiet V63 und auch mittelbar in den Nationalpark (V01) hineinwirken und den von den Natura-2000-Richtlinien geforderten günstigen Erhaltungszustand verschlechtern. Das Tötungsrisiko für Vögel des Vogelschutzgebietes wird sich durch die enorme Bauhöhe der Anlagen erheblich erhöhen. Die rot markierten Altanlagen, z.T. mehr als 20 Jahre alt und abgängig, stehen auch mitten im EU-Vogelschutzgebiet direkt am Deich. Es wäre also konsequent, diese Anlagen ersatzlos zurückzubauen, Abbau statt Aufbau!

Wind_Karte-Dornum_Westeraccum

Rote Markierung: abgängige Altanlagen. Grüne Markierung östlich Dornum/Westeraccum: acht geplante neue, wesentlich höhere Anlagen. Da die abgängigen Altanlagen nach zwanzig Jahren Laufzeit  keine EEG-Subventionen mehr abwerfen, sollen die neuen Anlagen den Betreibern nun für weitere 20 Jahre eine garantierte Einspeisevergütung bescheren.

Die EU-Vogelschutzrichtlinie trat bereits 1979 in Kraft, die Altanlagen wurden in den neunziger Jahren unter Missachtung des EU-Naturschutzrechtes errichtet! Einer der Betreiber der geplanten neuen Anlagen ist Bernd Haseborg, stellvertretender Ratsvorsitzender (CDU) in der Gemeinde Dornum. Haseborg ist auch im Vorstand vom Regionalverband Ostfriesland des Bundesverbandes Windenergie (BWE). Haseborg ist Großbetreiber in Dornum, der nach eigenen Angaben „seit Jahren“ (siehe sein Schreiben) diese neuen Anlagen plant, was aber laut Angaben des Landkreises Aurich als Genehmigungsbehörde nicht bekannt war. In der Gemeinde Dornum stehen bereits mehr als 120 Windkraftanlagen. Von den Anliegern gibt es inzwischen erhebliche Proteste wegen des enormen Rotorenlärms, vor allem nachts. Auch der Kämmerer der Gemeinde Dornum ist an mehreren Windparkgesellschaften beteiligt. In Dornum hat eine Ratsmehrheit mit der Verwaltung eine ganze Gemeinde für die Windenergienutzung gekapert, skrupellos an Einwohnern und an der Natur vorbei, mit einer Lizenz zum Gelddrucken, ausgelöst durch das Erneuerbare Energien Gesetz (EEG).

Nur wenige Kilometer weiter südöstlich (nicht auf der Karte), im angrenzenden Westerholt/Samtgemeinde Holtriem/LK Wittmund stehen bereits mehr als 50 Anlagen, die im Ortsteil Ochtersum um 10 weitere Anlagen erweitert werden sollen. Östlich schließt sich Utgast/Gem. Holtgast/LK Wittmund an, dort stehen weitere 53 Anlagen, z.T. auch direkt am Vogelschutzgebiet V63. Diese Anlagen sollen abgebaut und mit insgesamt 40 neuen und größeren Anlagen ersetzt und „repowert“ werden, unter Missachtung der EU-Vogelschutzrichtlinie und des Baugesetzbuches. Auf die Fachaufsichtsbeschwerde des Wattenrates vom 08. Februar 2015 hat das Niedersächsische Umweltministerium bis heute, auch nach einer Erinnerung, die auch der Staatskanzlei vorliegt, nicht reagiert. Das Ministerium stellt sich tot. Die enge Verquickung der niedersächsischen Landesregierung mit der Windenergiewirtschaft, gegen berechtigte Bürgerbelange und gegen den Naturschutz ist unübersehbar.

Nachtrag 21. Oktober 2015: Heute berichtet Eva Requardt-Schohaus vom Ostfriesischen Kurier in Norden ausführlich über eine Bürgerverammlung in Westeraccum gegen die neuen Windparkpläne und über die Missachtung der Naturschutzvorgaben. Die Beiträge können Sie hier in der .pdf-Datei nachlesen (mit freundlicher Genehmigung): Wind-Kurier_Dornum_21Okt2015

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