´Die Lage der Natur in Deutschland´ – Bericht aus dem Bundesumweltministerium und dem Bundesamt für Naturschutz

Man glaubt es kaum: Blick in das europäische Vogelschutzgebiet V63, Ostfriesische Seemarschen von Norden bis Esens! Illegaler Straßenbau der Umgehungsstraße Bensersiel, Intensivlandwirtschaft und ein riesiger Windpark viel zu dicht am Schutzgebiet. Foto (C): Manfred Knake

Das Bundesumweltministerium und das Bundesamt für Naturschutz veröffentlichten im Mai 2020 den Bericht „Die Lage der Natur in Deutschland – Ergebnisse von EU-Vogelschutz- und FFH-Bericht“. Ja, mit „der Natur“ ist etwas faul im Lande, sogar in den europäischen Schutzgebieten Natura-2000. Einen nicht unerheblichen Anteil am Artenschwund hat die industrielle Landwirtschaft, finanziell gefördert von der Europäischen Union. Wie diese aktuelle Behörden-Veröffentlichungen den desolaten Zustand von Lebensräumen und Arten einordnet, kommentiert die „Europäische Gesellschaft zur Erhaltung der Eulen“ (EGE). Wir danken den Eulenfreunden für die klaren Worte und die Erlaubnis der Textübernahme. Die Fotos sind vom Wattenrat. Die komplette PDF-Datei „Die Lage der Natur in Deutschland“ können Sie hier abrufen: Lage_Natur_2020_BfN_BMU

EGE, Mai 2020

Im Mai 2020 veröffentlichten Bundesumweltministerium und Bundesamt für Naturschutz den Bericht „Die Lage der Natur in Deutschland“. Auf 38 Textseiten und in Anhängen dokumentieren die beiden Herausgeber die Situation von Lebensraumtypen und Arten. Darunter sind vor allem solche, die Deutschland besser schützen muss, soll ein seit 2015 anhängiges EU-Vertragsverletzungsverfahren eingestellt und eine Verurteilung vor dem Europäischen Gerichtshof abgewendet werden. Der Erhaltungszustand fast der Hälfte dieser Lebensraumtypen und eines Drittels dieser Arten in Deutschland ist unzureichend oder schlecht. Die Lage hat sich im Berichtszeitraum 2013-2019 teilweise deutlich verschlechtert; beispielsweise die der Brutvögel der Agrarlandschaft.

Der Bericht ist bemüht, die Misere sprachlich ins Positive zu wenden: Statt von einem enormen Vollzugsdefizit spricht der Bericht „vom großen Potential“ von FFH- und Vogelschutzrichtlinie für den Naturschutz und betont Erfolge: „Trotz ungünstiger Rahmenbedingungen können und konnten bisher durch konsequentes (Naturschutz-)Handeln lokal und regional viele Erfolge erzielt werden.“ Nur national offenbar eher nicht. Die Ursachen für so viel Erfolglosigkeit (im Bericht neutral die „Treiber für Veränderungen“) kommen nicht von Ungefähr: Sie sind das Werk nationaler und gemeinschaftlicher Politik zugunsten robuster Wirtschaftsinteressen – vor allem, aber nicht allein in der Landwirtschaft.

Positiv immerhin: Der Klimawandel ist für die bisherigen Verschlechterungen offenkundig bedeutungslos. Aber „zahlreiche Studien belegen dessen zunehmende Bedeutung“, so der Bericht. Im Übrigen hätten „die Auswirkungen der ausgeprägten Trockenperioden der letzten beiden Jahre“ noch nicht berücksichtigt werden können“. Die Analyse habe ergeben, „dass der Klimawandel in allen Hauptgruppen als Gefährdungsursache von Biotoptypen relevant ist“. Ob die Gefahr nach dem Kohleausstieg 2038 gebannt sein wird, verrät der Bericht nicht.

Industrielandschaft bei Tergast/LK Leer/NDS – Foto (C): Eilert Voß

Umgekehrt rangiert der „Ausbau erneuerbarer Energien wie Biogasanlagen (verbunden mit zunehmendem Anbau von Mais und Raps), Wind- und Wasserkraftanlagen“ im Bericht unter den gegenwärtigen und nicht erst künftigen maßgeblichen „Treibern für Veränderungen“. Aus dem Ausbau der Windenergiewirtschaft auf See resultierten „Belastungen“ und an Land „regionale Bestandrückgänge“ des Rotmilans. Man müsse bei dem „auch für den Biodiversitätsschutz wichtigen Ausbau Erneuerbarer Energien“ Schutzgebiete und Schutzgüter der Naturschutzrichtlinien beachten. Den Mäusebussard nennt der Bericht trotz dramatisch hoher Kollisionsopferzahlen an Windenergieanlagen und eines Rückganges im Zwölfjahres-Trend um bis zu drei Prozent pro Jahr nicht. Das Bundesamt für Naturschutz sieht keinen Grund, die Art als „windenergiesensibel“ zu betrachten.
Der Bericht versucht Erfordernisse des Naturschutzes klimapolitisch zu begründen, um so beispielsweise dem Schutz von Hoch- und Niedermooren zu mehr Akzeptanz zu verhelfen („Moore: Sensitive Lebensräume für den Klimaschutz“). Dieser Versuch wird seit langem unternommen, allerdings mit mäßigem Erfolg.

EU-Vogelschutzgebiet, Nüttermoor bei Leer an der Ems, 18. Mai 2014, Mahd in der Brutzeit – Foto (C): Eilert Voß

Der Bericht betont Selbstverständlichkeiten wie: Maßnahmen agrarförderrechtlich verlangten Greenings sind wirkungslos; in FFH-Gebieten sollen keine gebietsfremden Baumarten eingebracht werden; Naturschutzgebiete (vor 35 Jahren nannte ein Direktor des Bundesamtes für Naturschutz sie Notstandsgebiete) sind nur begrenzt wirksam. Der Bericht endet als ein respektabler, nicht belang-, aber folgenloser Katalog im Konjunktiv. Während der Bund Landwirtschaft, gewerblicher Wirtschaft, Wohnungsbau und Verkehr 2020 Subventionen in Höhe von 26,2 Milliarden Euro gewährt, sehen sich Bund und Länder nicht in der Lage, die nach ihrer Schätzung für biodiversitätserhaltende Maßnahmen in Natura 2000 Gebieten erforderlichen 1,4 Milliarden Euro bereitzustellen.

Bruthabitat vom Kiebitz (Kreise), Begüllung am 30. März 2020, Bovenhusen/Rheiderland, EU-Vogelschutzgebiet – Foto (C): Eilert Voß

Was unterscheidet den Bericht von früheren seiner Art? Die Bilanz ist negativer denn je. Dafür aber ist von Resilienz [Anmerkung: Krisen nutzen und ihnen widerstehen] die Rede, die erhalten oder wiedergewonnen werden müsse, und der Bericht von A bis Z geschlechtergerecht: Autorinnen und Autoren, Landwirtinnen und Landwirte, Ornithologen und Ornithologinnen. Nur den Experten und Langstreckenziehern unter den Zugvögeln ist die weibliche Form noch nicht zugesellt und an einer Stelle ist der Bericht unentschuldbar militant. Den Artenrückgang müsse man aufhalten „auf breiter Front“, heißt es im Bericht. Vielleicht, weil jemand Krieg führt gegen die Natur.

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