„Vogelgrippe“: Jagd auf Virus H5N8?

Gänsejäger im Naturschutzgebiet „Petkumer Deichvorland“ an der Ems, EU-Vogelschutzgebiet: Kadaverwäsche in einer Viehtränke

Der agrarpolitische Sprecher der niedersächsischen CDU-Landtagsfraktion, Helmut Dammann-Tamke, ist gleichzeitig Präsident der Landesjägerschaft in Niedersachsen. Er äußerte sich in der Presse u.a. so zur „Vogelgrippe“, die in einem Cloppenburger Putenmastbetrieb nachgewiesen wurde: […] Es wäre deshalb wichtig gewesen, die Jäger für diese Thematik zu sensibilisieren und sie aufzufordern, gezielt Wildvögel zu erlegen, um Untersuchungen durchführen zu können. Auf diese Weise hätte man die von Zugvögeln ausgehende Infektionsgefahr deutlich realistischer einschätzen können […]“.

Der erste Vogelgrippefall in Niedersachsen wird von einem Jagdfunktionär sofort mit wildlebenden Vögeln in Verbindung gebracht. Will Jagdpräsident Dammann-Tamke jetzt „auf Verdacht“ Wildvögel abschießen lassen, um die Nadel im Heuhaufen zu finden? Wie will er zudem damit nachweisen, dass aus Wildvogelbeständen das Virus in die Massentierhaltungsbetriebe eingedrungen ist, dafür gibt es überhaupt keine Nachweise. Es liegt viel näher, dass durch den laxen Umgang mit Hygienemaßnahmen das Virus aus den Massenbetrieben in die Natur gelangte. Bisher wurde in Deutschland (M-V) bei einer (!) wildlebenden Enten das Virus nachgewiesen. Soll jetzt so lange auf wildlebende Vögel „gezielt“ (wie denn sonst?) geschossen werden, bis ein Virus-Nachweis erbracht ist? Können Jäger virusbelastete Vögel über die Flintenlaufschiene erkennen? Viel einfacher wäre es, an Schlafplätzen von „Wasserfederwild“ Kotproben zu sammeln und diese untersuchen zu lassen. Dammann-Tamke, der selbst Landwirt ist, lenkt so bewusst von den Versäumnissen und Gefahren in der Massentierhaltung ab!

edit 18. Dez. 2014: Die Tageszeitung taz berichtet heute online: Die Verbreitung der Vogelgrippe – Ein Laster und die toten Tiere – Die Keulung der pommerschen Puten hatte Anfang November ein Cloppenburger Spezial-Unternehmen besorgt. Jetzt herrscht dort Vogelgrippe. […]

Werner Hupperich, Vorstandsmitglied im Wissenschaftsforum Aviäre Influenza (WAI), schickte uns zur Jagd auf die Vogelgrippe  diese Pressemitteilung:

P R E S S E M I T T E I L U N G, 17. Dezember 2014

Der CDU-Landtagsabgeordnete Dammann-Tamke meldet sich in einer Pressemitteilung als „Agrarexperte“ zu Wort – und propagiert die Jagd auf Wildvögel

Niedersachsen: Instrumentalisierung der Geflügelpest-Ausbrüche durch Jagdlobbyisten?

Am 15.12. wandte sich der niedersächsische CDU-Landtagsabgeordnete Helmut Dammann-Tamke in der Pressemitteilung „Erster Vogelgrippe-Fall in Niedersachsen – Meyer hat dringend notwendige Präventionsmaßnahmen vernachlässigt“ an die Öffentlichkeit. Unter Bezugnahme auf den aktuellen Ausbruch von Geflügelpest auf einem Putenmastbetrieb nahe Cloppenburg wirft er Landwirtschaftsminister Meyer (GRÜNE) Versäumnisse im Hinblick auf „dringend notwendige Präventionsmaßnahmen“ vor.

Konkret fordert Dammann-Tamke, der seine Funktion als Präsident der niedersächsischen Landesjägerschaft unerwähnt lässt, die „gezielte Bejagung von Wildvögeln“ im Rahmen eines erweiterten „Wildvogelmonitorings“.

Als Begründung wird eine im November HPAI H5N8 positiv beprobte Krickente bei Ummanz (Mecklenburg-Vorpommern) angeführt. Ferner spekuliert Dammann-Tamke über „enorme Viruslasten“ in Wasservögeln, die keine „klinischen Symptome“ zeigten. Unterschlagen wird in der Pressemitteilung die Information, dass es sich bei dieser Ente um den bislang einzigen Fund von HPAI H5N8 bei einem Wildvogel in Deutschland handelt.

Unklar ist, wann und wie diese Ente sich infiziert haben könnte (das Friedrich-Loeffler-Institut spricht von einer „Krickente“, das Bundeslandwirtschaftsministerium dagegen ausdrücklich von einer „unbestimmten Ente“[2]). Sicher ist, dass es vor dem Beginn der Ausbruchsserie in Europa in Tausenden von untersuchten Wildvögeln keine Hinweise auf eine Zirkulation gefährlicher Viren gegeben hat. Schwache Hinweise bei einer Ente in Deutschland und 2 Kotproben in Holland ergaben sich erst Wochen später; sie können als Folge der Ausbrüche bei Geflügel gelten.

Von „enormen Viruslasten“ in wildlebenden Wasservögeln kann daher keine Rede sein. Gegen eine Rolle von Wildvögeln bei der Verbreitung der Viren spricht auch der Umstand, dass die Ausbrüche von H5N8 ausgerechnet in Intensivhaltungsbetrieben stattfanden, in welchen das Geflügel gegenüber Wildvögel völlig isoliert ist. Freilandhaltungen mit direktem Kontakt des Geflügels zu Wildvögeln blieben bislang hingegen verschont.

Grundsätzlich ist nichts gegen das Angebot des Präsidenten der niedersächsischen Landesjägerschaft und MdL Dammann-Tamke einzuwenden, „..die Jäger für diese Thematik zu sensibilisieren“ und sie in das Monitoring einzubeziehen. Unsachgemäß, kontraproduktiv und nach geltendem Tierschutzrecht illegal wäre es jedoch, zu diesem Zweck „gezielt Wildvögel zu erlegen, um Untersuchungen durchführen zu können.“ wie Damman-Tamke fordert.

Sowohl aus naturschutzfachlicher als auch aus epidemiologisch-wissenschaftlicher Sicht spricht eine Reihe von Argumenten gegen ein „Wildvogelmonitoring durch Abschuss“.

1. Die Suche nach Geflügelpestviren bei Wildvögeln kann durch Sammeln von Kotproben erfolgen. Jäger sollten hier aktiv beteiligt werden. Dabei kann mit geringem Aufwand eine größere Zahl von Proben gewonnen werden; die Probenahme kann jederzeit wiederholt werden. Wildvögel und Umwelt allgemein müssen dafür nicht in nennenswertem Ausmaß gestört werden.

2. Die Prävalenz von Geflügelpestviren (also der Anteil infizierter Vögel) unter Wildvögeln ist – wenn überhaupt vorhanden – extrem gering. Es werden in allen europäischen Ländern regelmäßig Proben genommen; trotzdem gelangen bis heute in Tausenden Proben gerade mal zwei Nachweise, die kritisch hinterfragt werden müssen (ist die Interpretation der Laborergebnisse wirklich stichhaltig? Können Laborfehler, etwa eine Kontamination der Proben, ausgeschlossen werden? usw.) Um die Prävalenz überhaupt ermitteln zu können müssten in jedem Fall Tausende von Wildvögeln geschossen werden. Da es eine geeignetere und tierschutzkonforme Möglichkeit gibt, solche Proben zu erhalten, wäre dieses Vorgehen illegal, weil es gegen das Verbot verstösst, ohne vernünftigen Grund Tiere zu töten.

3. Auf keinen Fall hätte ein intensiveres Monitoring den aktuellen Ausbruch in einer gegen Vireneintrag stark gesicherten Putenmast verhindern können. Auch wenn die jetzt verhängte Stallpflicht früher angeordnet worden wäre, durch die Freilandhaltungen angeblich geschützt werden sollen, wären keine Ausbrüche verhindert worden – es hat ja tatsächlich keine Ausbrüche in Freilandhaltungen gegeben!

4. Eine verstärkte Bejagung von Wildvögeln führt zunächst zu Fluchtbewegungen bei den bejagten Vögeln, wodurch die Gefahr einer Verbreitung von Viren – sollte sie denn überhaupt bestehen – deutlich vergrößert wird. Das ist im Sinne der von Dammann-Tamke geforderten Prävention offensichtlich kontraproduktiv.

5. Abschließend ist festzuhalten, dass jede jagdliche Aktivität einen Eingriff in sensible ökologische Systeme darstellt. Eine Ausweitung jagdlicher Aktivitäten über die gesetzlichen Vorgaben des Jagdrechts hinaus, sowohl die jagdbaren Arten als auch die Jagdzeiten betreffend, birgt unabsehbare und somit aus naturschutzfachlicher Sicht nicht akzeptable Risiken.

Aus vorgenannten Gründen ist den Forderungen Damman-Tamkes nach Ausweitung jagdlicher Aktivitäten unter dem Vorwand eines „Wildvogelmonitorings“ unter Berücksichtigung naturschutzfachlicher Aspekte so unter Zugrundelegung des aktuellen epidemiologisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstandes eine klare Absage zu erteilen.

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