Heute in der Nordwest Zeitung aus Oldenburg dies: „Europameisterschaft der Friesensportler – Ein erster Blick auf die Wettkampfstätten der Klootschießer und Hollandkugelwerfer – Noch ist es ruhig hinter dem Deich. Aber Folkmar Lüpkes (links) und Jan-Gerd Bengen sind sich sicher, dass die Wettkämpfe im Mai ein großes Spektakel werden.“
Ja, noch ist es ruhig hinter dem Deich, aber das wird sich im Mai 2024 ( Christi-Himmelfahrt-Wochenende) drastisch ändern,
denn „sportlich wird es dann ab Freitag interessant, wenn sich annähernd 600 aktive Sportler und Sportlerinnen in den verschiedenen Disziplinen des Friesensports messen werden. Auf dem Feldkampfgelände direkt hinter dem Deich in Richtung Ostbense greifen zuerst die Werfer und Werferinnen zur Hollandkugel, um ihre Titelträger zu ermitteln.“
Aber kein Wort davon: Das beschriebene „Wettkampfgelände direkt hinter dem Deich“ gehört zum Europäischen Vogelschutzgebiet V63 „Ostfriesische Seemarschen von Norden bis Esens“ im Landkreis Wittmund, davon berichten weder die Zeitungen noch der Veranstalter auf seiner WebSeite: „Das Großereignis Europameisterschaft wirft seine Schatten voraus. Die Vorbereitungen auf das Friesensport-Spektakel im Thalasso-Nordseeheilbad Neuharlingersiel laufen auf Hochtouren.“
Wo Schatten ist, ist auch Licht: Auf Hochtouren reagierte auch der Wattenrat, und fragte umgehend beim Niedersächsischen Umweltministerium mit dieser Email nach:
Sehr geehrte Damen und Herren,
vom 09. bis zum 12. Mai 2024 finden in der Gemeinde Neuharlingersiel/Samtgemeinde Esens/ LK Wittmund die „Europameisterschaften der Klootschießer“ statt. Dazu werden laut Veranstaltungshinweis auch Flächen in Anspruch genommen, die Teil des Europäischen Vogelschutzgebietes V63 „Ostfriesische Seemarschen von Norden bis Esens“ sind, Zitat (s.u.): „Auf dem Feldkampfgelände direkt hinter dem Deich in Richtung Ostbense“ Zitat Ende. Die aktiven Teilnehmer werden mit „annähernd 600“ beziffert, ohne Zuschauer. Siehe auch die Veröffentlichung in der Nordwest Zeitung online vom 03. April 2014: „Noch ist es ruhig hinter dem Deich“: https://www.nwzonline.de/sport/friesensport-em-arbeiten-an-gelaende-fuer-kloot-und-hollandkugel-laufen_a_4,1,586442049.html#
Die V63-Flächen westlich von Neuharlingersiel wurden mit der Landschaftsschutzverordnung „LSG WTM 25 Ostfriesische Seemarsch zwischen Norden und Esens“ in nationales Recht überführt, § 3 Satz 13 der LSG-Verordnung verbietet zudem, „wildlebende Tiere oder die Ruhe der Natur durch Lärm oder andere Weise zu stören, die Störungen dürfen insbesondere nicht die in § 2 Absatz 4 genannten Vogelarten vergrämen oder belästigen.“
Verordnung: https://www.landkreis-wittmund.de/media/custom/3105_1194_1.PDF?1584704653
Karte: https://www.landkreis-wittmund.de/media/custom/3105_1195_1.PDF?1584705016
(Die LSG-Verordnung halte ich wegen der darin enthaltenen vielen Ausnahmen für die Landwirtschaft ohnehin nicht mit dem EU-Recht vereinbar.)
Der Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer grenzt nördlich direkt an das LSG an.
Zur Erinnerung: Im Vogelschutzgebiet V63 (damals noch „faktisches Vogelschutzgebiet“) wurde auch die Umgehungsstraße Bensersiel/Stadt Esens) rechtswidrig gebaut. https://www.wattenrat.de/wp-content/uploads/2021/11/Umgehung-Bensersiel_Urteil.pdf
Meine Fragen: Welche Flächen werden im Vogelschutzgebiet für die Sportveranstaltung in Anspruch genommen? Liegt dem Umweltministerium eine Verträglichkeitsprüfung nach § 34 Bundesnaturschutzgebiet für diese Veranstaltung vor; wer hat diese ggf. mit welchem Ergebnis erstellt?
Mit freundlichem Gruß
Manfred Knake
BCC: Presse und Naturschutzverbände
„Land-Räterepublik“ in Niedersachsen
Man darf gespannt, ob und wie das Umweltministerium (und die Presse!) auf den Wattenrat-Hinweis reagiert – und ob die „anerkannten“ und damit klagebefugten Naturschutzverbände in Niedersachsen sich der Sache annehmen werden.
In Niedersachsen gilt diese Besonderheit nach der Auflösung der Bezirksregierungen 2005: Die Zuständigkeit für Naturschutzgebiete und die Europäischen Natura-2000-Gebiete (FFH- und Vogelschutzgebiete) wurde auf die unterste Ebene der Landkreise übertragen, mitten hinein in den lokalen Klüngel, auf die niedersächsische „Land-Räterepublik“, wie Spötter sagen. Entsprechend dürftig und rechtlich angreifbar sehen auch viele Schutzverordnungen in den Landkreisen aus, die durch den politischen Einfluss der lokalen Landwirtschaftsfunktionäre und abschließender Abstimmung über die Verordnungen in den Kreistagen verwässert wurden: Entscheidungen nach Interessens- statt nach Rechtslage. Nicht von ungefähr hat die EU-Kommission am 13. März 2024 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet: Die Maßnahmen zur Erhaltung wild lebender Vogelarten gemäß der aus dem Jahr 1979 stammenden Vogelschutzrichtlinie wurden nicht hinreichend umgesetzt. Nur hat es den Anschein, dass Brüssel und die verbindlichen Natura-2000-Richtlinien für die lokalen Akteure weiter weg als der Mond sind, und den kann man immerhin sehen.