Niedersachsen: neue Jagdzeitenverordnung – auch Nonnengänse haben nun Jagdzeit

Verpaarte Nonnengänse, der Vogel rechts ist flügellahm, vermutlich angeschossen. – Foto (C): Eilert Voß

Nun ist es amtlich: Die Weißwangen- oder Nonnengans (Branta leucopsis) darf in Niedersachsen ab 2021 vom 01. August bis 15. Januar mit Auflagen bejagt werden. Vorher hatte diese nach Anhang I der europäischen Vogelschutzrichtlinie geschützte Gänseart keine Jagdzeit, wurde aber dennoch illegal geschossen. Damit hat sich die Bauernlobby durchgesetzt, die jahrelang auf hohem Niveau lamentierte, die Gänse würden durch Fraßschäden ihre bäuerliche Existenz gefährden.

In der Sache besonders bemüht hat sich dafür ein Milchbauernbetrieb im Rheiderland im Nordwesten Niedersachsens. Altbauer Arnold Venema aus Jemgumgeise, auch FDP-Kommunalpolitiker, hatte jahrelang mit Hilfe seiner Söhne Amos und Jan und der überwiegend verkürzt berichtenden geneigten Presse den Ruin der Milchbetriebe an die Wand gemalt, würde diese arktische Gänseart, die zu tausenden im Nordwesten Deutschland überwintert, nicht bejagt werden.

Gülledusche auf rastende Nonnengänse, Woltersterbor/Ems, Febr. 2015, Foto (C): Eilert Voß

Der Berufsstand mit der stets offenen Hand

Auch die Inhaber des „Geisehof Venema GbR“ sind bekannte Vertreter des Berufsstandes mit der stets offenen Hand als „Direktzahlungsempfänger“ der EU, vulgo Subventionen. 2019 erhielt der Betrieb aus EGFL-Mitteln (Greening) für Umweltmaßnahmen 9.914,18 Euro, aus ELER-Mitteln, u.a. zum „Erhalt der Artenvielfalt“, 22.667,68 Euro, dazu kommen die Basisprämie und weitere Mittel. Insgesamt erhielt der Betrieb Venema 2019 aus EU-Mitteln 55.733,88 Euro, gezahlt vom Steuerzahler. Diese Zahlen findet man in den oft einseitig recherchierten Medienberichten nicht, obwohl sie mit wenigen Mausklicks abrufbar sind.

Ziehende Nonnengänse. Die Art ist im Fluge leicht an den markanten Flugrufen zu erkennen, die wie entferntes Terriergebell klingen. – Foto (C): Manfred Knake

Die Grünen als Gänsejagd-Unterstützer

Die damalige niedersächsische Umweltstaatssekretärin Almut Kottwitz (B90/Die Grünen) erörterte bereits 2016 zusammen mit Landwirtschaftsvertretern bei der EU-Kommission die Erleichterung der Jagd auf die damals nicht jagdbare Nonnengans. „Managementplan und nachhaltige Kontrolle der Population“ wurde die beabsichtigte Jagd auf diese Gänse umschrieben. In der Tat kann es auf Grünland, das mit energiereichem Silagegras eingesät wurde und das die alten artenreichen Gräser (und damit auch die Wildblumen und Insekten vernichtet) ersetzt hat, auch zu Fraßschäden durch Gänse kommen. Falls ein Betrieb aber am Vertragsnaturschutz teilnimmt, bekommt er einen Ausgleich zusätzlich zu den EU-Subventionen pro Hektar und Jahr, egal ob Schäden eingetreten sind oder nicht. Fraßschäden können in der Regel vor dem ersten Schnitt auftreten, hier fressen sich die Gänse den „Treibstoff“ für ihren langen Rückflug in die arktischen Brutgebiete an.

Offener Schussbruch: illegal geschossene Nonnengans (Straftat!) aus dem EU-Vogelschutzgebiet an der Ems – Foto (C): Eilert Voß

Ackerland in Grünland umgewandelt und Tierbestände aufgestockt

Grünlandbauern haben in Ostfriesland zunächst jahrelang systematisch Ackerland in Grünland verwandelt und dann auch, ganz ohne Umbruch, nahrhaftes Silagegras per “Schlitzung“ neu eingesät: „Grünlanderneuerung“ heißt das. Viele Milchviehbetriebe stockten im Laufe der Jahre auch ihre Tierbestände in großen Laufställen drastisch auf, das Überangebot von Milch auf dem Markt war eine Folge davon. Grünlandbauern machen vier Schnitte im Jahr, in sehr guten Jahren auch fünf. Schäden an der Grasnarbe oder an Getreidesaaten gibt es  auch auf durch Staunässe verdichteten Böden, verursacht durch schwere landwirtschaftliche Maschinen. Auch diese Schäden werden dann gerne den Gänsen in die Schnäbel geschoben, gegen Bares.

Grünland“erneuerung“ in Böhmerwold, 2020, LK Leer – Foto (C): Eilert Voß

Keine Gänsejagd in europäischen Vogelschutzgebieten vom 01. November bis 15. Januar

Ganz erfolgreich war der Milchbetrieb Venema jedoch nicht mit seiner „Hass-und Hetze-Kampgane“ gegen die Gänse: In den europäischen Vogelschutzgebieten an der Küste dürfen die Nonnengänse und andere Gänsearten vom 01. November bis zum 15 Januar nicht bejagt werden. Bläss- und Saatgänse sind nach wie vor ganzjährig geschont. Verschiedene Entenarten dürfen jedoch weiterhin, auch in Schutzgebieten, bejagt werden. Es ist überhaupt fraglich, ob  die Jagd die Fraßschäden vermindern wird. Gänsefachleute sind sich sicher, dass es durch den Jagddruck und die damit verbundene häufige Beunruhigung der Vögel zur vermehrten Nahrungsaufnahme und damit auch zu mehr Fraßschäden kommen wird. Zudem werden bei der Jagd häufig Gänse nur „angebleit“, also angeschossen und dabei bis zur Flugunfähigkeit schwer verletzt. Auch werden Familienverbände zerschossen, bei denen dann Jungtiere führungs- und erfahrungslos alleine überleben müssen. Aber um Fachliches ging es bisher nie bei der Zulassung der Gänsejagd, es ist immer Klientelpolitik gewesen.

EU-Vogelschutzgebiet Emsauen bei Gandersum: flügelverletzte und damit flugunfähige Blässgänse nach Jagdsaison – Foto (C): Eilert Voß

Unser Mitarbeiter Eilert Voß hat jahrelang die jagdlichen Missstände im europäischen Vogelschutzgebiet an der Ems (Petkumer Deichvorland und Umgebung) dokumentiert. Hier wurden Gänse und Enten bei Dunkelheit, Schneetreiben oder dichtem Nebel bejagt, ohne die Arten sicher ansprechen zu können.

Illegale Gänsejagd bei Nebel, keine Gänseart kann so sicher angesprochen werden. Der Jäger steht hinter einer Deckung (Plane). NSG Petkumer Deichvorland und EU-Vogelschutzgebiet an der Ems – Foto (C): Eilert Voß

Ein „Glanzstück “ der Gänse-Desinformation eines öffentlich-rechtlichen Senders kann man hier nachlesen: „NDR-Reportage – Mehr Ente als Gans“ aus dem Jahr 2013. Konsequenzen für den Autor: keine.

Das sagt die neue niedersächsische Jagdzeitenverordnung (vollständig hier als pdf):

Nonnengänse
1. August bis 15. Januar, mit der Maßgabe, dass eine artenschutzrechtliche Ausnahmezulassung nach
§ 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 des Bundesnaturschutzgesetzes vorliegt und
a) in der Zeit vom 1. August bis 31. Oktober
der Abschuss nur auf Grundlage einer von der Jagdbehörde festgelegten Anzahl von Abschüssen erfolgen darf,
b) in der Zeit vom 1. November bis 15. Januar
der Abschuss in den Landkreisen Aurich, Cuxhaven, Emden, Friesland, Leer, Stade, Wesermarsch und Wittmund nur außerhalb von europäischen Vogelschutzgebieten, nur zur Schadensabwehr auf gefährdeten Acker- und Grünlandkulturen und nur nach Feststellung der Notwendigkeit des
Abschusses zur Abwehr erheblicher Schäden auf Grünlandkulturen durch eine Sachverständige oder einen Sachverständigen, die oder der von der
Landwirtschaftskammer Niedersachsen für den Bereich Landwirtschaft öffentlich bestellt worden ist

Die Unteren Jagdbehörden der Landkreise gehen in der Regel großzügig mit der Erteilung von artenschutzrechtlichen Ausnahmezulassungen um. Ob die „festgelegte Anzahl von Abschüssen“ überhaupt kontrolliert wird und wer  die „Sachverständigen“ zur Bewertung von Fraßschäden sein werden, bleiben ebenfalls interessante Fragen. Naturschutzfachleute bezweifeln allerdings, dass der neu zugelassene Abschuss dieser besonders geschützten Vogelart rechtskonform ist, da auch non-letale Maßnahmen  zunächst in Betracht gezogen werden müssen, wie z.B. die Vergrämung.

§ 45 Bundesnaturschutzgesetz, Absatz 7

[…] Eine Ausnahme darf nur zugelassen werden, wenn zumutbare Alternativen nicht gegeben sind und sich der Erhaltungszustand der Populationen einer Art nicht verschlechtert, soweit nicht Artikel 16 Absatz 1 der Richtlinie 92/43/EWG weiter gehende Anforderungen enthält. Artikel 16 Absatz 3 der Richtlinie 92/43/EWG und Artikel 9 Absatz 2 der Richtlinie 2009/147/EG sind zu beachten. […]“

Im internationalen Abkommen „AEWA“ (Agreement on the Conservation of African-Eurasian Migratory Waterbirds) sind in Anhang II bestimmte Vogelarten auf dem Zuge gegen Verfolgung geschützt, darunter ist auch die Nonnengans. Das Abkommen soll die Wasservogeljagd auf ein „nachhaltiges“ Niveau beschränken und regulieren. Ob dazu die Öffnung der Jagd auf diese vorher nicht jagdbare Gänseart hilfreich ist, ist fraglich. Das Abkommen ist ein Unterabkommen unter der Bonner Konvention zur Erhaltung der wandernden wild lebenden Tierarten (CMS). Papier ist geduldig.

Korrektur: In der ersten Fassung dieses Beitrages wurde die Nonnengans als „streng geschützte“ Art bezeichnet. Das ist nicht richtig. Die Nonnengans gehört, wie alle Vogelarten, zu den „besonders geschützten“ Arten nach der europäischen Vogelschutzrichtlinie. Die „streng geschützten“ Arten sind eine Teilmenge der „besonders geschützten“ Arten. Alle „streng geschützten“ Arten sind auch „besonders geschützt“. Die Kategorisierung ist kompliziert und erschließt sich eigentlich nur Fachleuten. Mehr auch in § 7, Abs. 2, Nr. 13 Bundesnaturschutzgesetz und  hier beim Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN).

Dennoch hatte die Nonnengans bisher keine Jagdzeiten in Niedersachsen.

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